Hamburg. Matthias Zaiser ist Bauer und Ökonom. Er hilft alternativen Betrieben bei Form und Finanzierung.

Wenn Ferien waren, ging es mit Onkel und Tante zum Gleitschirmfliegen oder in den Ski-Urlaub. Auch bei einer Oldtimer-Rallye war er dabei – alles Zutaten für ein aufregendes Leben voller Action-Momente. „Ich hätte groß, stark und laut werden können“, sagt Matthias Zaiser. Doch es gab einen verlockenden Gegenpol. Brüder des Vaters bewirtschafteten auf der Schwäbischen Alb Bauernhöfe. „Ich hatte die Freiheit, auch dorthin zu gehen.“ Schon damals, als Schüler, übte die Landwirtschaft auf den Sohn eines Kaufmanns und einer Kunst-Therapeutin eine besonderen Zauber aus. Draußen auf dem Feld zu arbeiten, Kühe zum Melken vorzubereiten, Vieh zu füttern oder auch mal bei einem Ölwechsel am Traktor zu helfen waren Beschäftigungen, die ihm mehr Glücksgefühle und Befriedigung verschafften als die adrenalingesteuerten Ferienerlebnisse.

30 Jahre später sitzt Zaiser, gelernter Landwirt und studierter Diplom-Ökonom, in einem schicken Büro am Mittelweg und lädt zum Kaffee ein. Er arbeitet als Geschäftsführer der Gemeinnützigen Treuhandstelle (GTS) Hamburg, einer Art Thinktank für nachhaltigen Umgang mit Geld. Zwei Tage in der Woche ist er zuständig für das Tagesgeschäft von über 120 Mitgliedsorganisationen und Initiativen im norddeutschen Raum. Die GTS ist ein Ableger der Muttergesellschaft aus Bochum. Sozial engagierte Anthroposophen gründeten dort 1961 einen ungewöhnlichen Verein. Er vermittelte zwischen Menschen, die Geld schenken wollten, und Initiativen, die Geld brauchten. Später kam die erste sozial-ökologische Bank hinzu. Auch die norddeutsche Filiale funktioniert nach diesen Prinzipien.

Hauptsächlich aber arbeitet Matthias Zaiser (48) als selbstständiger Unternehmensberater und Coach. Er begleitet mit seinen drei Mitarbeitern Betriebe wie die alternativen Brauckhöfe in der Heide oder auch die landwirtschaftliche Arbeitsgemeinschaft Buschberghof vor den Toren Hamburgs, entwickelt neue Organisations- und Finanzierungskonzepte.

Zu seinen Kunden gehören neben Bauernhöfen auch Unternehmen und Verbände wie Demeter oder Neuguss. Ihnen allen dient als Entscheidungsgrundlage das von Rudolf Steiner entwickelte Leitbild von einer humanistisch und schöpferisch geprägten Gesellschaft. „Wir wollen mit unserer Arbeit Verantwortung übernehmen für die sozialen, kulturellen und ökologischen Lebensgrundlagen unseres Planeten und zukünftiger Generationen.“

Zuhören ist erste Journalistenpflicht. Doch wenn Matthias Zaiser, beseelt von seinen Idealen, über Bodenspekulation, Landgrabbing, solidarische Landwirtschaft und das Recht der Menschen auf Grund und Boden spricht, fällt der Einstieg ins Fragen schwer. Bei dem im weichen Timbre eines Schwaben gehaltenen Vortrag drängt sich die Vorstellung eines Mannes auf Mission auf. „Komme ich etwa so rüber?“, fragt er ganz entsetzt. „Das ist nicht gewollt. Mission hat für mich etwas Zwanghaftes, und davon bin ich weit entfernt.“

Ein bisschen die Welt retten

Ein bisschen die Welt retten ist dennoch sein Thema und hat mit dem Studium an der alternativen nicht staatlichen und ebenfalls von Anthroposophen gegründeten Universität Witten/Herdecke zu tun. Kapitalismus kritisch gesehen: „Apple und Co. bestimmen unsere Zukunft. 17 Milliarden Quartalsgewinne in 2015 – ist es nicht dringend an der Zeit, auch über Kapitalfragen und Eigentum neu nachzudenken?“

100 Familien in Hamburg haben das getan und sich am Buschberghof zusammengeschlossen, um von und mit diesem Hof zu leben. Milch, Käse, Brot, Gemüse – alles wird selbst produziert. Alles saisonal und regional. Zu Beginn eines Wirtschaftsjahres legt die Betriebsgemeinschaft ihre finanziellen Beiträge zur Deckung der Betriebskosten fest und versucht, die soziale Situation des Hofes und der übrigen Mitglieder zu berücksichtigen.

