Hamburg. Hamburg scheitert mit Millionen-Abrechnung für endgültig fertiggestellte Straße. Entscheidung könnte Auswirkungen auf ganze Stadt haben.

  • Anlieger des Ehestorfer Wegs in Eißendorf sollten rund 1,4 Millionen Euro für endgültige Fertigstellung bezahlen
  • Doch die betroffenen Anwohner zogen vor das Verwaltungsgericht Hamburg
  • Und sie erwirkten damit ein Urteil, dass ziemlich deutlich ist

Wird die Straße vor der eigenen Haustür saniert, haben Hausbesitzer oftmals nicht nur mit Lärm und Einschränkungen zu kämpfen, sondern werden auch noch zur Kasse gebeten: Rund 1,4 Millionen Euro wollte die Stadt Hamburg Anliegern am Ehestorfer Weg im Stadtteil Eißendorf südlich der Elbe für die endgültige Fertigstellung des Straßenabschnitts in Rechnung stellen. Die Betroffenen zogen vor Gericht.

Stadt Hamburg bittet Anlieger für Straßenbau zur Kasse – nun gibt‘s ein Gerichtsurteil

Und dort erwirkten sie ein Urteil, von dem Rechtsanwältin Barbara Uckon sagt, dass sie es in dieser Deutlichkeit nicht erwartet habe. Die Art, wie Hamburg Anlieger zur Kasse bittet, sei nicht rechtskonform, entschied das Verwaltungsgericht. Das Urteil, so ist die Anwältin überzeugt, hat Auswirkung auf ganz Hamburg.

Es geht nicht darum, ob, sondern wie abgerechnet wird. Einheitssätze, also Pauschalen, die über Jahre galten, waren zuvor als nicht rechtskonform eingestuft worden. Die Stadt hatte danach auf eine Entweder-oder-Lösung gesetzt, bei der wahlweise ein Einheitssatz oder die tatsächlichen Kosten für die Abrechnung – auch rückwirkend – herangezogen werden.

Hamburg: Anlieger sollen bis zu 270.000 Euro Erschließungskosten zahlen

Das geht nicht, urteilte das Verwaltungsgericht im vergangenen Monat. Das Urteil ist mittlerweile rechtskräftig. Erfochten hatte es der Verein „Alte vorhandene Straßen Hamburg“. Jetzt müssen die Anlieger, von denen 40 Parteien Widerspruch gegen die Bescheide eingelegt hatten, erst einmal nicht bezahlen. Dabei geht es um viel Geld. Einzelnen Anliegern waren bis zu 270.000 Euro in Rechnung gestellt worden.

Der Hintergrund: Grundeigentümer werden per Gesetz an den Kosten der Herstellung von Straßen beteiligt, wenn diese der Erschließung ihrer Grundstücke dienen. Gilt eine Wohnstraße noch als unfertig, können dann bis zu 90 Prozent der Kosten für die erstmalige Fertigstellung in Form sogenannter Anliegerbeiträge auf die Grundeigentümer entfallen. Je nach Grundstücksgröße und Umfang der Baumaßnahmen können hohe Beträge fällig werden. Erhoben werden diese Beiträge erst, wenn die Erschließung offiziell endgültig hergestellt ist – und das kann viele Jahre dauern. Bei der Instandsetzung einer fertigen Straße hingegen muss die Stadt für die anfallenden Kosten aufkommen.

Laut Anwältin Barbara Uckon hat die jetzige Entscheidung Auswirkungen auf die gesamte Stadt. „Das Urteil des Amtsgerichts wurde zwar nur in Bezug auf den Ehestorfer Weg gefällt. Es kann sich in Hamburg aber jeder darauf berufen.“ Das sind nicht wenige Betroffene: Mehr als 800 Erschließungsmaßnahmen von alten Straßen mit einer Gesamtlänge von mehr 300 Kilometern werden noch oder sind in den vergangenen Jahren durchgeführt worden. Die Erschließungskosten, das hat der Verein anhand der Gebührenbescheide für den Ehestorfer Weg hochgerechnet, dürften um eine Milliarde Euro liegen, von denen 90 Prozent die Anlieger zahlen müssen.

