Seit 25 Jahren arbeitet Corinna Nienstedt in der Männerdomäne. Noch immer setzt sie sich für Frauen in der Führung ein. Ihren eigenen Weg sieht die engagierte Frau dabei durchaus auch kritisch.

Hamburg. Sie hat sich in einer Männerdomäne durchgesetzt. Dort Karriere gemacht, wo vor ihr nur wenige Frauen einen Platz fanden. Sich durch Vorurteile gekämpft. So manchen kessen Spruch eingesteckt. Und schließlich selbst ihre vermeintlichen Kritiker vom Gegenteil überzeugt. Corinna Nienstedt war die erste Frau in der Geschäftsführung der Handelskammer Hamburg. Vor Kurzem hat sie ihr Jubiläum gefeiert. Seit 25 Jahren arbeitet sie für die Kammer.

Dabei ist die freundliche Frau mit den kinnlangen Haaren alles andere als eine Lautsprecherin. Nur zögerlich erzählt sie von ihren Erfolgen, ihrem beachtlichen beruflichen Werdegang. „Ich habe noch die vielleicht naive Vorstellung, dass man durch harte Arbeit vorankommt“, sagt sie.

Studiert hat Nienstedt Politikwissenschaft und neue Geschichte, Schwerpunkt französische Geschichte in Hamburg. Mit dem Abschluss in der Tasche entschied die junge Frau, dass es nun Zeit sei für einen Auslandsaufenthalt. „Ich wollte vor dem ersten Job noch einmal raus.“ Nienstedt bewarb sich an der französischen Hochschule École Nationale d’Administration (ENA) und erhielt ein Stipendium. „Ich wusste, wenn ich das erfolgreich absolviere, brauche ich mir um meine Karriere eigentlich keine Sorgen mehr zu machen.“ Denn an der ENA studiert die Elite Frankreichs. „Und die sind eng verzahnt, da ist man ein Leben lang mit verbunden.“ Zu den Absolventen zählen unter anderem der ehemalige Präsident Jacques Chirac und der amtierende Präsident François Hollande. Ein gutes Jahr verbrachte Nienstedt Ende der 80er-Jahre in Frankreich, erst in einer Präfektur in der Bretagne, später in Paris. „Ich habe das französische Verwaltungssystem dadurch genau kennengelernt.“

Doch es zog sie wieder in die Hansestadt. Also habe sie die Stellenanzeigen in den Zeitungen studiert. Und eine Anzeige der Handelskammer entdeckt. Die war auf der Suche nach einer Person mit guten Französisch-Kenntnissen. „Genau der richtige Job für mich.“ Nienstedt weiß noch heute, wie beeindruckt sie von dem Gebäude und der Stimmung war, als sie zum ersten Mal in die Handelskammer kam. „Atmosphäre und Geist hier haben mich sofort angesprochen.“ Das passt, habe sie schnell gewusst. So wurde sie vor einem Vierteljahrhundert die erste Politologin, die in der Handelskammer einen Job bekam.

Im Lauf der Jahre hat Nienstedt viele Abteilungen durchlaufen. War für Volkswirtschaft und die Pressearbeit zuständig. Schließlich wurde sie Leiterin für den Bereich Internationales. „Dazu habe ich mir die Themen Frauen und Familienfreundlichkeit vorgenommen. Eigene Abteilungen aufgebaut. Unsere Angebote wurden von Anfang an hervorragend angenommen.“ Sie etablierte Beratungen für Frauen, die sich selbstständig machen wollen. Machte in Hamburgs Betrieben Werbung für mehr Frauen in Führungspositionen.

Mittlerweile hat das Umdenken auch in der Handelskammer selbst Einzug gehalten. Neben Nienstedt gibt es heute zwei weitere weibliche Geschäftsführerinnen. Auch im Plenum der Kammer beträgt der Anteil von Frauen knapp 30 Prozent. „Damit liegen wir bundesweit vorn“, sagt Nienstedt. Schließlich ist sie eine der Vorkämpferinnen für diese Entwicklung.

Doch ihren eigenen Weg sieht die engagierte Frau durchaus auch kritisch. „In puncto Freizeit habe ich viele Opfer gebracht“, sagt sie. Schon seit Jahren hat ihre Arbeitswoche durchschnittlich 70 Stunden. Termine am Abend und an den Wochenenden sind für sie selbstverständlich. Genauso wie die Reisen ins nahe und ferne Ausland. „Mit so einem Leben war für mich irgendwann klar, dass ich keine Familie haben werde.“

Der Verzicht auf Kinder kam bewusst. „Beides wäre nicht gegangen.“ Nienstedt hat einen Lebensgefährten. „Der kommt hin und wieder abends gern mal mit mir mit“, sagt sie und lächelt. Dennoch, manchmal empfinde sie heute den Preis, den sie für die Karriere gezahlt habe, als hoch. „Doch dann sehe ich, wie viel Spaß mir mein Job macht. Wie viel er mir gibt. Dann weiß ich, dass es richtig ist, wie es ist.“

Dabei ist es auch gerade die Beratung von Frauen und Unternehmerinnen, die ihr so viel Freude bereitet. „Es ist sehr auffällig, das Frauen im Berufsleben andere Schwerpunkte setzen als Männer.“ So würden sie viel weniger Kontakte pflegen, sich lieber auf die Arbeit konzentrieren. „Ich kann nur allen raten, zeigt euch, trefft euch. Das ist auch wichtig für die Karriere.“ Denn die Männer beherrschen diese Art zu netzwerken.

Nachdenklich stimmt sie, dass weibliche Bewerberinnen deutlich mehr leisten müssten als männliche. „Eine Frau muss leider noch immer besser sein als ein Mann, um den gleichen Job zu bekommen.“ Doch sie sei zuversichtlich, dass sich diese Unterschiede bald auflösen würden. Dafür arbeite sie mit ihrem Team – jeden Tag.