Hamburg. Pro-Hamas-Randale in Berlin. Springt die aufgeheizte Stimmung über? Steigt die Anschlagsgefahr? Das sagt Amtsleiter Torsten Voß.
Hamburgs Verfassungsschutz-Chef Torsten Voß hat trotz der jüngsten Ausschreitungen bei Pro-Palästina-Demonstrationen in anderen Städten zur Besonnenheit aufgerufen – zugleich aber auf die aufgeheizte Situation durch den Krieg in Israel auch in Hamburg hingewiesen. „Verschiedenste extremistische Spektren sind hochideologisiert und angespannt“, sagte Voß dem Abendblatt. „Sowohl die Polizei als auch wir verfolgen die Lage mit allerhöchster Aufmerksamkeit.“
Zwar hat die Polizei bis einschließlich Sonntag alle Demonstrationen untersagt, „die inhaltlich einen Bezug zur Unterstützung der Hamas oder deren Angriffe auf das Staatsgebiet Israels aufweisen“. Danach aber sei die Wahrscheinlichkeit für pro-palästinensische Versammlungen auch in Hamburg hoch, sagte Voß – auch wenn sich wohl weder die Hisbollah (Hizb Allah) noch die Hamas dazu verleiten lassen würden, selbst „offiziell zur Teilnahme aufzurufen“, so Voß. Denn die Hisbollah sei mit einem Betätigungsverbot belegt, und ein solches solle es nach „Ankündigung des Kanzlers“ bald auch für die Hamas geben.
Anschlagsgefahr in Hamburg? Das sagt der Verfassungsschutz-Chef
Man müsse gleichwohl aber „immer damit rechnen, dass die Teilnehmer solcher Demonstrationen auch Sympathiebekundungen für diese Organisationen von sich geben oder sich israelfeindlich und antisemitisch äußern“, sagte Voß. „Und die ideologisch der islamistischen Hizb-ut Tahrir zuzurechnende Gruppe ‚Muslim Interaktiv‘ wird in den sozialen Netzwerken sicherlich versuchen, die staatlichen Maßnahmen gegen antisemitische Aktivitäten für ihre Zwecke zu missbrauchen und als vermeintlich gegen alle Muslime gerichtete Maßnahmen darzustellen – was natürlich Unsinn ist.“
Auf die Frage, ob aus seiner Sicht wegen des Krieges in Israel auch die Anschlagsgefahr in Hamburg steige, sagte der Verfassungsschutz-Chef: „Die Stimmung ist natürlich aufgeladen, und die Spannung wird weiter zunehmen. Aber auch hier müssen wir versuchen, besonnen zu bleiben.“ Die jüngsten Anschläge in Belgien und in Frankreich hätten zwar „höchstwahrscheinlich einen islamistischen Hintergrund, aber die jeweilige Motivation ist noch nicht bekannt“, so Voß. „Insbesondere die Ermordung der beiden Schweden in Belgien könnte mit den Koranverbrennungen in Schweden zu tun haben. Ob ein Kontext zur Situation in Nahost besteht, kann derzeit noch nicht seriös beurteilt werden.“
Sicherheitslage: „Kein Anlass, vor besonderen Orten zu warnen“
Es gebe derzeit „keinen Anlass, vor besonderen Orten zu warnen oder diese zu meiden“, so Voß. „Damit würde man den Terroristen nur in die Hände spielen, die mit ihren Drohungen ja gerade solche Angst erzeugen wollen. Nein, den Gefallen werden wir alle ihnen nicht tun.“
Hamas-Anhänger und andere Islamisten würden auch in Hamburg vor allem im Internet um Anhänger werben. „Offene Rekrutierungen oder Werbung für Terrorgruppen werden Sie in den Moscheen nicht erleben, auch in islamistischen Moscheen nicht“, sagte Voß dem Abendblatt. „Dafür ist man viel zu vorsichtig und würde entsprechende staatliche Maßnahmen fürchten. Die Indoktrination geschieht weit überwiegend über das Internet. Die Rekrutierung läuft in abgeschotteten Gesprächszirkeln, sei es digital oder in der analogen Welt.“
Fördert Zuwanderung aus muslimischen Ländern den Antisemitismus?
