Hamburg. Zentralstelle hat mehr als 1300 Fälle in fünf Jahren, darunter Geiseldrama und Antisemitismus-Taten. Welche Aufgaben dazukommen.
Unter dem Eindruck der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) und der durch sie verübten Anschlägen in Europa initiierte Hamburgs Generalstaatsanwalt Jörg Fröhlich vor fünf Jahren die Zentralstelle Staatsschutz. Mittlerweile sind mehr als 1300 Fälle durch diese aus fünf Staatsanwälten bestehende Abteilung bearbeitet worden, die nicht nur für Hamburg, sondern auch für Schleswig-Holstein, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern zuständig ist. Die Fallzahlen haben sich von 151 im Jahr 2020 auf 463 im vergangenen Jahr mehr als verdreifacht.
Gerade in den vergangenen Jahren sind neue Gruppen dazugekommen, wie die sogenannten Reichsbürger oder Delikte wie Hasskriminalität, die vorwiegend im Internet begangen werden. Fröhlich geht davon aus, dass die Zentralstelle in den kommenden Jahren weitere Aufgaben dazubekommt. Er kann sich vorstellen, dass auch Angriffe auf Einsatzkräfte dort bearbeitet werden. „Die Zentralstelle wird über kurz oder lang wahrscheinlich erweitert werden müssen“, sagt der Generalstaatsanwalt.
Angriff auf Einsatzkräfte soll Staatsschutzdelikt werden, Cyberkriminalität wird wichtiger
„Wir haben ständig mit neuen Phänomenen zu tun“, so Fröhlich. Er kann sich sogar eine Umstrukturierung der Zentralstelle vorstellen, wenn sich das Verständnis für Staatsschutzdelikte ändert und man verstärkt operativ arbeiten will. „Wenn wir uns in fünf Jahren treffen, wird die Zentralstelle einen anderen Umfang an Personal und Aufgaben haben“, glaubt er. Die Zentralstelle sei ein Erfolg, sagt auch Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne).
Was in Zukunft vermehrt relevant sein wird, hat sich bereits in diesem Jahr angedeutet. 18 Stunden hatte ein Vater sein eigenes Kind in seiner Gewalt, drang mit einem Auto in den Sicherheitsbereich des Hamburger Flughafens ein, stand auf dem Vorfeld des Airports und wollte so seine Ausreise in die Türkei erzwingen. Den Fall hat die Zentralstelle an sich gezogen, weil es auch um einen Angriff auf die Infrastruktur ging.
Zentralstelle Staatsschutz: Reichsbürger haben es auf Infrastruktur abgesehen
Infrastruktur war auch das Ziel einer Gruppe von Reichsbürgern, die nicht nur Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) entführen, sondern auch die Regierung stürzen wollten – und in dem Zusammenhang als flankierende Maßnahme Anschläge auf Infrastruktur wie das Stromnetz planten.
Auch das bislang, so Fröhlich, „von uns fast gänzlich unbeachtete Feld der Cyberkriminalität“ ist relevant, wenn es sich um strukturelle Angriffe auf die digitale Infrastruktur handle. Dabei müsse man die Kernaufgaben im Blick behalten. „Der internationale Terrorismus, wenn auch nicht sichtbar, wächst“, so Hamburgs Generalstaatsanwalt.
Insgesamt sei das Bild mit dem Blick auf Gefahren für den Rechtsstaat „diffuser“ geworden. „Wir haben von rechts, von links, von innen heraus an allen Ecken und Kanten Protagonisten, die mit unterschiedlichen Mitteln versuchen, die gesellschaftliche Ordnung zu unterwandern“, so Fröhlich. Dazu gehören wohl auch zwei Männer, die aus der nationalbolschewistischen Ecke kamen und ideologisch dem sozialistischen Flügel der frühen NSDAP nacheiferten.
Zentralstelle Staatsschutz: 190 Verfahren nach Terrorangriff der Hamas auf Israel
Dazu kommen Delikte, die „importiert“ sind. Im Zusammenhang mit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel sind bei der Zentralstelle mittlerweile 190 Verfahren anhängig, 58 davon antisemitisch. Es geht dabei um Delikte wie Volksverhetzung, Verwendung von Symbolen terroristischer Organisationen, Beleidigung oder Sachbeschädigung. Die Delikte wurden oft im Zusammenhang mit pro-palästinensischen Demonstrationen verübt.
Zur Zentralstelle gehören auch die Delikte, die nach dem „Al-Capone-Prinzip“ abgearbeitet werden. Das bedeutet, dass auch ein Ladendiebstahl, der durch eine als sogenannter „Gefährder“ eingestufte Person verübt wurde, durch die Zentralstelle bearbeitet wird.
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Im Fokus bleiben die Taten, bei denen es um Terror geht. Das betrifft etwa zwei syrische Brüder, die als Rache für Koranverbrennungen einen Bombenanschlag auf eine Kirche in Schweden verüben wollten, oder ein 20 Jahre alter Deutsch-Marokkaner, dessen Vater schon Verbindungen zur Terrorzelle um Mohammed Atta hatte, welche die Anschläge am 11. September 2001 in den USA verübten. Zum Jahrestag 2021 wollte er eine mit Schrauben gespickte Bombe zünden.
Zentralstelle Staatsschutz: „General“ spricht von „Ritt auf der Rasierklinge“
In beiden Fällen griffen die Sicherheitsbehörden zu, nachdem sich die Täter bereits Grundstoffe für den Bombenbau besorgt hatten. Das ist auch das „Kunststück“, das die Staatsanwälte der Zentralstelle, die Fröhlich als „Elite“ bezeichnet, beherrschen müssen. Es muss genug Beweismaterial zusammenkommen, um eine Verurteilung zu erreichen, ohne dass die Tat begangen werden kann. Das sei oft „ein Ritt auf der Rasierklinge“.