Andere Höfe haben den Familienbesitz an einen gemeinnützigen Träger übergeben, in eine Art Stiftung. „Das ist eine neue Form von Gemeingütern“, sagt Zaiser. „Früher hieß es Allmende.“ Dahinter steht die Erkenntnis, dass Grund und Boden niemandem gehören sollten. „Höfe werden nicht mehr vererbt, sondern gepachtet. Sie sollen vom Fähigsten bewirtschaftet werden und alle ernähren. Privateigentum an Grund und Boden ist keine Lösung für die Zukunft“, sagt Zaiser. „Hier heißt es weiterzuentwickeln, wie es gehen kann.“

Nicht immer erfreut nachhaltiges Wirtschaften allerdings den Nachwuchs. „Natürlich wird bei uns zu Hause auch mal gezickt, wenn es im Winter keine Tomaten, Gurken oder süßes Obst gibt“, sagt der Vater von drei Töchtern. In Ausnahmefällen lassen sich die Eltern aber erweichen. Und Bananen und Orangen, gibt er zu, stehen immer auf dem Tisch.

Dienst an der Waffe war kein Thema für ihn

Dass er irgendwann die körperlich schwere Arbeit auf einem Hof mit einem Kopfarbeiterjob im Büro zusammenführen würde, ist einer jener biografischen Momente, an die Zaiser glaubt. „Mein Vater war bis zum 23. Lebensjahr Landwirt, ehe er in die Wirtschaft wechselte. Ich wurde mit 23 Jahren Landwirt und mit 30 Ökonom.“ Für den jungen und hoch motivierten Möchtegern-Bauern war es damals, als es um die berufliche Zukunft ging, jedenfalls nicht vorstellbar, dass auch er einmal ins Management wechseln würde.

Da der Dienst an der Waffe kein Thema für ihn war, absolvierte er nach dem Abitur den Zivildienst in Kiel. Danach durfte er sich die Welt angucken. Mit der Transsibirischen Eisenbahn durchquerte er Russland, erkundete China per Fahrrad, erwanderte sich Nepal und genoss die Weite Australiens mit dem Auto. Im Anschluss daran, das war klar, begann er eine landwirtschaftliche Ausbildung an der freien Landbauschule Bodensee. Als geprüfter Landwirt verdingte er sich später als Geselle auf Höfen, leitete sogar eine 100-Hektar-Farm mit Kühen und Äckern – und hätte eigentlich zufrieden sein müssen.

„Ich habe gearbeitet wie ein Berserker“, sagt er. „Aber irgendwann wurde mir bewusst: Ich bin allein in der Pampa, ohne Familie, ohne Freunde. Ich wollte zurück in die Stadt.“ Die Eltern waren „eselsgeduldig“, als der Sohn mitteilte, nun noch Wirtschaft studieren zu wollen. „Als ich mein Diplom in der Tasche hatte, war ich über 30. Heute sage ich, es war ein Studium im Reifeprozess.“

Katrin Weiland,
Leiterin der Literatur
Altonale, übernimmt
den roten
Faden
Katrin Weiland, Leiterin der Literatur Altonale, übernimmt den roten Faden © Asmus Henkel

Der Berufseinstieg als frisch dekorierter Ökonom erfolgte bei einem sozialgewerblichen Beschäftigungsträger im Ruhrgebiet. „Ich versuchte Sozialhilfeempfänger und Langzeitarbeitslose für die Arbeit in einer Gärtnerei zu begeistern. Eine gute Lebenserfahrung.“ Für die Unternehmensberatung Prof. Dr. Kost und Kollegen übte er sich in Arbeitnehmer- und Betriebsräte-orientiertem Consulting. Mit diesem auf nachhaltiges und sozialverträgliches Wirtschaften ausgerichteten Handwerkszeug zog er (der Liebe wegen) nach Hamburg und machte sich als Agrarberater und Betriebsentwickler selbstständig.

Seine ungewöhnliche Mischung von Know-how ist gefragt. Er ist in verschiedenen Organisationen im Aufsichtsrat oder geschäftsführend tätig und hält Vorträge. „Wer weiß schon, dass im Labor gezüchtete Hybride zwar kurzfristig die Erträge steigern, aber langfristig landwirtschaftliches Wissen, alte Pflanzensorten und robuste Nutztierrassen vernichten“, sagt Zaiser.

Künstliche Hybridpflanzen geben ihre Eigenschaften nicht an die Folgegeneration weiter. Sie bringen die natürliche Evolution zum Stillstand und machen die Bauern abhängig von industriellen Dünger- und Saatgutkonzernen. Doch ein Visionär hat auch Hoffnung. „Besonders junge Leute wollen alternative Lebensentwürfe. Sie weigern sich, den Kapitalwahnsinn weiter mitzumachen.“

Als Vater hat er jedenfalls sein Bestes gegeben, um den Töchtern ein moralisches Gerüst fürs Leben mitzugeben. Dass sie das nicht immer wertschätzen, gehört dazu. „Du bist so bio“, heißt es manchmal genervt. Irgendwann ist es vielleicht ein Kompliment.