Hamburg. Wie stark beeinflusst Kiffen die Fahrtauglichkeit? Wir haben den Test gemacht. Warum die Fahrt bereits nach ein paar Minuten endete.

Was für ein Albtraum! Du fährst Auto und plötzlich ist alles verzerrt. Die Mittellinie verschwimmt, und die rechte Fahrbahnbegrenzung ist doppelt vorhanden, eine davon springt vor dem Auge hin und her. Keine Möglichkeit der Orientierung, keine Chance, die Spur zu halten. Das Auto gerät ins Schlingern, der Grünstreifen kommt immer näher. Du bekommst Panik, reißt das Steuer herum, trittst auf die Bremse. Alles dreht sich, dir wird schlecht. Du musst hier raus. Sofort!

Diese Szene ist nicht ausgedacht, sie ist genauso passiert. Beim Autofahren unter Cannabis-Einfluss. Angesichts der umstrittenen Cannabis-Legalisierung wollten wir wissen, welche Auswirkungen Kiffen auf die Fahrtauglichkeit hat – und haben den Selbsttest gemacht. Das Ergebnis ist erschreckend.

Albtraum am Steuer: Mit Cannabis Auto gefahren und Unfall gebaut!

Ortstermin am Hamburger Hauptbahnhof: Auf dem Platz vor der Drogenhilfeeinrichtung Drob Inn am Hauptbahnhof stehen schon am frühen Vormittag an die hundert Menschen. Der Geruch von Urin und Gras liegt in der Luft. Hier wollen wir das nötige Equipment für unseren Cannabis-Test besorgen.

Ein paar Meter entfernt, in einer Nebenstraße befindet sich die Geschäftsstelle von SUCHT.HAMBURG – eine Anlaufstelle rund um alle Suchtfragen, die sich für die Suchtprävention starkmacht. In einem Büro im 6. Stock bekommen wir eine Tasche überreicht. Natürlich ist darin kein Cannabis! Um Himmels willen! Aber eine sogenannte Rauschbrille, mit der die Wirkung von Cannabis simuliert werden kann.

Damit wollen wir unsere Fahrtauglichkeit testen. Natürlich nicht auf der Straße, sondern in einem Fahrsimulator der Academy Fahrschule Wetjen am Glockengießerwall. Dort erwartet man uns sowie die Brille bereits. Doch selbst die Experten vor Ort haben nicht mit diesem Ergebnis gerechnet.

Horror bei Selbsttest: Mit Cannabis Auto fahren – plötzlich geht nichts mehr

Bereits auf dem Weg dorthin sind wir so neugierig, dass wir die Brille einmal kurz aufsetzen – und das Experiment fast abbrechen. Denn der Blick durch die Brille ist so krass, so verstörend, dass eine Autofahrt damit unmöglich scheint. Plötzlich gibt es keine klaren Bilder mehr, die Umgebung zerspringt zu einem Kaleidoskop aus bruchstückhaften Teilen.

Es ist, als ob jemand einen Spiegel zertrümmert und falsch zusammengesetzt hat. Ich sehe meine Hände und Füße doppelt und habe keine Ahnung, welche die richtigen sind und welche eine optische Täuschung. Totale Überforderung für Augen und Gehirn, nach wenigen Sekunden rebelliert der Magen.

Fahren unter Cannabis-Einfluss: Wir machen einen Selbsttest mit einer Rauschbrille.
Fahren unter Cannabis-Einfluss: Wir machen einen Selbsttest mit einer Rauschbrille. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

Cannabis-Legalisierung: Kein Freifahrtschein für Kiffen und Autofahren

Länger als eine Minute halte ich es nicht aus, dann muss die Brille ab. Doch selbst danach dreht sich alles. Wenn sich Kiffen wirklich so anfühlt, dann – nein, danke! Nach Herstellerangaben ist die Brille in Zusammenarbeit mit einem Optiker sowie freiwilligen Probanden entstanden und soll den Konsum von 2 bis 4 Joints simulieren.

Auch wenn einige Nutzer im Internet monieren, dass Cannabis eine ganz andere Wirkung habe als die Brille – „die Gefahren für den Straßenverkehr lassen sich mit einer solchen Brille ganz treffend simulieren. Bei einigen Probanden zeigte sich vor allem eine beeinträchtige Wahrnehmung im Raum und Schwindel“, sagt Joachim Klaus von der Firma Windaus Labortechnik, die die Brillen vertreibt.

Wie recht er hat! Die Beeinträchtigung ist so groß, dass mir selbst beim Sitzen übel wird. Höchste Zeit, Unterstützung ins Boot zu holen – oder ins Auto.

