Wilhelmsburg. Womit Lehrer in Wilhelmsburg die Jury überzeugt haben. Schüler lernen in dualer Ausbildung bei Firmen wie Aurubis, Beiersdorf und Otto.

Ein Gewächshaus kann man schlicht als gläsernes Gebilde mit Pflanzenbeeten sehen – aber auch als sogenanntes cyber-physisches System, ein Verbund aus Sensoren, Software, mechanischen und elektronischen Teilen, den es so klug zu vernetzen gilt, dass die Bewässerung sparsam ist, aber trotzdem Salat, Tomaten & Co. gut gedeihen. Wie das prinzipiell zu schaffen ist, erproben zehn Azubis an der Beruflichen Schule ITECH in Wilhelmsburg mit einem Prototyp im Schuhkarton-Format.

Die jungen Leute haben sich aus drei Klassen zusammengefunden, ausgehend von ihren Interessen, Vorkenntnissen und Stärken. Sie haben die Idee für das nachhaltige Gewächshaus entwickelt und setzen dessen Bau weitestgehend eigenständig um, in einer dreiwöchigen Teamarbeit ohne einen traditionellen Stundenplan, auf Zuruf unterstützt von mehreren Fachlehrern, die ebenfalls im Team arbeiten und noch weitere Projektgruppen betreuen.

Schule in Hamburg: Berufliche Schule in Wilhelmsburg gewinnt einen Deutschen Schulpreis

Mit diesem Konzept für „selbstverantwortliches, kompetenzorientiertes, individualisiertes Lernen“, wie es Direktorin Monika Stausberg formuliert, schaffte es die Einrichtung an der Dratelnstraße 26 in das Finale um den Deutschen Schulpreis, die bedeutendste Auszeichnung für Schulen hierzulande. Ebenfalls nominiert worden ist die Heinrich-Hertz-Schule, eine Stadtteilschule mit Gymnasialzweig in Winterhude.

Jubeln darf nun allerdings das Team um Monika Stausberg in Wilhelmsburg. Ihre Schule gewinnt einen von fünf mit jeweils 30.000 Euro dotierten Preisen bei dem Wettbewerb, wie die Robert Bosch Stiftung und Heidehof Stiftung am Donnerstagmittag bei einem Festakt im Berliner Tempodrom mitteilten. Die Heinrich-Hertz-Schule erhält einen mit 5000 Euro dotierten Anerkennungspreis. Schulsenator Ties Rabe (SPD) sprach von einem „tollen Erfolg“.

Jury wählte aus 85 Bewerbungen aus, nominierte 15 Schule für das Finale

Zuvor hatte die Jury aus 85 Bewerbungen erst 20 Schulen ausgewählt. Diese wurden im Mai und Juni dieses Jahres von verschiedenen Teams der Jury besucht und begutachtet. Im Anschluss nominierte die Jury 15 Schulen für die Endrunde. Bei der Auswahl der Preisträger bewerte das Gremium sechs Qualitätsbereiche: „Unterrichtsqualität“, „Leistung“, „Umgang mit Vielfalt“, „Verantwortung“, „Schulklima, Schulleben und außerschulische Partner“ sowie „Schule als lernende Institution“, erläutern die Veranstalter.

Azubis lernen in dualer Ausbildung etwa bei Aurubis, Beiersdorf und Otto

Die Preisträger machten Hoffnung, sagt Bernhard Straub, Geschäftsführer der Robert Bosch Stiftung. „Sie sind Ideenlabor und Impulsgeber für ein zukunftsfähiges Schulsystem.“ Zwar könnten „Mut, Tatendrang und Kreativität allein die strukturellen Herausforderungen, vor denen unser Bildungssystem steht, nicht lösen“, sagte er. „Sie sind aber Ansporn, wenn nicht gar Verpflichtung, für eine gemeinsame Kraftanstrengung aller Beteiligten in Politik, Verwaltung, Wissenschaft, Praxis und Zivilgesellschaft.“

Die Schwerpunkte der Beruflichen Schule ITECH Elbinsel Wilhelmsburg sind Informationstechnik, Chemie und Elektrotechnik. Damit erreicht die Einrichtung nicht nur Hamburger Azubis, die etwa von Firmen wie Aurubis, Beiersdorf, Otto, Hamburg Wasser und von Zulieferern für Elektrofahrzeuge kommen, sondern auch welche aus Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern.

Berufsschüler in Wilhelmsburg entscheiden selbst über Lerntempo

Den Deutschen Schulpreis bekommt die Einrichtung aber nicht für ihre fachliche Ausrichtung, sondern für ihr pädagogisches Konzept. Die Schülerinnen und Schüler entschieden selbst, in welchem Tempo sie lernten, welche Methoden und Techniken sie auswählten und an welchem Lernort und in welchem Team sie arbeiteten, schreibt Jurymitglied Christian Mellwig, Leiter der Albert-Schweitzer-Schule im baden-württembergischen Sinsheim. Das Konzept schließe ein, dass fachliche Hilfe durch die Lehrenden nur ein offenes Angebot für alle Lernenden sei. „Ziel ist es, die Schülerinnen und Schüler bestmöglich auf eine spätere Tätigkeit mit sich dynamisch verändernden Technologien vorzubereiten.“

Ihr pädagogisches Lernkonzept verknüpfe die berufliche Schule „geschickt und sinnvoll“ mit ihrem Digitalisierungskonzept, so Christian Mellwig. „Die gut entwickelte IT-Infrastruktur ermöglicht digitale Kollaborationen und virtuelle Lernräume, die das Raumangebot über den Klassenraum hinaus auf das Schulgelände bis zum Wohnort der Schülerinnen und Schüler erweitern.“ Die Lernenden können zeitbegrenztes Homeoffice beantragen und dank der von der Schule bereitgestellten Strukturen problemlos von zu Hause arbeiten.

Schule Hamburg: Lehrer begegnen Schülern auf Augenhöhe

Die „Bereitschaft der Schule, sich offen und mutig dem Wandel zu stellen und sich auf Neues einzulassen“, zeige sich auch in ihrem Umgang mit den Lernergebnissen der Schülerinnen und Schüler, schreibt Mellwig. Klassenarbeiten seien nicht die Regel. Schüler könnten ihre Lernergebnisse auch präsentieren oder schriftlich dokumentieren.

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Im Gespräch mit der Jury erklärten die Lernenden, dass sie zuvor noch keine Schule wie die ITECH besucht hätten, die ihnen „eine solch ausgeprägte Verantwortung für den eigenen Lernerfolg überträgt“, so Mellwig. „Sie identifizieren sich stark mit ihrer Schule und fühlen sich von den Lehrkräften gut unterstützt. Die Begegnung erfolgt auf Augenhöhe: Schwierigkeiten führen nicht zu einem Abwerten – vielmehr vermitteln die Lehrkräfte, dass es ihre Aufgabe ist, die Lernenden mit ihren Besonderheiten zu begleiten.“