Die Schwestern Heida, Bumi und Korri führen das Lindtner in Harburg, das vor 75 Jahren gegründet wurde. Auch Konditorei in Eppendorf gehört ihnen.
Harburg. Baumkuchen, Baumkuchen, Baumkuchen – gefühlt war im Hause Lindtner immer Vorweihnachtszeit. Denn die schokoladige Leckerei gab es für die Schwestern Heida, Bumi und Korri das ganze Jahr über. Ein wahrer Traum für die drei Mädchen, die ihre Kindheit entweder in den Räumen des familieneigenen Privathotels Lindtner in Harburg oder in der gleichnamigen Familienkonditorei in Eppendorf verbrachten.
Am Freitag feiern sie gemeinsam mit mehreren Hundert Gästen aus Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur sowie ihren 120 Mitarbeitern und Familien den 75. Geburtstag des Hotels. Es soll eine große Party werden, viele Redner haben sich angekündigt, wollen den Lindtners im Harburger Familienhotel zum Jubiläum gratulieren. Wobei das Wort „Geburtstag“ eigentlich besser passt als „Jubiläum“. Denn hier wird nicht der Historie einer Firma gedacht, es soll keinen Abriss über Geschichte und Entstehung geben. Denn die Geschichte des Privathotels Lindtner ist auch die Geschichte der drei Mädchen. Die Geschichte ihrer Leben. Deshalb muten die Vorbereitungen für das Fest auch ein bisschen so an, als habe ein Familienmitglied etwas richtig Großes zu feiern. Geburtstag eben. Mit Torte und allem drum und dran.
Vorfreude und Aufregung sind zu spüren, als sich die drei Schwestern, die das Haus als Gesellschafterinnen führen, im schattigen Garten zum Gespräch treffen. Heida ist auf dem Papier die Vertretungsberechtigte und leitet das Hotel vor Ort, sie ist die Älteste. Heißt im Klartext: Sie führt das Wort.
Heida Lindtner-Thies-Lembcke spricht viel und schnell, ihre blonden Haare wippen dazu, sie lacht, und ihre Hände kann sie kaum still halten. Unwillkürlich entstehen Bilder eines kleinen, plietschen Mädchens, das ihre Schwestern zu allerlei Unsinn anstiftet. Doch schnell sagt sie: „Hier hat jede ihren eigenen Kopf, da wird viel diskutiert, aber jede Entscheidung gemeinsam getroffen.“ Alle wissen alles, mindestens dreimal pro Woche sehen sich die Frauen, mehrmals am Tag telefonieren sie. Es gibt ja immer viel zu besprechen. Baumaßnahmen, Neuerungen, Personalpolitik. Über Emotionen zu sprechen, das komme da fast zu kurz. „Wir hängen stark zusammen“, dazu lässt sich Heida dann doch hinreißen. Das herzliche Lachen der anderen erzählt den Rest.
Während Heida die Quirlige ist, erscheint ihre Schwester Korri Slawig, geb. Lindtner, wie der ruhige Gegenpol. Zurückhaltend hört sie erst zu, wirft mal eine Zahl ein, korrigiert ruhig, streicht sich durch die kurzen, braunen Haare und schaut nach ihrem Hund, der sich unter dem Gartenstuhl zusammengerollt hat. Korri liebt Tiere und das ländliche Leben, deshalb wohnt sie mit ihrem Mann in der Nordheide. Gern fährt sie jeden Tag die halbe Stunde nach Hamburg – entweder ins Hotel oder in die Konditorei nach Eppendorf. Denn sie ist diejenige, die jeder Fußballtrainer vergöttern würde: die perfekte Einwechselspielerin. Wo die Not am größten ist, springt Korri ein. „Ich mische überall mit, mache alles, was mit Computern zu tun hat, und kümmere mich um den Onlineverkauf unserer Produkte aus der Konditorei“, sagt sie. Ihretwegen gehen die versendbaren Backkunstwerke, Plätzchen und Torten in alle Welt. Als „Springer zwischen beiden Polen“ wird sie von den Schwestern liebevoll genannt und sie selbst bringt es auf den Punkt: „Ich bin überall am liebsten.“
Eine Schokoladentorte wird der Runde im Garten serviert, nicht irgendeine. Die Maharani-Torte. Zur Ehren der Gattin des indischen Generalkonsuls hatte der Gründer und Konditormeister Hermann Lindtner Anfang der 1950er-Jahre den Auftrag von Bürgermeister Max Brauer bekommen, trotz der Beschränkungen der Nachkriegszeit ein außergewöhnliches Backkunstwerk zu kreieren. „Hermann, mach mal“, soll Brauer ihm zugerufen haben. Zum Besuch der ausländischen Gäste war die Torte fertig, die Maharani begeistert. Sie mochte Mousse au Chocolat, mit Cognac abgeschmeckt. Unverändert und streng geheim ist das Rezept bis heute, es gehört zum Angebot der Konditorei.
