Hamburg. Besonders Standorte in sozial benachteiligten Stadtteilen betroffen. Häufig gibt es hier viel weniger Bewerbungen als offene Stellen.

Auf den ersten Blick ist es eine Erfolgsgeschichte: Die Behörde für Schule und Berufsbildung hat im laufenden Schuljahr bereits 985 Lehrkräftean den staatlichen Schulen neu eingestellt. Das entspricht mehr als dem jährlichen Bedarf von 900 zusätzlichen Lehrerinnen und Lehrern, die infolge von Pensionierungen und dem anhaltenden Schülerwachstum benötigt werden. Das Fazit des rot-grünen Senats fällt entsprechend positiv aus. „Der bundesweit zu verzeichnende Lehrermangel schlägt sich in Hamburg zurzeit nicht nieder und führt zu keinem Personalproblem“, schreibt der Senat selbstbewusst in seiner Antwort auf eine Kleine Anfrage der CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Birgit Stöver.

Der genauere Blick auf die Details der Senatsantwort zeigt jedoch, dass der Lehrermangel unterhalb der ausgeglichenen Gesamtbilanz an einzelnen Schulen bereits deutlich zu spüren ist. Betroffen sind in erster Linie die Stadtteilschulen und hier vor allem die Standorte in sozial benachteiligten Quartieren. Die größte Differenz zwischen dem rechnerischen Gesamtbedarf an Lehrkräften und dem sogenannten Stellen-Ist, also den besetzten Stellen, weisen diese Schulen auf:

  • Stadtteilschule Mümmelmannsberg mit einem negativen Saldo von 24,04 nicht besetzten Stellen
  • Erich-Kästner-Schule (Farmsen-Berne) -17,02
  • Goethe-Schule Harburg -16,05
  • die Lessing-Stadtteilschule (Harburg) 15,09
  • Stadtteilschule Öjendorf -12,53
  • Stadtteilschule Lohbrügge -12,04
  • und die Julius-Leber-Schule (Eidelstedt) -11,42 Stellen

Etliche Schulen, darunter viele Gymnasien, arbeiten demgegenüber auch mit einem rechnerischen, in der Regel recht kleinen Überhang an Lehrkräften.

Die Selbstverwalteten Schulen stellen Lehrerinnen und Lehrer selbst ein

Zur Wahrheit gehört, dass die einzelnen Standorte im Rahmen der Selbstverwalteten Schule die Einstellungen der Lehrkräfte selbst vornehmen und durchaus absichtlich Stellen freihalten, um bewährten Lehrerinnen und Lehrern zum Beispiel nach Ende der Elternzeit die Rückkehr in das Kollegium zu ermöglichen. Möglich und seitens der Behörde durchaus erwünscht ist auch eine Umwandlung von Lehrerstellen in Stellen für Sozial-, Sonderpädagogen oder Psychologen. Die Senatsantwort zeigt, dass gerade auch die Schulen in sozial schwieriger Lage davon Gebrauch machen, allerdings in deutlich geringerem Umfang als unbesetzte Lehrerstellen vorhanden sind. So sind an der Stadtteilschule Mümmelmannsberg 13,1 Lehrerstellen für andere Professionen umgewandelt, an der Julius-Leber-Schule 6,02 Stellen und an der Lessing-Stadtteilschule 4,33 Stellen.

Ein wichtiger Indikator für die Attraktivität einer Schule bei den Nachwuchslehrkräften ist die Anzahl der Bewerbungen, die es auf Stellenausschreibungen gibt. Auf 14 Ausschreibungen gab es laut Senatsantwort auf die Stöver-Anfrage keine einzige Bewerbung – betroffen sind in erster Linie Schulen in sozial benachteiligter Lage. Hier scheint sich die Situation etwas verbessert zu haben, denn vor einem guten halben Jahr berichtete das Abendblatt, dass es zu Schuljahresbeginn auf 78 freie Stellen nicht eine Bewerbung gegeben hatte. Um geeignete Lehrkräfte für den jeweiligen Standort zu finden, bedarf es wie in anderen Berufsbereichen auch einer gewissen Auswahl unter den Bewerbern und Bewerberinnen.

