Hamburg. Altbürgermeister Ole von Beust (CDU) und Hamburgs langjähriger Europaabgeordneter Knut Fleckenstein (SPD) sind Studienfreunde.

Was verbindet die beiden einstigen Jurastudenten? Im Doppelinterview erzählen sie, was sie unterscheidet und was sie eint, nachdem sie sich vor 44 Jahren auf dem Campus im Stehcafé am Rechtshaus kennengelernt haben.

Ole von Beust: Ich kannte dich schon aus Erzählungen meines Vaters, mein Vater, der Bezirksamtsleiter in Wandsbek war, der hat immer sehr freundlich von Knut, der im Ortsausschuss war, erzählt. Warst du eigentlich in der Juso-Hochschulgruppe aktiv?

Knut Fleckenstein: Nee, dazu hatte ich keine Zeit. Und hatte auch keine Lust dazu, ehrlich gesagt. Du warst damals aber Junge-Union-Vorsitzender, oder?

von Beust: Genau. Früher war Politik gerade im universitären Bereich noch verbissener, und Knut habe ich immer als engagierten Sozialdemokraten empfunden, aber nie fanatisch. Bis heute sehe ich ihn als jemanden, der eine gewisse Selbstdistanz und Selbstironie hat. Er nimmt die Sachen zwar ernst, aber sich selber nicht so wichtig, das war schon mein erster Eindruck. Ich habe ihn immer als lockeren und nachdenklichen Mann und Menschen kennengelernt, der nicht so wie andere mit feurigem Schwert durch die Gegend lief.

Fleckenstein: Das kann ich zurückgeben. Verbissen bist du auch nicht. Kein Parteisoldat. Was ich mag, ist diese Offenheit, auch die Möglichkeit, über die eigene Partei mal zu frotzeln. Außerdem haben wir einen ähnlichen Humor.

von Beust: Humor und ein etwas gelasseneres Naturell, das eint über die politischen Grenzen hinweg.

Beide beschreiben ihre Beziehung als „lockere Freundschaft“, die gegenseitige Wertschätzung ist spürbar. Während der eine nach dem Uni-Tag bei der jungen Union war, ging der andere abends in den SPD-Ortsverein. Die Politik habe die Anlässe für ihre vielen Treffen geschaffen. Diese Jahrzehnte zurückliegenden Zeiten haben den Grundstein dafür geschaffen, dass sich beide, als sie politisch verantwortlich waren, pro­blemlos kontaktieren konnten.

Fleckenstein: Es hat dann immer schon etwas mit Europa zu tun gehabt, wenn wir dann Gemeinsames gemacht haben.

von Beust: Ja, Knut war immer ein verlässlicher Ansprechpartner. Wenn Themen waren, die mit Europa zu tun hatten, da hat man ja Hamburger Interessen zu vertreten und keine Parteiinteressen. Da gab es Hafenthemen, die Knut Fleckenstein, egal ob wir nun regiert haben oder die SPD, er auf europäischer Ebene wahrgenommen hat. Als relativ kleiner Player auf europäischer Ebene muss man zusammenhalten. Wenn man sich dann intern noch zerfleischt, wäre das für das Allgemeinwesen nicht gut.

Fleckenstein: Auch wenn wir nicht über 40 Jahre uns ständig gegenseitig auf dem Handy angerufen hätten, aber per Du zu sein und eine gemeinsame Vergangenheit zu haben ist ein Vorteil. Es ist wohl mehr das Wissen, man kann den anderen anrufen, wenn man möchte, ohne dass man das nun jede Woche zelebriert.

von Beust: Es ist, als wenn man alte Schulfreunde trifft. Die Kommunikation ist unkomplizierter, man muss sich statusmäßig nichts vormachen und keinen Firlefanz aufführen, wer der Größte ist.

Fleckenstein: Das ist so. Ja. In deiner Bürgermeisterzeit hatten wir weniger Kontakt, nie aber Funkstille. Ich bin auch mit Henning Voscherau wirklich gut befreundet gewesen, und auch da war es so, das ist doch klar.

von Beust: Ein Amt, das einen in die Isolation zwingt. (lacht) Alles ist durchgetaktet, und wenn man mal einen Abend Zeit hat, dann war ich froh, für mich zu sein.

