Hamburg. Amoklauf, Schießereien oder Beziehungstaten – Polizei registriert Zunahme bei schwerster Gewalt. Eine Waffe spielt eine zentrale Rolle.
Die Zahlen sind alles andere als erfreulich. Schon jetzt musste die Hamburger Mordkommission im noch laufenden Jahr 60-mal zu Tatorten von vollendetem oder versuchtem Mord oder Totschlag ausrücken. Das ist eine deutliche Steigerung gegenüber dem Vorjahr. Im Jahr 2022 registrierte die Polizei in Hamburg noch 35 solcher Fälle.
Geht es um die tatsächlich vollendeten Tötungsdelikte, bei denen ein Mensch zu Tode kam, ist die Entwicklung dramatisch. In diesem Jahr gab es so viele Opfer wie seit über zehn Jahren nicht mehr: 31 Menschen verloren schon jetzt in 2023 durch Tötungsdelikte in Hamburg ihr Leben. Im vergangenen Jahr waren es elf.
Bei den Zahlen für das laufende Jahr handelt es sich allerdings noch um Fälle, die in die sogenannte Eingangsstatistik einfließen. In die offizielle Statistik gehen allerdings am Ende erst fertig ermittelte und an die Staatsanwalt übergebene Fälle (Ausgangsstatistik) ein, deren Zahlen daher abweichen können.
Polizei Hamburg: In einer Straße gab es auffällig viele Tötungsdelikte
Allein bei dem Amoklauf bei den Zeugen Jehovas im März wurden sieben Menschen getötet. Dazu kommt ein Doppelmord vor nicht einmal einem Monat in einer Flüchtlingsunterkunft in Winterhude. Und auch das zeigt die Statistik: Es wird wieder mehr geschossen in Hamburg.
Das Jahr 2023 war nur wenige Stunden alt, als die Mordkommission ihren ersten Fall hatte. Am U-Bahnhof Dehnhaide war ein 36-Jähriger niedergestochen worden. Es sollte in der Statistik die erste von mindestens 27 Taten werden, bei denen ein Messer eingesetzt wurde. Damit wird, wie in den Vorjahren, keine andere Waffe bei Tötungsdelikten häufiger eingesetzt. Dehnhaide: Diese Straße hat die Mordkommission 2023 noch mehrmals beschäftigt. Zu insgesamt drei Einsätzen rückte das LKA 41 dorthin aus.
Verbrechen Hamburg: Gleich zu Jahresbeginn Schießerei zwischen zwei Autoinsassen
Nur ein paar Tage nach dem ersten Einsatz wurde in Hamburg scharf geschossen. In Tonndorf feuerten die Insassen zweier Fahrzeuge gegenseitig mit scharfen Waffen aufeinander. Wie durch ein Wunder wurde niemand getötet. Der Hintergrund der Tat dürfte im Dealermilieu liegen. Geschossen wurde 2023 auffallend oft.
Eine unfassbare Tat ereignete sich am 9. März. Nach einem Gottesdienst der Zeugen Jehovas feuerte Philipp F. (35) auf Gemeindemitglieder. Sieben Menschen starben, darunter ein Kind im Mutterleib. Der Mann, der selbst einmal zu den Zeugen Jehovas gehörte, richtete sich selbst, als die Polizei eintraf. Es war eines von zehn Tötungsdelikten in diesem Jahr, bei dem eine Schusswaffe zum Einsatz kam. Der Fall löste eine riesige Diskussion um legale Schusswaffen aus. Allerdings wurden bei allen anderen dieser Taten, die im öffentlichen Raum stattfanden, illegal organisierte Schusswaffen eingesetzt.
Polizei Hamburg: Der Mai war ein besonders blutiger Monat
Besonders blutig war der Mai. Acht Tötungsdelikte wurden in diesem Monat bekannt. In einem Fall führte die Tat die Ermittler ins feine Blankenese. Dort hatte ein 28-Jähriger seine Mutter getötet. Er ist einer von mindestens fünf psychisch gestörten Tätern, die die Mordkommission in diesem Jahr ermittelte. In einem Fall war der Täter ein Senior, der auf der Demenzstation eines Krankenhauses einen Mitbewohner erschlagen hatte.
Er ist einer von mehreren Senioren, die die Mordkommission in diesem Jahr als Täter ermittelte. Dahinter stecken in der Regel tragische Umstände. Im Juli tötete in Hamm ein 84-Jähriger seine zwei Jahre jüngere Frau und brachte sich um. Im Juli manipulierte in Nettelnburg ein 83-Jähriger den Herzschrittmacher seiner Frau. Nachdem sie tot war, erstickte er sich selbst mit einer Plastiktüte. Das Paar war verzweifelt gewesen. Die Frau sollte in ein Heim. Im September nahm die Polizei einen 74-Jährigen fest, der in Neuallermöhe in betrunkenem Zustand seiner Frau ein Messer in den Hals gerammt hatte.
Tötungsdelikte: Auch betagte Frauen wurden Opfer
Drei von 17 Frauen, die in diesem Jahr Opfer bei Tötungsdelikten wurden, galten als betagt. In zwei Fällen töteten Enkel ihre Großmütter. Ein Opfer war eine 100 Jahre alte Frau, die von ihrem Enkel mit einem Beil erschlagen wurde, weil er sich mit der Pflege überfordert fühlte. In einem anderen Fall wurden einer Seniorin Drogen gespritzt, möglicherweise auf Verlangen. Und in einem weiteren Tötungsfall erschlug der psychisch gestörte Sohn seine Mutter. Erschreckend: Wurde eine Frau Opfer eines lebensgefährlichen Angriffs, so kam sie dabei in rund 60 Prozent der Fälle auch tatsächlich ums Leben. Die meisten dieser Taten waren sogenannte Beziehungstaten, bei denen zwischen Opfer und Täter eine familiäre oder partnerschaftliche Bindung besteht oder bestand.
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Opfer eines versuchten Tötungsdeliktes wurde in diesem Jahr auch ein Polizist. Er war bei einer Verkehrskontrolle gezielt von einem Audi angefahren und schwer verletzt worden. Später stellte sich ein 18-Jähriger, der, obwohl er keinen Führerschein besaß, das Auto bei einem Carsharing-Unternehmen geliehen hatte. Gegen ihn wurde ein Verfahren wegen versuchten Mordes eingeleitet.
Polizei Hamburg: 2023 ist ein brutales Jahr – mit nur einem Lichtblick
Ausgerückt ist die Mordkommission in diesem Jahr auch zu einem „Altfall“. Am 15. Januar hatte ein Angler in Wilhelmsburg Skelettteile aus einem Kanal gezogen. Es waren die Überreste einer seit 2013 vermissten Bulgarin. Ihr damaliger Liebhaber war schon damals in Verdacht geraten. Jetzt, nachdem die Leiche gefunden wurde, vollstreckte die Polizei gegen ihn bei dessen Einreise aus der Türkei einen neu erwirkten Haftbefehl.
Angesichts der aktuellen Zahlen wird 2023 wohl eines der Jahre mit den meisten Tötungsdelikten in den vergangenen zehn Jahren werden. Einziger kleiner Lichtblick: Seit Beginn der Adventszeit hat es bisher noch keinen weiteren Fall von versuchtem oder vollendetem Mord oder Totschlag in Hamburg gegeben.