Die Teilzeitquote bei den Lehrkräften ist mit 59,5 Prozent bundesweit mit am höchsten

An 64 der rund 350 staatlichen allgemeinbildenden Schulen gibt es für Stellenausschreibungen zum nächsten Schuljahr, also zum August 2024, aktuell weniger oder die gleiche Anzahl an Bewerbungen. Auch hier sind Schulen mit niedrigem Sozialindex und Stadtteilschulen überproportional betroffen. Drei Beispiele: Die Guyla-Trebitsch-Schule Tonndorf erhielt auf 35 Ausschreibungen zehn Bewerbungen, an der Goethe-Schule-Harburg lautet das Verhältnis 27:10 und an der Stadtteilschule Wilhelmsburg 25:11. Gegensätzlich fällt die Bilanz am Gymnasium Corveystraße (Lokstedt) mit 37 Bewerbungen auf drei Stellen und am Gymnasium Hoheluft mit 58 Bewerbungen auf sieben Stellen aus. Es gibt aber auch Stadtteilschulen mit positivem Bewerbungssaldo: die Ilse-Löwenstein-Schule (Barmbek-Süd) mit 41 Bewerbungen auf zehn Stellen oder die Stadtteilschule Winterhude mit einem Verhältnis von 18:5.

Eine Möglichkeit für Schulen, freie Stellen für Lehrkräfte zu besetzen, ist die befristete Beschäftigung von Studierenden oder auch Rentnern und Pensionärinnen. Nach Auskunft des Senats sind derzeit rund 200 Lehrer-Vollzeitstellen vorübergehend mit Studenten und Studentinnen besetzt, in der Regel jeweils mit einem geringen Stundendeputat. Zum Vergleich: Ende Dezember 2023 waren 19.251 Lehrerinnen und Lehrer an den staatlichen allgemeinbildenden Schulen unbefristet beschäftigt. Von ihnen arbeiteten 11.456 Frauen und Männer in Teilzeit. Hamburg hat mit 59,5 Prozent eine der höchsten Teilzeitquoten an Schulen unter den Bundesländern. Eine Senkung der Teilzeitquote, um die sich Schulsenatorin Ksenija Bekeris (SPD) bemüht, könnte künftige Mangelsituationen durchaus lindern.

CDU-Schulpolitikerin Birgit Stöver fordert eine stärkere Unterstützung der Schulaufsicht

Die Rekrutierung bereits pensionierter Lehrkräfte, die Bekeris‘ Vorgänger Ties Rabe (SPD) auch stark propagiert hatte, ist noch nicht in großem Umfang erfolgt. Nach Angaben des Senats sind Rentnerinnen und Pensionäre im Umfang von gut 80 Vollzeitstellen an Schulen tätig. Insgesamt werden Rentner und Studierende auf rund 280 Stellen temporär beschäftigt. Zu Beginn des Schuljahres waren es mit 540 Stellen noch doppelt so viele befristet beschäftigte Lehrkräfte gewesen. Schulen nutzen außerdem die Möglichkeit, sogenannte Seiteneinsteiger ohne abgeschlossene Lehramtsausbildung unbefristet zu beschäftigen. Derzeit sind Frauen und Männer dieser Kategorie auf insgesamt gut 420 Vollzeitstellen in Schulen im Einsatz.

„Insbesondere in sozial benachteiligten Stadtteilen haben die Schulleitungen große Schwierigkeiten, ausreichend qualifiziertes Lehrpersonal zu finden. Gerade Schulen mit dem niedrigen Sozialdindex 1 und 2 haben massive Probleme, ihre Stellen zu besetzen. Teilweise sind gerade dort zahlreiche Personalbedarfe unbesetzt“, sagt die CDU-Schulpolitikerin Birgit Stöver. Mit einem Bürgerschaftsantrag fordert die oppositionelle CDU den rot-grünen Senat auf, die Schulen bei der Besetzung ihrer Stellen zu unterstützen und die Lehrkräfte zu entlasten.

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„Konkret bedeutet das, dass die Schulaufsicht und Personalabteilung der Schulbehörde stärker in die Pflicht genommen werden müssen und entsprechende Befugnisse erhalten, falls die nicht vorhanden sind“, sagt Stöver. Schulen in sozial benachteiligten Stadtteilen müssten vorrangig mit qualifizierten Lehrkräften versorgt werden.