Auf die Frage, ob die hohe Zahl von Geflüchteten aus dem Nahen Osten oder dem Maghreb oder anderen muslimischen Ländern möglicherweise die Gefahr für Juden in Deutschland oder des Antisemitismus erhöhen könne, sagte Voß: „Ich möchte an dieser Stelle ganz deutlich vor vorschnellen Schlüssen, Vorurteilen und plumpen Gleichsetzungen warnen. Allerdings muss man auch sehen, dass in manchen arabischen Ländern Israelfeindlichkeit und Antisemitismus tief in den Gesellschaften verankert sind.“
Die Hamburger Polizei habe ihre Sicherheitsmaßnahmen für jüdische Einrichtungen erhöht, so Voß. „Die Stimmung ist im Kontext des Krieges in und gegen Israel aufgeheizt, auch in Hamburg. Hinweise auf eine konkrete Gefährdung liegen aber derzeit für Hamburg nicht vor.“
Hamas-Unterstützung und Israel-Feindschaft auch von linken Gruppen
In der öffentlichen Betrachtung fokussiere man sich meist „ausschließlich auf die Hamas-Unterstützung durch Islamisten“, sagte Voß. „Aber das Existenzrecht Israels wird auch von weiteren extremistischen Gruppierungen verneint. Denken Sie an die Gruppierung Samidoun in Berlin, die der säkularen Terrororganisation PFLP zuzurechnen ist. Auch sie rechtfertigt die Gräueltaten und wird wiederum unterstützt von Teilen der linksextremistischen Szene. Hier kann ich als ein Beispiel die Vorfeldorganisation der MLKP, Young Struggle, nennen.“
Auch „einige Kreise des deutschen Linksextremismus“ verneinten das Existenzrecht Israels „und stehen propagandistisch hinter Samidoun“, so Voß. „Für Hamburg gilt das zum Beispiel für den gewaltorientierten ‚Roten Aufbau Hamburg‘ aus dem antiimperialistischen Spektrum.“ Zudem berichte der Verfassungsschutz „seit Jahrzehnten über iranische Islamisten, die Israel ebenfalls die Existenzberechtigung absprechen und damit gegen den Gedanken der Völkerverständigung verstoßen“.
Auch für das rechtsextremistische Spektrum sei der Antisemitismus ein wesentliches Merkmal, sagte der Verfassungsschutz-Chef. „Ähnliches gilt für den Phänomenbereich des verschwörungsideologischen Extremismus, dessen Vertreter wiederholt mit antisemitischen Narrativen auffielen.“
Islamismus: 1450 Gewaltorientierte und 22 Gefährder leben in Hamburg
Das aus dem Iran gesteuerte Islamische Zentrum Hamburg (IZH) mit seiner Blauen Moschee an der Alster bleibe zwar „der verlängerte Arm des Teheraner Regimes – ein Regime, das Israel das Existenzrecht abspricht“, betonte Voß. Das habe auch das Verwaltungsgericht Hamburg unlängst bestätigt. „Aktuell hält sich das IZH aber bedeckt, auch wegen der politischen Diskussion über ein Verbot“, sagte Voß. „Wir werden auch künftig im Verfassungsschutzbericht und auf unserer Homepage ausführlich über iranische Islamisten und Antisemiten informieren.“
Derzeit stimme man gerade die aktuellsten Daten zu Islamisten in Hamburg für dieses Jahr im Verfassungsschutzverbund ab, sagte Voß. „Sie werden vermutlich nicht wesentlich von den Zahlen aus dem vergangenen Jahr abweichen, vielleicht moderat steigen. Für 2022 haben wir in Hamburg 1755 Menschen dem islamistischen Spektrum zugerechnet, davon waren 1450 als gewaltorientiert eingestuft.“
Solidarisieren sich muslimisch geprägte Einwanderer mit der Hamas?
Als gewaltorientiert gelten laut Voß „auch solche Personen, die selbst nicht gewalttätig werden, aber zum Beispiel Gewalt zur Durchsetzung ideologischer Ziele befürworten oder unterstützen“. Die Einstufung als „Gefährder“ nehme die Polizei vor. Ihre Zahl belaufe sich aktuell auf 22. Als „Gefährder“ gilt eine Person, „zu der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird“.
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Das Abendblatt fragte den Hamburger Verfassungsschutz-Chef auch, ob er die Gefahr sehe, dass sich andere muslimisch geprägte Einwanderergruppen, etwa Jugendliche aus der türkischen Community mit der Hamas solidarisieren könnten. „Wir beobachten weder die türkische Community und auch nicht muslimische Zuwanderergruppen, sondern ausschließlich Gruppierungen mit extremistischer Zielsetzung“, antwortete Voß.
Hamburgs Verfassungsschutzchef: „Wichtig, nicht alles in einen Topf zu werfen“
„Es ist gerade jetzt wichtig, nicht alles in einen Topf zu werfen.“ Türkische Linksextremisten seien zwar nicht für die Hamas, „sprechen Israel aber ebenfalls das Existenzrecht ab“, so Voß. Beim türkisch geprägten Rechtsextremismus gehe es um die Ülkücü-Bewegung (Graue Wölfe). Hier gebe es „grundsätzlich eine eindeutige Positionierung für die pro-palästinensische Seite“, so Voß. „Zumindest in Hamburg findet die Ülkücü-Bewegung aber kaum auf der Straße, dafür aber im Internet statt. Das Ülkücü-Potenzial beziffern wir auf rund 100 Personen.“