Hamburg. Fraktionschefin kritisiert, dass nicht alle Stadtteile gleiche Last tragen. Senatorin Fegebank will Straftäter schneller abschieben.

Kommt Hamburg mit der Unterbringung von Geflüchteten und deren Integration nicht mehr zurecht? Gleich drei SPD-Senatsmitglieder zeigten sich vor Kurzem im Abendblatt-Interview alarmiert. „Wir sind jetzt am Limit“, sagte Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer. Die Zugänge steigen noch, und wir beobachten mit Sorge, dass die Stimmung in der Stadt zunehmend kritischer wird.“

Ähnlich äußerte sich Innensenator Andy Grote. Es häuften sich „die Signale der Überforderung auf vielen Ebenen – nicht nur bei der Unterbringung, sondern auch in der Gesellschaft insgesamt“, sagte er. Es sei klar, dass „die Zahlen runtergehen müssen“. Die irreguläre Migration nach Deutschland sei „zu hoch, auch weil andere europäische Staaten nicht registrieren, sondern zu uns durchleiten“. Schulsenator Ties Rabe sagte, es fehlten Lehrkräfte und Räume. Der Ansturm lasse sich ohne Qualitätseinschränkungen „nicht mehr bewältigen“.

Zuzug von Geflüchteten: Grünen-Fraktionschefin sieht keinen staatlichen Kontrollverlust

Die Hamburger Grünen hielten sich zuletzt in der Zuwanderungsdebatte zurück. Auf Abendblatt-Anfrage äußern sich nun Grünen-Fraktionschefin Jennifer Jasberg und Katharina Fegebank, Zweite Bürgermeisterin und Wissenschaftssenatorin.

„Das Bild eines staatlichen Kontrollverlusts ist zum einen faktisch nicht richtig und zum anderen auch nicht zielführend in der aktuellen Situation“, sagt Jasberg. „Der Eindruck des Kontrollverlusts stärkt im Zweifel nur diejenigen, die generell an der Handlungsfähigkeit des Staates zweifeln und unseren Staat und das gesamte demokratische System ablehnen.“ Eine Verschärfung der politischen Rhetorik bringe ebenso wenig wie immer neue Forderungen nach Begrenzungen oder Integrationsgrenzen.

Jasberg: Recht auf Asyl nicht aus Furcht vor Rechtsextremismus aushebeln

Jasberg sagt, die meisten Flüchtlinge kommen derzeit aus der Ukraine, Syrien und Afghanistan. „Sie fliehen also vor Krieg und Verfolgung und haben ein legitimes Recht auf Asyl.“ Das Recht auf Asyl dürfe „nicht aus Furcht vor dem erstarkten Rechtsextremismus ausgehebelt werden“. Hamburg müsse vielmehr die „richtigen Bedingungen“ schaffen, um ein sicherer Zufluchtsort zu bleiben und die Akzeptanz der Bevölkerung zu erhalten.

Mit Blick auf irreguläre Migration sagt die Grünen-Fraktionschefin: „Selbst wenn die wenigen Menschen, die kein Bleiberecht haben, ausgewiesen würden, würde das in der aktuellen Lage zu keiner relevanten Reduzierung der Zahlen an Asylbewerbern führen.“ Für Rückführungen müssten Abkommen mit den Herkunftsländern geschlossen werden. „Das sind langfristige Prozesse, die keinen kurzfristigen Effekt auf die Situation im Hier und Jetzt haben“, so Jasberg. „Das Gleiche gilt für die auf europäischer Ebene vereinbarten Maßnahmen zum Schutz der EU-Außengrenzen, wobei wir Grüne uns klar dafür einsetzen, dass dort keine haftähnlichen Zustände entstehen.“

Grünen-Fraktionschefin: Bessere Verteilung von Geflüchteten in Hamburg nötig

Dass Hamburgs öffentliche Infrastruktur durch den Zuzug von Geflüchteten in einer schwierigen Lage sei, nehme die Grünen-Fraktion natürlich „wahr und ernst“. Aber: „Das ist für uns Anlass, diese Infrastruktur auszubauen und die Versorgung zügig zu verbessern“, sagt Jasberg. „Die öffentliche Unterbringung ist nicht das Problem, sondern dass die Menschen, auch wenn sie eine Wohnberechtigung haben, keine Wohnung finden“, so die Grünen-Fraktionschefin. „Wir brauchen deshalb Wohnungsbau statt Abschottung.“ Als Beispiel nennt Jasberg die Förderung von Programmen wie „Unterkünfte mit der Perspektive Wohnen“.

