Hamburg. Seit April 2024 wird nur noch ein Monat parallel für Mutter und Vater gezahlt. Das wirft viele Pläne um, erzählt ein Hamburger Paar.
Wer gerade ein Kind bekommen hat, will selten sofort wieder arbeiten. Auch in den folgenden Monaten liegt der Jobeinstieg für viele noch in weiter Ferne. Das neugeborene Baby muss gepflegt und gefüttert werden, gewickelt und geschmust – kurz: versorgt. Und das am besten von Mutter und Vater zusammen. Abgesehen von dem praktischen Teil wollen auch Mama und Papa zunächst einmal das Familienglück gemeinsam genießen, bevor der Arbeitsalltag wieder ruft. Um das zu ermöglichen, gibt es für beide Elterngeld. Allerdings sind zum 1. April 2024 Änderungen in Kraft getreten, die nicht jeder Familie eine Hilfe sind.
Elternzeit und Elterngeld – das sind die Regeln:
- Wenn beide Elternteile mindestens zwei Monate Elterngeld beziehen, können sie insgesamt 14 Monate lang in Elternzeit gehen.
- Das Basiselterngeld (auch schlicht Elterngeld genannt) beträgt in der Regel 65 Prozent des durchschnittlichen Monatsnettos einer Person, gemessen am Vorjahr. Es beträgt mindestens 300 und maximal 1800 Euro monatlich pro Elternteil.
- Neben dem Basiselterngeld gibt es das Elterngeld Plus. Es beträgt die Hälfte des Elterngelds und kann auch mit einem begrenzten Nebenerwerb ohne Kürzungen bezogen werden.
- Elterngeld Plus gibt es bis zu 28 Monate lang. Es lässt sich mit dem Basiselterngeld kombinieren.
- Wenn ein Partner Basiselterngeld erhält, kann der andere trotzdem Elterngeld Plus beziehen. Beides auf einmal ist für eine einzige Person nicht möglich.
- Wer vier Monate am Stück Elterngeld Plus bezogen und dabei gearbeitet hat, erhält als Partnerschaftsbonus vier zusätzliche Monate Elterngeld Plus.
Neuregelung beim Elterngeld 2024: Ein Monat statt sieben
Neu am Elterngeld sind vor allem zwei Aspekte. Zum einen besteht seit dem 1. April eine jährliche Obergrenze von 200.000 Euro zu versteuerndem Einkommen pro Paar. Als zu versteuerndes Einkommen wird das Bruttoeinkommen bezeichnet, abzüglich Sonderausgaben, Vorsorgeaufwendungen, individuellen Freibeträgen und außergewöhnlichen Belastungen, so das Bundesfamilienministerium. Wer mehr verdient, bekommt kein Elterngeld. Nächstes Jahr soll diese Grenze weiter auf 175.000 Euro abgesenkt werden.
Zum anderen gilt jetzt: Paare dürfen nur noch maximal einen Monat gemeinsam Elterngeld beziehen. Diese Maßnahme soll vor allem Mütter unterstützen, schneller in den Arbeitsmarkt zurückzufinden. Allerdings bedeutet sie auch: weniger Zeit als Familie. Bislang konnten Eltern volle sieben Monate gemeinsam mit ihrem Nachwuchs zu Hause bleiben. Das wünschen sich auch Anthony Gallo (29) und Melina Brendel (27). Im Juni erwarten sie ihr erstes Baby, und schon jetzt ist der Frust über die gekürzte Familienzeit groß.