Seit September 2019 sehen sich die einstigen Studienfreunde wieder häufiger. Erstmals arbeiten sie nämlich direkt zusammen: Bei der 2013 von Ole von Beust gegründeten Beust & Coll. Beratungsgesellschaft. Aus den Politikern sind nun Berater geworden. Das kam zufällig zustande: Knut Fleckenstein war von 2009 bis 2019 Hamburger Europaabgeordneter in Brüssel und Straßburg, für ihn stand in dieser Zeit der Hafensektor im Fokus, ebenso gesamteuropäische Verkehrsplanung. Dazu hielt er Kontakt zum Rathaus, mit offenem Ohr für die dortigen Anliegen. Herzensangelegenheit ist für Fleckenstein nach wie vor, die Regierungen der Länder des westlichen Balkans bei ihren Reformen für eine spätere EU-Mitgliedschaft zu beraten. Diese Erfahrungen schätzen die neuen Mandaten und Kollegen.

Fleckenstein: Es war Zufall. Wir haben uns kurz nach der Europa-Wahl (die neunte Direktwahl zum Europäischen Parlament fand vom 23. bis zum 26. Mai 2019 statt) im Zug von Hamburg nach Berlin getroffen, für mich war schon klar, das wird nix für mich. Da fragte er mich, was machst du jetzt? Ich wusste nur, dass ich gern noch ein bisschen beraten würde, noch nicht aufhören wollte. Da ich Vizefraktionsvorsitzender für Außenpolitik war, mein Herz hängt am westlichen Balkan, insbesondere an allem, was östlich von Polen liegt, und denen zu helfen, näher an die EU ranzukommen. Da sagte Ole, na, überleg doch mal, ob unsere Beratungsfirma etwas für dich wäre.

von Beust: Zwei Monate später haben wir uns getroffen, für größere Beratungsmandate waren wir noch nicht optimal organisiert, hatten nur einen, der SPD-Mitglied war, und auch, wenn wir nicht planmäßig auf der Suche nach einem Sozi waren, hat der glückliche Zufall es so gewollt, dass ich Knut wiedergetroffen hab und er nicht gesagt hat, „ich hab die Schnauze voll von allem und kraul jetzt meinen Hund.“

Fleckenstein: Für mich war es schon ein sehr attraktives Angebot. Denn: Sie scheiden aus einem Parlament aus, sind so an der Rentnergrenze und fragen sich, wie soll ich es denn organisieren, soll ich jemanden einstellen, der das Telefon abnimmt und all so etwas? Die Möglichkeit zu haben, in dieses Beratungsgeschäft einzusteigen mit einem starken Partner wie von Beust und Kollegen mit Büros in Hamburg. Berlin und Brüssel ist eine attraktive Geschichte. Und nachdem er mir gesagt hat, ich muss auch nicht CDU wählen, da dachte ich: Na gut, das ist doch ‘ne Basis. (lachen)

Beide haben übrigens immer mit Spaß gearbeitet, seit mehr als 40 Jahren. Von Beust habe sich immer frei gefühlt in seinem beruflichen Leben: zehn Jahre als Anwalt, dann acht Jahre Fraktionsvorsitzender („Oppositionsführer ist ein Traumjob – man kann politisch mitmischen ohne Endverantwortung“), dann mehr als neun Jahre Bürgermeister „in der Stadt, die man liebt.“ Heute haben sie die Seiten gewechselt, arbeiten als Brückenbauer für Unternehmen zur Politik und anderen Entscheidungsträgern – eben weil sie durch ihre Vergangenheit bestens vernetzt und versiert sind. Wie fühlt sich dieser Seitenwechsel an?

von Beust: Als Dienstleister musste ich völlig umdenken. Denn als Bürgermeister wollten die Leute etwas von Ihnen, kaum jemand hat Ihnen widersprochen – zumindest nicht in Ihrer Gegenwart, wenn man weg war, war das vielleicht anders – und Sie konnten operativ die Dinge entscheiden. Und als Berater müssen Sie lernen, dass Sie für Ihren Rat bezahlt werden, aber verantwortlich ist der andere. Und man musste lernen, wieder jeden Scheiß selbst zu machen. Klingt zwar blöde, aber ein Dienstwagen mit Fahrer ist nicht lediglich ein Statussymbol, sondern Sie müssen sich auch keine Gedanken darüber machen, wo Sie parken, dass der Wagen in die Reparatur muss.

