Hamburg. Angeklagte behandelte Frauen mit Hyaluron ohne Qualifikation – Schulung durch Videos. Was Hamburger Kundinnen durchleiden mussten.
Das Schild an der Haustür war professionell gestaltet, der Behandlungsstuhl erinnerte an den bei einem Zahnarzt. Und die zahlreichen Zertifikate, die Elif B. (Name geändert) besaß, suggerierten eine umfangreiche Qualifikation. Etliche Frauen dachten, sie wären bei der 25-Jährigen in den besten Händen, wenn sie sich von der Hamburgerin die Lippen mit Hyaluron unterspritzen oder Falten an der Nase aufpolstern ließen. Doch das Ergebnis war oft weit davon entfernt, attraktiv zu sein. Manchmal war es sogar schmerzhaft. Und vor allem: Elif B. hätte solche Behandlungen niemals vornehmen dürfen.
Denn eine Zulassung als Heilpraktikerin, die Voraussetzung gewesen wäre, hat die Hamburgerin nie erworben. Weil sie trotzdem bei 39 Kundinnen die Lippen mit Hyaluron-Spritzen aufgepolstert haben soll, muss sich die 25-Jährige jetzt im Prozess vor dem Amtsgericht Hamburg verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr gefährliche Körperverletzung, gewerbsmäßigen Betrug und Verstoß gegen das Heilpraktikergesetz vor.
Prozess Hamburg: Kundinnen glaubten, sie seien beim Profi
Laut Anklage kassierte sie rund 10.000 Euro in bar für Behandlungen, bei denen zumindest einige Kundinnen unter schmerzhaften Folgen zu leiden hatten. Den Ermittlungen zufolge gingen die Frauen davon aus, dass sie bei Elif B. eine qualifizierte Behandlung bekommen. Keine der Kundinnen hätte sich von ihr die Hyaluron-Spritzen verpassen lassen, wenn sie gewusst hätten, dass die 25-Jährige über keine entsprechende Ausbildung verfügte, heißt es.
Stark geschwollene Lippen, die aussehen, als könnten sie schon bei leichtester Berührung platzen: Einige Fotos, die das Werk von Elif B. dokumentieren, lassen ahnen, dass diese Kundinnen alles andere als zufrieden waren. Anstatt ihr Äußeres verschönert zu bekommen, sei bei ihr das Ergebnis „sehr unästhetisch“, hat beispielsweise eine Frau angegeben. Eine andere berichtete von einer „relativ schmerzhaften Schwellung“.
„Ich wusste nicht, wie ich sonst für meinen Sohn sorgen sollte“
Wenn man Elif B.s Aussage zu den Vorwürfen hört, dann klingt sie nach einer jungen Frau, die aus seelischer und finanzieller Not in die Situation hineingerutscht ist – und sehr bedauert, dass sie die Taten begangen hat. Sie habe als alleinerziehende Mutter eines kleinen Sohnes in ihrem ehemaligen Kinderzimmer zunächst bei Freundinnen Behandlungen mit Hyaluron vorgenommen. „Die Nachfrage war da. Und ich wusste nicht, wie ich sonst für meinen Sohn sorgen sollte.“ Auch ihre kranke Mutter habe sie finanziell unterstützen müssen. „Das hat mich so überfordert, dass ich einfach weitergemacht habe.“
Also besorgte sich die gelernte Kosmetikerin eine Ausstattung mit Behandlungsstuhl, Spritzen und anderem Zubehör, ließ sich ein Türschild für einen „Beautysalon“ gestalten, warb auf Instagram für ihre Dienste als „Lip Specialist“ und schmückte den Behandlungsraum mit mehreren Zertifikaten.
Die Zertifikate kamen, sobald sie Videos geordert hatte
Man könnte annehmen, dass für solche Bescheinigungen aufwendige, wahrscheinlich monatelange Schulungen erforderlich sind. Doch tatsächlich reichte es, im Internet einige Videos zu ordern. Insgesamt 90 Minuten Spieldauer hatte das Anschauungsmaterial, und das Zertifikat kam quasi als Bonus gleich per Mail und musste nur noch ausgedruckt werden.
Doch die Geschäfte liefen gut. An manchen Tagen kamen fünf Kundinnen, manche ließen sich zweimal behandeln. Und einige der Frauen stellten später auch keinen Strafantrag gegen Elif B. „Ich habe immer über die Risiken aufgeklärt, soweit ich darüber Bescheid wusste“, lässt die Angeklagte über ihren Verteidiger vortragen. „Ich habe nie gegenüber einer Person aktiv behauptet, dass ich Heilpraktikerin sei. Ich ging davon aus, dass alle wussten, dass ich nur Kosmetikerin bin.“
Trotz Warnung der Behörden machte sie weiter
Aussagen von Kundinnen gegenüber den Ermittlungsbehörden lassen indes anderes vermuten. „Wäre mir die fehlende Qualifikation bekannt gewesen, hätte ich das nicht machen lassen“, gaben die meisten der betroffenen Frauen an. Wie die rechtliche Situation war, müsste Elif B. schon lange klar gewesen sein. Im Jahr 2020 erhielt sie ein entsprechendes Behördenschreiben. Einige Monate später aber lief ihr Geschäft auf Hochtouren.
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Auch nachdem ihre Räume durchsucht worden waren, machte die junge Mutter mit ihren Behandlungen weiter. Schließlich kam sie eine Woche in Untersuchungshaft. „Das hat sie nachhaltig beeindruckt“, sagt der Verteidiger der Angeklagten. Elif B. habe Angst, dass sie ins Gefängnis kommt. Nicht mehr für ihren Sohn und ihre Mutter da sein zu können „wäre für mich das Schlimmste“, meint die 25-Jährige. Sie werde nie wieder Hyaluron-Behandlungen vornehmen. „Ich habe damals in einer Parallelwelt gelebt“, sagt sie. „Mir ist jetzt erst bewusst, wie fahrlässig ich gehandelt habe.“ Mittlerweile verdient sie ihr Geld mit Haarverlängerungen.
Prozess Hamburg: Richterin findet, „das sieht nicht schön aus“
Die Staatsanwältin beantragt schließlich dreieinhalb Haft, der Verteidiger plädiert, insbesondere „wegen des von Reue getragenen Geständnisses“, auf eine Bewährungsstrafe. So lautet auch das Urteil des Schöffengerichts, das zwei Jahren Freiheitsstrafe verhängt und diese zur Bewährung aussetzt. Die Behandlungen, die Elif B. durchgeführt hat, „waren nicht erlaubt“, stellt die Richterin klar. Manche Kundinnen seien zwar zufrieden mit dem Ergebnis der Behandlung gewesen, aber andere seien tatsächlich geschädigt worden. Die Bilder, die die Folgen dokumentierten, zeigten: „Das sieht nicht schön aus.“
Die Kundinnen seien davon ausgegangen, dass es sich um das Studio einer professionellen Heilpraktikerin gehandelt habe. Dies sei „teilweise auch naiv“ von den Frauen gewesen. Für die Angeklagte spreche unter anderem, „dass man merkt, dass es Ihnen leidtut“.