Nur vier Wochen als Familie: „Das macht mich fertig!“
Die Wohnung ist fast noch neu. Melina und Anthony sind vergangenen Dezember aus dem Herzen Hamburgs an den Stadtrand gezogen. In Bergstedt haben sie eine helle Dreizimmerwohnung gefunden. Jetzt steht die Fensterbank voller Grünpflanzen, und an den Wänden hängen farbenfrohen Bilder. Kater Fiete streicht durchs Wohnzimmer. Auf der Couch sitzen die werdenden Eltern. Melina ist im siebten Monat schwanger, ein Wunschkind. Eigentlich könnte das Glück perfekt sein. Doch das Timing hat ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Elterngeld: Der Leitartikel zum Thema
„Als wir die Nachricht bekommen haben, dass wir schwanger sind, kam etwa zeitgleich das neue Gesetz zum Elterngeld“, erzählt Anthony. „Für mich ist das schlimm. Ich will für meine Familie da sein und für sie sorgen können, aber natürlich auch Zeit mit ihnen verbringen. Welcher werdende Vater sagt denn nach vier Wochen: ,Gut, ich geh jetzt mal wieder arbeiten, bin dann nach neun Stunden wieder zu Hause.‘? Das macht mich fertig, weil ich weiß, dass meine Frau Unterstützung braucht. Sie braucht die Unterstützung, und ich kann sie ihr nicht geben aufgrund von finanzieller Knappheit.“
Elternzeit und Elterngeld: Wie ein Hamburger Paar rechnet
Auf das Elterngeld zu verzichten oder es mit Elterngeld Plus zu ersetzen, ist für die beiden keine Option. Melina hat nachgerechnet: „Elterngeld Plus beträgt 32,5 Prozent vom letzten Nettoeinkommen, aber allein unsere Wohnung kostet uns schon 30 Prozent – ohne Nebenkosten“. Anthony ergänzt: „Wir mussten in eine größere Wohnung umziehen, damit das Kind in Ruhe aufwachsen kann – aber dafür kostet diese Wohnung jetzt eben das Dreifache von dem, was wir vorher bezahlt haben.“ Die Konsequenz: „Jetzt mache ich noch meinen Führerschein und gehe nebenbei an der Tankstelle arbeiten, um mir das überhaupt alles leisten zu können“. Ein zweiter Monat gemeinsame Elternzeit sei trotzdem nicht drin.
Ein zweites Kind? Derzeit kaum denkbar
Besonders frustriert die werdenden Eltern die finanzielle Ungleichheit, die das neue Konzept mit sich bringe. Denn wer mehr verdient, kann leichter auf das volle Elterngeld verzichten. Die beiden Berufseinsteiger sehen für sich dagegen wenig Chancen. „Wir planen jetzt schon richtig die Einkäufe für die Woche durch, was wir genau wann essen, haben ein gemeinsames Konto angelegt, damit wir irgendwie über die Runden kommen“, erzählt Melina.
Große Anschaffungen sind gerade nicht drin, mal eben schick essen gehen auch nicht. Dabei denken die beiden schon über ein zweites Kind nach. „Ich finde es toll, wenn Kinder mit Geschwistern aufwachsen“, erzählt Melina, „Ich bin auch mit meiner Schwester aufgewachsen, und es ist das Tollste der Welt. Aber der Gedanke ist da: Wie sollen wir das machen? Dann müssten wir umziehen in eine günstigere Wohnung. Aber ob wir in Hamburg eine günstigere Wohnung finden, in der trotzdem mehr Platz ist? Wahrscheinlich nicht.“
„Ich verdiene nicht mal wenig“, so Anthony, „trotzdem muss ich an jeder Ecke sparen – eben auch an der Zeit. Wenn ich drüber nachdenke, wie schnell vier Wochen vorbei sind. Es wird mir das Herz zerreißen, wenn ich das erste Mal wieder zur Arbeit muss und mein Kind bleibt hier. Es ist dann vier Wochen alt, es ist ein Säugling, braucht Nähe, nicht nur von der Mama, sondern auch vom Papa, und ich muss mich nur aus finanziellen Gründen wieder auf den Weg machen und arbeiten gehen. Das macht mich unglaublich sauer und auch traurig.“
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Die Arbeit selbst sei nicht das Problem, wie das Paar betont. „Wir gehen beide gerne unseren Berufen nach. Wir finden es nur schade, dass Zeit mit der ganzen Familie kaum noch gefördert wird.“ Die Entscheidung zwischen Geldverdienen und Zeit mit der Familie hat ihnen „so manche Nacht den Schlaf geraubt“.