Hamburg. Seit 2024 gilt auf neuen Dächern Solarpflicht. Verordnung ermöglicht massenhaft Ausnahmen – das jedenfalls fürchten Klimaschützer.
Die Vorgaben sollen das Klima schützen und die fossilfreie Energieerzeugung voranbringen: Schon seit 2023 müssen Dächer von Neubauten in Hamburg mit Photovoltaikanlagen ausgestattet werden, seit diesem Jahr gilt diese Pflicht auch bei Dacherneuerungen in Bestandsgebäuden. Die grundsätzlichen Regelungen dazu hat die Bürgerschaft im Dezember mit dem Klimaschutzstärkungsgesetz und der Fortschreibung des Hamburger Klimaplans beschlossen. Nun aber gibt es Streit um die Feinheiten – und die sind entscheidend, etwa bei der Frage, wer von der Pflicht befreit wird.
Hintergrund: Die Details der Photovoltaikpflichten und mögliche Ausnahmen werden in einer Rechtsverordnung festgeschrieben. Kurz vor Weihnachten hat der Senat einen Entwurf für diese Verordnung beschlossen, und bis vergangenen Freitag konnten Verbände Stellung nehmen. In den Reaktionen gibt es zum Teil deutliche Kritik an dem Entwurf. Denn aus Sicht etwa des Naturschutzverbandes BUND öffnet die Verordnung ein großes Tor für Ausnahmen.
Solarenergie in Hamburg: Wird Photovoltaikpflicht durch die Hintertür aufgeweicht?
„Mit dem vorliegenden Entwurf der Rechtsverordnung kann nicht mehr von PV-Pflicht gesprochen werden“, sagte die BUND-Landesvorsitzende Sabine Sommer dem Abendblatt. „Denn für einen großen Teil von Hamburgs Dachflächen wäre die PV-Pflicht so schlichtweg freiwillig. Dabei bieten gerade die Dächer von Mehrfamilienhäusern große Flächen für die Aufstellung von PV-Anlagen.“
Das Risiko, dass sich massenhaft Wohnungsunternehmen um die PV-Pflicht drücken könnten, entsteht laut BUND vor allem durch zwei Punkte. Zum einen sind viele Wohnungsunternehmen von der Gewerbesteuer befreit. Wenn sie nun aber Photovoltaikanlagen auf den Dächern ihrer Gebäude betreiben und damit Einnahmen erzielen, könnten sie dadurch diese Gewerbesteuerbefreiung insgesamt verlieren. Das kann man ihnen nicht zumuten, denn damit wäre die Installation der PV-Anlagen für sie nicht wirtschaftlich. Eine Möglichkeit, um dieses Problem zu lösen: Die Wohnungsunternehmen beauftragen andere Firmen, auf den Dächern ihrer Gebäude die PV-Anlagen zu betreiben. So würde der Pflicht Genüge getan und die Steuerbefreiung der Unternehmen bliebe erhalten.
Solardachpflicht in Hamburg: Wenn Betrieb unwirtschaftlich ist, muss nicht installiert werden
Nach der früheren Verordnung konnten sich Wohnungsunternehmen mit Blick auf das Steuerproblem nur dann von der Solardachpflicht befreien lassen, wenn sie nachwiesen, dass sie drei Drittfirmen als Betreiber der Anlagen erfolglos angefragt hatten. Dieser Passus aber wurde in der neuen Verordnung gestrichen. Mithin: Es gibt keine Pflicht mehr, andere Firmen zu beauftragen, stattdessen könnten die Unternehmen darauf setzen, kein PV installieren zu müssen – weil sie ja sonst den Vorteil der Gewerbesteuerbefreiung verlören. Damit, so fürchten es der BUND und andere, könnten sich künftig alle Wohnungsunternehmen, die von der Gewerbesteuerpflicht befreit sind, um die Solardachpflicht herummogeln.
Der zweite Punkt betrifft Zusatzkosten. Um nachzuweisen, dass die Installation der PV-Anlage nicht wirtschaftlich ist, könnten laut Kritikern nun auch Kosten angerechnet werden, die bei der Umstellung der Hauselektrik (meist im Gebäudekeller) anfallen. Damit werde es deutlich einfacher, den Nachweis zu führen, dass die PV-Anlage nicht wirtschaftlich zu installieren bzw. betreiben ist.
Kritiker: „Bremsen Sie die urbane Energiewende nicht aus!“
In der Summe würden durch diese Ausnahmeregelungen womöglich Tausende Gebäude von der PV-Pflicht ausgenommen, so die Befürchtung. „Wenn der Entwurf nicht angepasst wird, wird hier wichtiges Potenzial verschenkt“, sagte BUND-Chefin Sabine Sommer. „Wir fordern den Hamburger Senat deshalb dringend auf, die Rechtsverordnung nachzubessern.“
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Kritik kommt auch vom Energieversorger Green Planet Energy. Der Senat habe ein „ambitioniertes Klimaschutzprogramm auf den Weg gebracht“, und die „fortschrittliche PV-Pflicht für Neubauten ist dabei ein wichtiger Baustein“, sagte die Bereichsleiterin Politik und Kommunikation, Carolin Dähling. Nun aber dürfe der Senat die „urbane Energiewende“ nicht per Verordnung wieder ausbremsen. „Das wäre nicht nur ein Nachteil für den Wirtschaftsstandort Hamburg, sondern würde auch dazu führen, dass weniger Mieterinnen und Mieter von günstigem Solarstrom vom Hausdach profitieren können“, so Dähling. „Wir appellieren an den Senat: Behalten Sie Ihre guten und bestehenden Regelungen zur PV-Plicht bei!“
Photovoltaik in Hamburg: Kerstan-Behörde zeigt sich offen für Kritik
In der federführenden Umweltbehörde von Senator Jens Kerstan (Grüne) zeigt man sich offenbar beeindruckt von der Kritik. „Im Rahmen der Auswertung der Stellungnahmen der Verbände werden Anpassungsbedarfe an den aktuellen Verordnungsentwurf geprüft und ggf. umgesetzt“, sagte Behördensprecherin Renate Pinzke auf Abendblatt-Anfrage. Die Möglichkeit, die PV-Pflicht durch Dritte (also externe Firmen) solle erhalten bleiben.
„Ziel ist es, einen größtmöglichen und flächendeckenden Ausbau von Photovoltaikanlagen auf den Dächern Hamburgs sicherzustellen“, so Pinzke. Wenn sie meinten, eine PV-Anlage lasse sich auf ihrem Gebäude nicht wirtschaftlich betreiben, müssten die Besitzer dies auch künftig „mit geeigneten Nachweisen plausibel darstellen“.