Hamburg. Ungewöhnliche Bar am Eppendorfer Baum empfängt immer öfter Eltern. Welches Familienmitglied vorprescht und welche Kritik es gibt.
Entweder Mama hat es besonders nötig oder sie ist für Neues besonders aufgeschlossen. Jedenfalls ist die Mutter in der Drip Drip IV Therapy Bar am Eppendorfer Baum 26 immer die erste Kundin, die dann den Trend mit intravenösen Vitamin-Infusionen in ihrer Familie anstößt.
„Es fängt wirklich immer mit der Mutter an“, sagt Gründer Jürgen Merthens, der das Konzept mit seinem Kompagnon Philip Brand ins Leben gerufen hat. „Dann wird der Mann genötigt und manchmal kommen auch noch die Kinder zu uns.“ Wobei diese ausgewachsen sein müssten, damit die vorportionierten Infusionen gelegt werden dürften, erklärt Merthens.
Vitamin-Infusion für Hamburger Familien: So gelangen Nährstoffe schnell in den Blutkreislauf
Das Eppendorfer Ladengeschäft, es ziehe vor allem am Sonnabend Familien an. „Da passiert es relativ oft, dass ein Elternteil zu uns kommt, während das andere nebenan Kaffee trinkt“, sagt Merthens. Doch warum ist der Infusions-Trend besonders für Eltern geeignet? „Kita- und Grundschulkinder bringen ständig neue Infekte und Krankheiten mit nach Hause, gerade nach Corona hat das noch einmal zugenommen“, erklärt Merthens. „Die Eltern stecken sich oft an und leben mit einem Dauerinfekt oder fühlen sich aufgrund der Belastung plus Schlafmangel und Stress oft ausgelaugt.“
Hier können Nährstoffinfusionen unterstützen. Besonders beliebt seien der Immun-Drip für 159 Euro sowie der G.O.A.T. (greatest of all times)-Drip für 259 Euro. „Was mir total wichtig ist: Man kann die Ergebnisse nicht messen, wir haben keine Studien“, sagt Merthens. Klar sei nur: Ohne den Weg über den Verdauungstrakt schleusen die Infusionen Nährstoffe, Vitamine und Flüssigkeiten direkt in den Blutkreislauf. So könnten die Substanzen schneller vom Körper aufgenommen werden. „Was für uns eine hohe Aussagekraft hat: Die Kunden kommen immer wieder und erzählen uns, wie gut sie sich danach fühlen.“
Fitter, weniger müde, energiegeladen, mit besserer Hautstruktur, schneller regeneriert nach Erkältungen. Das klingt nach einem absolut erstrebenswerten Ergebnis für Eltern, deren Leben von Schlafmangel und aufreibendem Multitasking geprägt ist.
Infusionen kosten bis zu 270 Euro, Vitamin C intravenös gleiche 17 Kisten Orangen
Im Ladengeschäft, das in Naturtönen gehalten gar nicht an ein medizinisches Umfeld erinnert, wird der Kunde auf hellen Plüschsesseln umsorgt. Getränke sind dabei inklusive, während die Infusion in die Vene läuft. Aufmerksam bemüht sich ein sechsköpfiges Team um Heilpraktikerin Laura Hagemann, die die fachliche Leitung innehat, um die Kunden. „Seit unserer Eröffnung vergangenen Mai haben wir mindestens 2200 Infusionen mit unseren Mikronährstoffen gelegt“, sagt Hagemann.
Vor jeder Behandlung macht sie eine Anamnese, klärt auf und berät bei der Auswahl der 20 bis 60 Minuten andauernden Drips. Soll es der Detox Drip (179 Euro) sein für mehr Leichtigkeit und Entgiftung mit Aminosäuren und Inhalten wie Glycin, Lysin und Magnesiumchlorid? Oder der Drip für Allergiker (159 Euro), der mithilfe von hoch dosiertem Vitamin C gerade Heuschnupfen-geplagten Menschen Hilfe verspricht?
