Hamburg. Die Zahl der schweren Sexualdelikte in Hamburg ist um 37 Prozent gestiegen. Senat nennt Gründe, Opposition sieht andere Ursachen.

Es ist eine bedrückende Entwicklung: Die Zahl schwerster Sexualstraftaten ist in Hamburg zuletzt sehr deutlich angestiegen. In den ersten neun Monaten dieses Jahres registrierte die Polizei 210 Fälle von Vergewaltigung, sexueller Nötigung und sexuellen Übergriffen in besonders schwerem Fall. Das sind 57 Fälle mehr als im selben Zeitraum des Jahres 2022 – was einem Anstieg von 37,3 Prozent binnen eines Jahres entspricht.

Diese Zahlen gehen aus einer Antwort des Senats auf eine Kleine Anfrage der CDU hervor, die dem Abendblatt exklusiv vorliegt. Auch die Zahl der angezeigten Fälle, in denen Menschen übergriffig unsittlich berührt wurden, ist deutlich gewachsen: um 29,2 Prozent auf 531 in den ersten drei Quartalen dieses Jahres. Im Vorjahreszeitraum hatte die Polizei noch 411 solcher Fälle registriert.

Sexualdelikte in Hamburg: Ursachen für den deutlichen Anstieg nicht klar

Maßgeblich für die Verfolgung dieser „sexuellen Belästigung“ ist der 2016 neu eingeführte Paragraf 184i, der bisweilen in der öffentlichen Debatte auch als „Grapsch-Paragraf“ bezeichnet wurde. Darin heißt es: „Wer eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Begeht eine Gruppe gemeinsam diese Straftat, steigt der Strafrahmen auf bis zu fünf Jahren Haft. Verfolgt werden die Taten in der Regel nur auf Anzeige.

Nicht wirklich klar ist bisher die Ursache für den massiven Anstieg bei den schwersten und anderen Sexualdelikten in Hamburg. Der Senat argumentiert in seiner Antwort auf die CDU-Anfrage damit, dass ein großer und wachsender Anteil der schwersten Delikte in aktuellen oder beendeten Beziehungen begangenen worden sei.

Polizei Hamburg sieht geändertes Anzeigeverhalten als einen Faktor

„Immer mehr Geschädigte trauen sich, auch aus Beziehungen heraus Sexualstraftaten anzuzeigen“, so die These des Senats. „Es wird davon ausgegangen, dass es sich hierbei um eine weitere Vergrößerung des Hellfeldes handelt.“ Mithin: Nicht so sehr die Zahl der Delikte sei gestiegen, sondern vor allem die Bereitschaft, diese anzuzeigen.

Dafür spricht aus Sicht der Polizei, dass 164 der 210 Fälle schwerster Sexualstraftaten im ersten Dreivierteljahr 2023 durch Partner, Ex-Partner, Familienangehörige oder Bekannte begangenen worden sei. Im Vorjahreszeitraum lag diese Zahl noch bei 116, wie die Polizei auf Abendblatt-Nachfrage mitteilte.

Polizei Hamburg sieht mehr Großveranstaltungen als Grund für Anstieg

Ähnlich argumentiert der Senat beim starken Anstieg der Fälle sexueller Belästigung. Erstens handle es sich um einen relativ neuen Paragrafen, der erst langsam ins Bewusstsein der Gesellschaft gelange, sodass die Bereitschaft zur Anzeige zunehme. Und zweitens habe es durch das Ende der Pandemie „ab Sommer 2022 einen deutlichen Anstieg von Großveranstaltungen“ gegeben.

CDU-Innenpolitiker Dennis Gladiator hält diese Argumentation für nicht plausibel. „Der erhebliche Anstieg im Bereich der Sexualdelikte ist alarmierend“, sagte Gladiator dem Abendblatt. „Die Rechtfertigungsversuche des Senats, dass dies vornehmlich auf ein verstärktes Anzeigeverhalten bei Beziehungsstraftaten und mehr Anzeigen im Bereich sexueller Belästigung zurückzuführen ist, sind ein Armutszeugnis.“ Den Paragrafen 184i gebe es immerhin bereits seit sieben Jahren.

Polizei in Hamburg überlastet: Opfer müssen oft monatelang warten

Zudem kritisierte Gladiator die oft schleppende Bearbeitung der Fälle, wie sie der Senat in seiner Antwort einräumt. Laut der Senatsantwort lag die Zahl der (wegen Überlastung) zurückgestellten Verfahren allein im für Sexualdelikte zuständigen Landeskriminalamt 42 im September bei 594. „Gerade in diesem sensiblen und für die Opfer besonders belastenden Deliktsfeld ist eine konsequente und zügige Bearbeitung der Ermittlungsverfahren unerlässlich. Dass immer wieder viele Verfahren wegen Überlastung zurückgestellt werden müssen, ist insofern nicht nur inakzeptabel, sondern im Bereich der Beziehungsgewaltdelikte auch hochgradig gefährlich.“

Daher müsse Innensenator Andy Grote (SPD) nun „handeln und nicht nur für mehr Personal in den entsprechenden Abteilungen des LKA sorgen, sondern auch die Einführung einer Erschwerniszulage für den extrem herausfordernden Job prüfen, den die Ermittlerinnen und Ermittler in diesem Deliktsfeld tagtäglich leisten“, so der CDU-Politiker.

Mehr Körperverletzung und Vergewaltigungen in Beziehungen

Tatsächlich zeigt ein Blick in die Senatsantwort allerdings auch, dass die vom Senat herausgehobene Gewalt in bestehenden oder beendeten Beziehungen deutlich zugenommen hat. So nahm die „vorsätzliche einfache Körperverletzung“ in Partnerschaften und ehemaligen Partnerschaften im ersten Dreivierteljahr 2023 um 10,3 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zu. Insgesamt stieg die Zahl der Fälle von 2487 auf 2744.

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Auch die der Fälle von schwersten Sexualdelikten in bestehenden oder beendeten Partnerschaften wuchs – um 24 Prozent: Die Polizei registrierte im ersten Dreivierteljahr 2023 insgesamt 56 Fälle von „Vergewaltigung, sexueller Nötigung und sexuellen Übergriffen im besonders schweren Fall, einschließlich Todesfolge“. Im Vorjahreszeitraum waren es noch 45 Fälle.

Polizei Hamburg: Auch gefährliche Körperverletzung nimmt zu

Gefährliche und schwere Körperverletzung und Genitalverstümmelung in aktuellen oder ehemaligen Beziehungen registrierte die Polizei in den ersten drei Quartalen 2023 insgesamt 461-mal, im Vorjahreszeitraum waren es 448.