Fleckenstein: Ich denke, es gibt da eine Parallele für mich als Abgeordneten. Wenn ich da morgens in Brüssel eine Idee im Kopf hatte, bin ich ins Büro gegangen, und da saßen drei Leute, und denen habe ich davon erzählt. Und wenn ich nachmittags wiederkam, war das Material gesammelt, und ich konnte anfangen zu arbeiten. Und dann bist du plötzlich kein Abgeordneter mehr, hast morgens ‘ne Idee – und fängst an zu googeln. Das ist wirklich eine Umstellung.

von Beust: Witzig ist ja auch, dass oft angenommen wird, dass Privilegien des Amts weitergeführt werden nach dem Ausscheiden oder, noch besser, es werden Privilegien im Amt vermutet, die man gar nicht hat. Ich weiß noch, wenn ich früher mal einkaufen war, logischerweise, da im Edeka-Markt in Rotherbaum, da fragten die Leute: ‚Sie gehen doch bestimmt hier einkaufen, um einen guten Eindruck zu machen.‘ Nee, ich muss doch irgendwie auch meinen Kühlschrank füllen. Schön wär’s, eine Haushälterin und einen Koch gab es nicht.

Fleckenstein: Ich hatte auch keinen Koch. Aber ich bin verheiratet, und meine Frau ist eine besonders gute Köchin. Lacht. Nein, Spaß beiseite. Europaabgeordneter ist bestimmt der ungesündeste Beruf, zumindest wenn man so gestrickt ist wie ich: Da wird man morgens wach, trinkt einen Kaffee und raucht eine Zigarette, mittags ist man beschäftigt, und wenn man um 21 Uhr fertig ist, hat man so einen Heißhunger, dass man in die nächste Gaststätte geht. Um 21.30 Uhr brät man sich kein Steak mehr zu Hause.

von Beust: Das kenne ich!

Fleckenstein: Deshalb wird die Dauer eines Abgeordneten im Parlament auch nicht nach Jahren, sondern nach Kilo gemessen.

von Beust: Ich kann jetzt mal für dich kochen, Knut.

Für von Beust spielt das aktuell gesellschaftlich viel besprochene Thema Selfcare und Ausgleich zum Arbeitsalltag eine große Rolle. Er erinnere sich zu gut, wie er in seiner Amtszeit „angegiftet“ worden sei, wenn er alle fünf, sechs Wochen sein Wochenende auf Sylt verbrachte. Er begrüßt das Umdenken, in seinen Augen ist Fleiß und viele Stunden zu arbeiten kein Selbstzweck. Auch Fleckenstein genießt die Ruhe zu Hause, als Ausgleich ging er früher segeln, heute reizen ihn die Bücher, Krimis und Biografien. Auf seinem Nachtisch liegt Michael Görings Roman „Dresden“. Von Beust liest aktuell Frank Goldammers Kriminalroman „Juni 53“ über den DDR-Volksaufstand.

von Beust: Ansonsten gehe ich zum Ausgleich viel spazieren, in der Corona-Zeit so viel wie in meinem Leben noch nicht. Es gibt ja auch diese schönen Schrittzähler auf dem Handy, und meistens schaffe ich meine 10.000 Schritte und mit meinem Partner zusammen sind wir teilweise 16, 20 Kilometer gegangen in Berlin oder Hamburg. Von Zu Hause aus in Harvestehude geht es um die Alster, oder wir fahren raus nach Blankenese oder in meine alte Heimat im Duvenstedter Brook. Zu zweit ist es schöner, da kann man sich unterhalten.

Fleckenstein: Oje, da habe ich eine kleine Phobie. Denn früher musste ich jeden Sonntag nach dem Mittagessen, da sich meine Mutter irgendwann weigerte und auf die Couch wollte, mit meinem Vater spazieren gehen. Also musste Klein Knut mit. Schrecklich, weil ich einfach keine Lust hatte, durch den Volksdorfer Wald zu spazieren. Heute gehe ich nur mit Ziel gern. Zum Beispiel eine Wirtschaft, die mich lockt.

von Beust: Witzig, dass du das sagst. Ich habe das mit dem Radfahren. Denn von meinem Zuhause zum Gymnasium Volksdorf waren es einfach zwölf Kilometer Strecke, und wenn man nachmittags zum Schwimmbad wollte, noch mal das Gleiche. Bei jedem Wetter, immer strampeln durch Matsch und Gegenwind, bei Regen, das ist mir nachher so auf den Keks gegangen. Mit dem E-Bike jetzt geht es wieder, aber das richtige Radfahren mag ich seit dieser Prägung in meiner Kindheit nicht mehr.