Fahrschullehrerin: „Viele Leute werden nach der Legalisierung den Führerschein verlieren.“

Mila Hanck (33) arbeitet seit vier Jahren als Fahrschullehrerin, etwa 40 Stunden pro Woche verbringt sie mit ihren Schülern auf der Straße. Wenn jemand den Fahrsimulator mit Cannabis-Brille bezwingen kann, dann sie. Eine Art Superwoman im Batmobil. Meine ich. Sie selbst allerdings nicht. „Ich fahre auf der Straße definitiv besser als im Simulator“, sagt Mila Hanck, bevor sie in die Auto-Attrappe klettert und den An-Knopf drückt. Erst mal ohne Brille, und das ist auch gut so. Denn sowohl sie als auch ich werden später im simulierten Rausch den Schalter nicht sehen, sondern nur ertasten können.

Klar, das Experiment ist irgendwie lustig, die Realität nicht. Das weiß Mila Hanck von den Erzählungen ihrer Fahrschüler. „Für die ist Kiffen ein wichtiges Thema.“ Immer wieder wird sie von den Jugendlichen gefragt, ob man nach einem Joint noch fahren kann. Und immer wieder wird ihr erzählt, dass das doch alle tun. Bekifft Auto fahren. „Wer Alkohol getrunken hat, ist sich der Gefahr meistens bewusst und lässt das Auto stehen. Bei Cannabis tun das aber leider die wenigsten“, sagt Mila Hanck. Sie glaubt, dass gerade junge Leute nach der Legalisierung reihenweise ihren Führerschein verlieren werden - sollte es zu Kontrollen kommen.

Fahrlehrerin Mila Hanck testet die Rauschbrille ebenfalls im Fahrsimulator.
Fahrlehrerin Mila Hanck testet die Rauschbrille ebenfalls im Fahrsimulator. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

Denn auch wenn das Gesetz zur Legalisierung kommt und zu der Vorstellung führt, dass Kiffen keinerlei rechtliche Einschränkungen mehr mit sich bringt – Autofahren nach Cannabis-Konsum ist und bleibt laut Straßenverkehrsgesetz verboten. Derzeit greift beim Fahren unter Einfluss von Cannabis der Grenzwert von 1,0 Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum. Diesen Wert sollen angeblich sogar Gelegenheits-Kiffer oft schon nach einem Joint überschreiten.

„Wenn die Fahrerlaubnisbehörde von einer Drogenfahrt oberhalb dieses Grenzwerts erfährt – auch wenn man keine Ausfälle zeigt – wird sie Zweifel an der Fahreignung haben und eine MPU anordnen“, warnt der ADAC. Sprich: Der Lappen ist weg, um es mal ganz deutlich zu sagen.

Derzeitiger Grenzwert von 1,0 Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum soll überprüft werden

Ob dieser Grenzwert richtig oder zu niedrig angesetzt ist, werde laut ADAC schon seit Jahren diskutiert. Der Grund: Der derzeitige Grenzwert sei so niedrig, dass er lediglich einen Cannabis-Konsum nachweise. Einen zwingenden Rückschluss auf eine verkehrssicherheitsrelevante Wirkung lasse er jedoch nicht zu. Das nun beschlossene Gesetz sieht vor, dass das Verkehrsministerium THC-Grenzwerte für das Führen von Kraftfahrzeugen auf wissenschaftlicher Grundlage ermittelt.

Ich stelle mir kurz vor, wie eine Gruppe von Freiwilligen „für Studienzwecke“ Joints raucht und danach ihre Fahrtauglichkeit unter Beweis stellen muss. Klingt für viele bestimmt nach einer verlockenden Jobbeschreibung.

Aber zurück ins Hier und Jetzt – wobei „Hier“ nicht das richtige Wort ist. Denn die Stadt auf dem Bildschirm des Fahrsimulators ist eindeutig eine andere als Hamburg. Es gibt Fachwerkhäuser und richtig viel Grün am Straßenrand. Erinnert ein bisschen an Süddeutschland, so der erste Eindruck.

Cannabis-Brille: Selbst das Anschnallen im Auto klappt nicht

Während sich Mila Hanck mit der Cannabis-Brille von Superwoman zum Schrecken der Straße entwickelt, geben der Fahrsimulator und ich schlaue Bemerkungen ab. Zuerst ist sie zu langsam, dann viel zu schnell. „Ich kann die Geschwindigkeit auf dem Tacho nicht erkennen“, erklärt Mila Hanck und hält kurz am Bordstein, um sich zu orientieren. Dann geht es weiter. Aber leichter wird es nicht. Denn laut Anweisungen soll sie rechts abbiegen – und das ist im vorgetäuschten Rauch schier unmöglich. Sie gerät erst auf die Gegenfahrbahn, dann kracht sie gegen einen Poller. Game over.