Urteil interessant für Anlieger, die noch auf Abrechnung warten

Das Urteil ist nach Ansicht der Anwältin vor allem für Anlieger von „endgültig fertiggestellten Straßen“ interessant, bei denen die Arbeiten bereits abgeschlossen sind, wo aber noch nicht abgerechnet wurde. Denn innerhalb von fünf Jahren muss nach der Fertigstellung ein rechtmäßiger Gebührenbescheid erlassen werden. Ansonsten sind die Ansprüche verjährt. Ein Wermutstropfen für alle Anlieger solcher Straßen, die bereits gezahlt haben: Ist der Gebührenbescheid – er muss innerhalb eines Monats nach Eingang überwiesen werden – schon beglichen, bekommt man das Geld nicht zurück.

Wie knapp es für die Stadt in Sachen Gebühren werden kann, haben die Anwohner am Ehestorfer Weg selbst erfahren. Dort waren die Bescheide kurz vor Weihnachten direkt von Behördenmitarbeitern in die Briefkästen eingeworfen worden, wie sich ein Anlieger erinnert. Ein paar Tage später wäre die Frist abgelaufen.

Trotz Urteil ist die Sache für die Anwohner nicht ausgestanden

Ausgestanden ist die Sache für die Anwohner des Ehestorfer Wegs aber trotz des Urteils damit nicht. Zwar wäre mittlerweile die Verjährung eingetreten. Doch die Stadt griff, wie die Anwältin sagt, zu einem „Kniff“. Mittlerweile sei der Verwaltung eingefallen, dass nicht alle Teile der Straße „gewidmet“ worden seien. Somit hätten auch gar keine Bescheide ausgestellt werden dürfen. So wolle die Stadt, glaubt die Anwältin, die Stadt die Verjährung aushebeln, das Verfahren quasi „resetten“. Auch dagegen will man, wenn nötig, klagen. Denn es handelt sich laut Uckon lediglich um einen kleinen Bereich einer Kurve.

Mehr zum Thema

Das ist nur ein Punkt, den die Anwohner als „laxen“ Umgang der Stadt bei der Berechnung ihrer Gebühren anprangern. Weitere Vorwürfe: Anlieger wie der Verkehrsverbund HVV, der ein großes Grundstück dort hat, werden nicht zur Kasse gebeten. Auch der Umbau einer Bushaltestelle in einem bereits abgerechneten Teil des Ehestorfer Wegs sei mit auf der Rechnung der Anlieger gelandet.

Ehestorfer Weg 1842 erstmals erwähnt – erst jetzt fertig?

Dass der Ehestorfer Weg nicht endgültig fertiggestellt ist, möchte ohnehin niemand glauben, der dort wohnt. Denn die Straße ist alt. Sehr alt. Schon 1842 taucht der Ehestorfer Weg in Urkunden auf. Damals gehörte das Gebiet nicht zu Hamburg. Danach folgten zahlreiche Maßnahmen, wie Anfang der 1970er-Jahre der Bau einer Brücke über die Autobahn. Fußweg, Straßenlaternen, Fahrbahn und Siele – alles, was eine fertige Straße ausmacht, gibt es seit vielen Jahrzehnten. Seit 1979 wird die Straße sogar als Hauptstraße geführt.

Optisch hat sich tatsächlich nicht viel getan durch die endgültige Fertigstellung. Am auffälligsten sind die beiden Fahrradstreifen links und rechts an der Straße. Die werden nur selten genutzt. Man kann sich selbst überzeugen: Die meisten Radfahrer benutzten weiterhin den mittlerweile inoffiziellen Radweg einige Meter neben der Fahrbahn, der dort durch den Wald führt.