Weitere Geheimnisse der Konditorenkunst hütet die Dritte im Bunde. Es ist Brunhild Bruns, geb. Lindtner. Sie konnte als Kleinkind ihren eigenen Namen nicht aussprechen, „Bumi“ nannte sie sich selbst – und alle tun es ihr bis heute nach. Sie ist eine Mischung aus ihren beiden Schwestern: Hört erst aufmerksam den anderen zu, wenn sie dann aber beginnt, ist sie nicht zu bremsen und erzählt Geschichten gespickt mit Details aus ihrem Alltag in der Konditorei an der Eppendorfer Landstraße.
Das Rezept des Baumkuchens und des Dresdner Stollens bleibt „original“
Das ist ihr Reich, die Backstube war schon immer ein weiteres Zuhause für die Konditorin mit dem fröhlichen Lachen und den funkelnden Augen. „Beruflich war mein Vater mein absolutes Vorbild“, sagt sie. „Er war Konditormeister und Bäcker und hat mich und uns als Kinder schon mitmachen lassen und sich von Ideen anstecken lassen.“
Es war immer klar, dass sie einmal hier arbeiten wollen würde. Es gab gar keinen anderen Berufswunsch, sagt sie. Viele Rezepte sind geblieben, manche dem Zeitgeist angepasst. „Der Baumkuchen und der Dresdner Stollen werden aber nicht angerührt“, sagt Bumi, die die Traditionskonditorei als „jungen Klassiker“ bezeichnet. Und natürlich, wird das Hotel täglich aus Eppendorf mit Torten beliefert.
Dass irgendwann alles einmal so geregelt und in Bahnen ablaufen würde, damit konnten ihre Mutter Alwine und Vater Hermann definitiv nicht rechnen: Die drei Töchter konnten als „lebhaft“ bezeichnet werden, andere sagen „wild“. Damit sie nicht ausschließlich das Hotel unsicher machten – „das war ein Mordsspaß“, erinnert sich Bumi – versuchten die Eltern, die jeden Tag bis spät für ihre Familienunternehmen arbeiteten, die Kräfte ihrer Mädchen zu kanalisieren: Reiten. Klavier spielen. Tennis. Auch Ballett, wie es sich gehörte für junge Damen damals. „Wir wurden zum Unterricht zu Lola Rogge geschickt, aber das ging nicht lange gut“, sagt Heida und lacht laut. „Hacke, Spitze, eins, zwei, drei, das war nix für uns“, sagt Korri und grinst.
Die Eltern wollten ihren Kindern jedoch gern eine Schulbildung mit allem Drumherum ermöglichen, schickten sie deshalb ins Internat nach Schloss Salem am Bodensee. Zu dritt genossen sie die Zeit dort, spielten Hockey und schwammen im See. „Wir waren nie allein und kamen in den Ferien immer mit dem Zug zurück nach Hause“, sagt Heida. Den Zusammenhalt untereinander bekamen sie von ihren Eltern vorgelebt, die sogar Weihnachten gemeinsam mit den Angestellten und der Familie feierten.
Vielleicht ist auch das Geheimnis des Fünf-Sterne-Hotels, das von den Harburgern aller Generationen heiß und innig geliebt wird: die familiäre Atmosphäre. Ein stimmiger Ort, um Familienfeste, von der Taufe über Hochzeit und Kaffeeklatsch unter Freunden, in den Räumen im Haus in der Heimfelder Straße 123 zu feiern. Die Auslastung des Hauses liegt nach eigenen Angaben aktuell im Hamburger Durchschnitt, der sich bei Lindtner aus etwa 75 Prozent Tagungsgästen und 25 Prozent Geschäftsreisenden und privaten Gästen, hierunter auch zunehmend Touristen, zusammensetzt. Übrigens wollte einer der Gäste einst gar nicht mehr abreisen und blieb deshalb einfach im Hotel wohnen: der Künstler Vladimir Kamendy. Seine Werke sind überall im Hotel ausgestellt, bei seinen alljährlichen Sommerakademien können ihm alle Interessierten beim Malen über die Schulter schauen.
Rund 50.000 Gäste werden bei den Lindtners pro Jahr bewirtet, Firmen aus den unterschiedlichen Branchen nutzen gern die Säle für Tagungen und Konferenzen. Platz ist sowieso ein wichtiges Stichwort, denn auch mit der Tradition der Eltern, immer mal wieder zu bauen, ohne den Hotelbetrieb einzustellen, haben die Schwestern nie gebrochen: Zuletzt bauten sie 2008 eine Erweiterung von 10.000 Quadratmetern an, sodass heute 128 Zimmer und Suiten mit 256 Betten und 25 Banketträume vorhanden sind – knapp verfünffacht hat sich das Platzangebot seit der Gründung 1949.
Doch manches bleibt gänzlich unberührt. Zum Beispiel der Baumkuchen natürlich.