Oder der Perfect Age Drip (269 Euro), der ab 25 Jahren empfohlen wird und unter anderem die Kollagensynthese und Zellregeneration unterstützen soll? Dazu gibt es noch Infusionsangebote, die weniger Zeit benötigen und nur ein Vitamin – beispielsweise B12 oder C – enthalten.
„Bei allen Anwendungen ist klar, dass sie im Gegensatz zur oralen Gabe in Pulver- oder Tablettenform eine maximal höhere Bioverfügbarkeit für den Körper haben, intravenös liegt diese bei 99 Prozent“, sagt Hagemann. Deshalb fühlten sich die Kunden nach der Behandlung auch schnell besser.
Placebo-Effekt: „Medizinisch notwendig sind Vitamin-Infusionen nicht“, so Ärztin
Hergestellt werden die Infusionen, die als Arzneimittel gelten und deshalb strengsten Auflagen unterliegen, in zwei süddeutschen Apotheken. „Ich kann als Beispiel sagen, dass in unserem Vitamin-C-Drip 7,5 Gramm Vitamin C drinsteckt, das ist vergleichbar mit 17 Kisten Orangen“, sagt die Heilpraktikerin.
Ist dies nun einfach ein subjektives Empfinden oder kann der intravenöse Vitamincocktail auch aus medizinischer Sicht empfohlen werden? „Wenn jemand Beschwerden hat, derentwegen er überlegt, sich eine solche Infusion geben zu lassen, sollte er unbedingt vorher einen Arzt konsultieren“, rät Jana Husemann, erste Vorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbands Hamburg e.V. und Allgemeinmedizinerin mit eigener Praxis auf St. Pauli.
„Ich würde diese Infusionen absolut in den Lifestyle- und Wellnessbereich einordnen, wobei der Placebo-Effekt sicher eine tragende Rolle spielt.“ Dieser sei nicht zu unterschätzen und könne auch viel bewirken, dazu käme sicher die schön gestaltete Umgebung. „Jedoch gibt es eben keine einzige Studie dazu: Medizinisch notwendig sind Vitamin-Infusionen nicht, wenn keine diagnostizierten Mangelzustände vorliegen.“
Ebenso brauche kein gesunder Mensch Supplements, Nahrungsergänzungsmittel in unterschiedlichsten Darreichungsformen. „Zu beachten ist auch, dass überall da, wo man in die Haut reinpikst, auch ein Mini-Infektionsrisiko ist“, gibt die Medizinerin zu bedenken.
Für Brand und Merthens ist die Strategie dennoch klar: Beide setzen auf den Trend, der außerhalb Europas schon zur festen Routine vieler gesundheitsbewusster Menschen gehöre. „Die Leute suchten seit Corona oft nach Alternativen zur Schulmedizin“, meint Brand, „außerdem ist die Selbstverantwortung für das Gesundbleiben bei vielen gewachsen.“ Und die Menschen seien bereit, dafür Geld auszugeben.
Familie Hamburg: „Totale Mundpropaganda innerhalb der Elternschaft“
Sie setzten auf Expansion, haben aktuell einen Pop-up-Store in Berlin mit Aussicht auf dauerhafte Bleibe und sie bieten ihre Infusionen auch in einem Treatment-Raum im Spa des Luxushotels The Fontenay oder für Gäste direkt auf dem Hotelzimmer an. Auch beim Edel-Ausstatter Uzwei in der Kaisergalerie in der Innenstadt gibt es die Möglichkeit, sich nach dem Klamotten-Shoppen in der Abteilung mit den Pflegeprodukten von Niche Beauty eine Infusion legen zu lassen.
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Ihre Geschäftsidee, die in vielen anderen Ländern schon weitaus bekannter und in den Alltag vieler gesundheitsinteressierte Menschen gehöre, lebe übrigens von persönlichen Empfehlungen: „Auch in der Elternschaft ist es eine totale Mundpropaganda“, weiß Merthens, knapp 35 Prozent unserer Kunden kommen wegen der positiven Erfahrungen von Freunden und Bekannten. Der andere Großteil kommt übrigens über Instagram.“