Zeit, selbst die Zügel – oder das Lenkrad – in die Hand zu nehmen und es besser zu machen. Da ja jedes Kind weiß, wie schwer innerstädtische Fahrten sind, entscheide ich mich für eine Spritztour auf der Autobahn. Schließlich geht es da nur geradeaus, das kann ja selbst mit Cannabis-Brille nicht so schwer sein. Oder?

Doch die Probleme beginnen schon vor der Fahrt. Ich kann mich nicht anschnallen, kann das Gurtschloss nicht sehen, sondern nur ertasten. Ich probiere, den Blick klarzustellen, doch gegen die Brille habe ich keine Chance. Jedes Objekt wird als Kaleidoskop ausgespielt. Der Tacho, der Blinker, das Steuer.

Sogar den Startknopf treffe ich nicht, sondern drücke immer daneben. Es ist wie bei einem dieser 3-D-Bilder, auf die man so lange gucken muss, bis man etwas erkennt. Doch hier gibt es keinen Aha-Effekt, kein Erkennen. Im Gegenteil. Je länger man die Brille aufhat, umso schlimmer wird es.

Mit Rauschbrille Auto fahren: Fahrlehrerin Mila Hanck kommt beim Test von der Straße ab.
Mit Rauschbrille Auto fahren: Fahrlehrerin Mila Hanck kommt beim Test von der Straße ab. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

Horror bei Selbsttest: Schild ist nur ein schemenhafter Umriss, die Geschwindigkeit kaum zu erkennen

Es hilft nichts, wenn ich damit fahren will, dann jetzt, sofort. Sonst wird mir so schlecht, dass ich statt eines Textes einfach eine leere Seite abgebe. Jawohl! Also langsam Gas geben und los. Gas, kuppeln und bremsen – das kann ich nach mehr als 30 Jahren Autofahren im Schlaf. Dafür muss ich nichts sehen, nur fühlen. Doch die Orientierung auf der Straße ist unmöglich. Mal bin ich zu weit rechts, dann plötzlich auf der Gegenfahrbahn. Plötzlich ruckt es, der Sicherheitsgurt spannt. Was war das?

Das System hat mich ausgebremst. Früher war es mein Fahrschullehrer Herr Lembke, der bei einem Fehler auf die Bremsen getreten ist, heute ist es der Computer. „Das klappt gerade nicht so richtig“, so der Kommentar der Maschine. Na, vielen Dank auch, das weiß ich selbst. Aber immerhin hat der computergesteuerte Fahrlehrer auch noch ein paar aufbauende Worte auf Lager. „Bleib ruhig und probiere es noch mal.“

Kein Erbarmen also. Das System schickt mich Richtung Autobahn. Das blaue, vertraute Schild kann ich schemenhaft erkennen, sonst nichts. Die Auffahrt zur Autobahn sehe ich erst, als ein rotes Auto dort rauskommt. In letzter Sekunde reiße ich das Steuer rum, um die Kurve noch zu kriegen. Die Straße macht eine Biegung, aber ich kann meine Fahrspur nicht erkennen. Ich gerate ins Schlingern, es kapitulieren erst mein Magen, dann die Augen. Es ist, als ob sie von alleine zugehen, weil sie die Eindrücke nicht länger verarbeiten können.

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Schluss, Aus, Ende! Fertig mit den Nerven, und das nach wenigen Minuten. Ich schaffe es kaum, aus dem Simulator zu klettern. Die Knie sind weich, die Orientierung immer noch beeinträchtigt. Schwindel, Übelkeit. Keine Ahnung, wann ich mich mal so schlecht gefühlt habe. Ich, die es mit jeder Achterbahn aufnimmt und weder Loopings noch Sturzfahrten fürchtet. Ich kapituliere vor einer Cannabis-Brille.

Es heißt, dass sich Cannabis wesentlich langsamer abbaut als Alkohol. Ein Konsument sollte also nach dem Kiffen mindestens 24 Stunden warten, ehe er sich wieder hinter ein Steuer setzt. Aber: Auch nach einmaligem Kiffen kann THC frühestens nach einem Monat nicht mehr nachgewiesen werden! Wer regelmäßig Cannabis konsumiert, muss sogar damit rechnen, dass THC noch länger als drei Monate in seinem Körper nachweisbar ist! Mit fatalen Folgen: Sollte der Konsument in dieser Zeit einen Unfall bauen und man kann ihm die THC-Abbauprodukte im Blut nachweisen – dann ist der Führerschein vermutlich weg.

Die Sache ist klar: Auch wenn ich den Cannabis-Konsum nur simuliert habe, auch bei mir halten die Nachwirkungen lange an. Nach Hause fahre ich mit der U-Bahn. Sicher ist sicher!