Jennifer Jasberg aus Neuallermöhe ist die Fraktionschefin der Grünen in der Hamburgischen Bürgerschaft.
Jennifer Jasberg aus Neuallermöhe ist die Fraktionschefin der Grünen in der Hamburgischen Bürgerschaft. © Die Grünen Hamburg | Photographer: Gunnar Geller

Grundsätzlich sollten Geflüchtete innerhalb Deutschlands fair verteilt werden. Das sei sowohl wichtig für die Chancen und Perspektiven der Schutzsuchenden als auch für die Akzeptanz in der Bevölkerung vor Ort. Hier müsse „nachgesteuert“ werden, sagt die Grünen-Fraktionschefin. „Auch für Hamburg gilt: Da bisher nicht alle Stadtteile und Regionen die gleiche Last tragen, brauchen wir eine bessere Verteilung zwischen den Stadtteilen und eine bessere Zusammenarbeit mit unseren Nachbarländern – damit stellen wir sicher, dass es nicht punktuell zu Überbelastungen kommt und Integration möglich ist.“

Jasberg schlägt „Pakt für Integration in der Metropolregion“ vor

Wie die SPD fordern auch die Grünen eine stärkere Beteiligung des Bundes an den Kosten der Unterbringung. „Es ist gut, dass diese Debatte nun endlich Fahrt aufnimmt“, sagte Jasberg. Sie schlägt einen „Pakt für Integration in der Metropolregion“ vor, der Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Bremen umfassen könnte. Diese Bundesländer sowie die jeweiligen Kammern, Bildungsträger und Akteure der Wohnungswirtschaft sollten „gemeinsam nach besseren Lösungen suchen“.

Die Grünen-Fraktionschefin sieht auch wirtschaftliche Chancen – und verweist auf Schätzungen der Handelskammer, wonach Hamburger Unternehmen bis zum Jahr 2035 rund 133.000 Fachkräfte fehlen könnten. „Wir brauchen also die Menschen, die zu uns kommen, ganz konkret auf dem Arbeitsmarkt, und zwar viele.“ Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz sei ein wegweisender Schritt, sagte Jasberg. „Wir müssen uns dafür einsetzen, die regulären Zuwanderungsmöglichkeiten noch darüber hinausgehend auszubauen.“

Grünen-Fraktionschefin: Abschlüsse von Geflüchteten schneller anerkennen

In Hamburg lebten bereits viele pädagogisch qualifizierte Geflüchtete mit Bleiberecht, deren Abschlüsse nicht anerkannt werden. Dabei sei der Bedarf groß: Wenn künftig deutlich mehr Kinder von Geflüchteten und Migranten die Bildungseinrichtungen besuchten, benötige Hamburg mehr pädagogisches Fachpersonal. „Hier brauchen wir nicht nur schnellere Verfahren der Anerkennung der Abschlüsse, sondern auch gezielte Ansprachen.“

Hamburgs grüne Wissenschaftssenatorin und Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank will sich nicht in Reaktion auf den Vorstoß der SPD-Senatoren äußern, aber ihre Position zur Zuwanderung deutlich machen. Dass so viele Geflüchtete wie möglich schnell eine Arbeit aufnehmen könnten, sei „entscheidend für die Integration – und bei dem erheblichen Arbeits- und Fachkräftemangel in Deutschland dringend nötig“.

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Senatorin Fegebank: Abschiebungen etwa von Straftätern schneller durchsetzen

Aber: „All diejenigen, die nach den geltenden Regeln nicht bei uns bleiben können, müssen wieder ausreisen. Das heißt auch, dass Abschiebungen, zum Beispiel von Straftätern, künftig noch schneller durchgesetzt werden müssen“, sagt Fegebank. Für schnellere Verfahren müsse das Bundesamt für Migration angemessen ausgestattet werden. Nötig seien außerdem „funktionierende Rücknahmeabkommen, Passersatzbeschaffung und Migrationsabkommen, wie sie die Bundesregierung gerade mit mehreren Ländern anstrebt“.

Auch Fegebank fordert, der Bund müsse die Länder und Kommunen bei der Unterbringung, Betreuung und Integration „deutlich stärker unterstützen“. Und: „Gleichzeitig brauchen wir eine gerechtere Verteilung von Geflüchteten in Deutschland und Europa“, sagt sie. „Es geht nicht an, dass eine Metropole wie Hamburg alles Erdenkliche tut, um Hilfesuchende bei sich aufzunehmen, während andere mit angezogener Handbremse unterwegs sind.“