Fleckenstein: Dabei ist es ja erstaunlich, wie viel man normal läuft, ohne spazieren zu gehen. Ich hatte auch so einen Schrittzähler. 8000 Schritte durch diesen Riesenkomplex.

Was die Freunde unterscheidet, ist ihr Wirkungsgebiet: Knut Fleckenstein, verheirateter Vater zweier Töchter, pendelte zehn Jahre zwischen Hamburg, Brüssel und Straßburg, reiste gerade als außenpolitischer Sprecher viel. Ole von Beust blieb immer dem norddeutschen Raum treu. Auch jetzt sind Hamburg und Berlin seine Arbeitsorte. Er habe das von seiner Mutter, einer Mecklenburgerin, denen man nachsagt, sie hätten „Blei im Hintern“, wohl geerbt, dass er nicht der große Reisende sei.

Grundsätzlich sei er einfach gern von anderen unabhängig. Privat gab es vor vielen Jahren eine Thailand-Reise, doch die Sylter Wohnung zieht von Beust vor und genießt dort die Ruhe mit seinem Ehemann. Heimweh kennt auch Fleckenstein, der aufgrund seiner Bronchitis als Kind öfter in Kinderheime nach St. Peter-Ording geschickt wurde. „Ich habe geheult, wenn ich hinmusste. und meine Mutter hat geheult, weil der Junge heulte, und dann hab ich geheult, wenn ich zurückmusste, und meine Mutter hat geheult, weil der Junge nicht wieder zurückwollte.“ Allerdings könne er im Gegensatz zu Beust nicht lange allein sein. „Jemand muss mit mir spielen.“

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Was sie eint, ist die Liebe zu Hamburg. Fleckenstein lebt in Sasel. Zwar ist er in Hessen geboren und wuchs die ersten sechs Jahre seines Lebens in West-Berlin auf, doch „Hamburg ist Heimat.“ Die Leute, den Hafen in der Mitte der Stadt, der HSV. Auch von Beust fiebert eher mit den Rothosen mit. Hamburg nun als berufliche Basis zu haben schätzen beide. Offen sprechen sie über die Berufsbezeichnung des „Lobbyisten“ – ein Wort, das nach Hinterzimmer-Deals klingt?

von Beust: Wenn man das transparent und geradlinig macht, kein Problem. Ich kann Buch führen darüber, mit wem ich wann spreche. Wir übersetzen Anliegen von der Politik für die Ökonomie und umgekehrt. Da ist nichts klebrig.

Fleckenstein: Das Problem sind nicht in erster Linie die Lobbyisten, sondern, wenn Abgeordnete oder Politiker keinen Charakter haben. Ohne die Lobbyisten, die sich auskennen und dir als Politiker erzählen, was inhaltlich zu wissen ist – ich habe die Erfahrung mit dem Thema Hafen und dem Port Package gemacht – ohne Umweltverbände und Gewerkschaften wachsen Sie da gar nicht rein, alles kann man sich gar nicht theoretisch anlesen.

Es gibt noch einen Wesenszug, der Fleckenstein und von Beust verbindet: Nach Feierabend, wenn die öffentliche Person die Bürotür schließt, beginnt das Privatleben. Ohne Bilder auf Instagram, Facebook, ohne Twitter-Tweets.

Fleckenstein: Es gibt eine Absprache zwischen meiner Familie und mir, dass sie das nicht möchte.

von Beust: Mein Partner möchte auch nicht öffentlich sein. Er sagt, ‚Du bist ein öffentlicher Mensch gewesen, aber ich möchte das nicht.‘ Ich denke, mein Amt ist nun auch zehn Jahre her, und die Öffentlichkeit hat keinen Anspruch. Es geht doch niemanden was an. Und: Es ist mir ein psychologisches Rätsel, warum Menschen ihr Privatleben posten, Bilder davon machen, was sie essen. Ich interessiere mich auch nicht dafür, was meine Freunde den ganzen Tag machen. Aber ich habe gern ein gutes Gespräch mit ihnen oder gehe ins Kino, das ja. Ich wäre wohl kein guter Influencer.

Das Interview kommt zum Ende. Ole von Beust hat seinen ersten Impftermin. Und Knut Fleckenstein will eine Zigarette rauchen.