Die schwangere Sandra Völker versteigert ihre Medaillen und Badeanzüge – der Start in ein neues Leben. Zum Auktionsende hofft sie auf 100.000 Euro Erlös.

Hamburg. Sandra Völker steht vor Neuanfängen in ihrem Leben. Ihr Babybauch ist unübersehbar. Mehr möchte die frühere Weltklasseschwimmerin aber nicht dazu sagen, sie lächelt nur. Stattdessen gibt die 40-Jährige sehr offen Auskunft über ihre Privatinsolvenz und über deprimierende Momente als Hartz-IV-Empfängerin. Um aus der Pleite zu kommen, geht sie einen ungewöhnlichen Weg: Eine Online-Versteigerung, bei der sogar ihr Olympiasilber und die zwei Bronzemedaillen aus Atlanta 1996 unter den virtuellen Hammer kommen. Zum Auktionsende am Sonntag (18. Mai) hofft sie auf 100.000 Euro Erlös. Dann wäre die 45-fache deutsche Meisterin, die wieder in ihrer Geburtsstadt Lübeck wohnt, schuldenfrei. Beim Interview im Winterhuder Auktionshaus b. i. s. auktion türmt sich in Kartons ihre Schwimmkarriere.

Hier können Sie an der Auktion teilnehmen


Hamburger Abendblatt: Frau Völker, checken Sie nun ständig im Internet, ob es neue Gebote gibt?
Sandra Völker: Nein. Ich bin zwar neugierig, aber ich gucke lieber nur alle paar Tage nach. Ich bin aber am Sonntag, wenn die Versteigerung endet, mit meiner Insolvenzverwalterin im Auktionshaus. Wir gucken uns das zusammen an. Dann wird es ja richtig spannend.

Sie versteigern allerhand – von den etwa 400 Medaillen über Abendkleider, Olympiakleidung bis zur indonesischen Sitzbank. Hat Sie überrascht, dass bestimmte Stücke besonders gut laufen?
Völker: Bei den Pokalen war ich überrascht, und beim dicken, grünen WM-Maskottchen aus Fukuoka (lacht).

Auch für Ihre getragenen Badeanzüge gibt es schon viele Gebote.
Völker: Darin bin ich ja geschwommen. Das finde ich total logisch, dass das interessant ist.

Fällt es Ihnen nicht extrem schwer, Ihre Olympiamedaillen wegzugeben?
Völker: Nein. Die Aktion hilft mir in einer Notlage, dass ich noch einmal von vorne anfangen kann. Und die Erinnerungen kann mir ja niemand nehmen.

Wie sind bisher die Reaktionen Ihrer früheren Schwimmkollegen?
Völker: Von denen, die sich melden, kommt nur Zuspruch. Manche, die es nicht verstehen, denken, dass ich mir das selber ausgedacht habe und freiwillig tue. Das ist natürlich nicht so, obwohl es für mich in Ordnung ist. Meine Insolvenzverwalterin hatte die Idee.

Sie haben in Ihrer Karriere mit Preis- und Sponsorengeldern über eine Million Euro an Umsatz gemacht. Wie sind Sie trotzdem in diese Schuldenfalle geraten?
Völker: Das hat angefangen mit dem Kauf meiner Eigentumswohnung in Winterhude im Jahr 2001. Kurz danach ist ein Sponsor insolventgegangen, mit dem ein Vierjahresvertrag ausgemacht war. Fast zeitgleich lief die Gründung meiner Stiftung, kurz danach habe ich auch Geld in einem Filmfonds angelegt. Ich habe viel investiert und mich verzettelt. Ich hätte die Wohnung eigentlich gleich wieder verkaufen müssen.

Sie hatten in etwa in der Zeit auch mit einem Bandscheibenvorfall und Ihrer Asthmadiagnose zu kämpfen. Inwiefern spielte das da mit hinein?
Völker: Das zeigte mir, dass etwas nicht stimmt. Da stecken ganz viele Themen drin, aber ich habe Jahre gebraucht, um dahinterzukommen. Bandscheibe bedeutet, dass man dem ganzen Druck nicht standhält. Asthma ist Enge. Dass man nicht mehr genug Luft bekommt, das ist fehlende Kommunikation.

Wieso zogen Sie, ehe die Schulden immer höher wurden, nicht die Reißleine?
Völker: Ich habe das nicht ernst genug genommen. Ich hatte mir einen Traum erfüllt. Ich wollte gern in dieser Wohnung leben und dachte: Ich kriege das schon gewuppt. Was mir half, war, ehrlich zu sein, zu sagen: Ja, so ist es, und es ist scheiße. Ich lasse mir jetzt helfen.

Sie lebten einige Monate von Hartz IV. Welche Erinnerungen haben Sie daran?
Völker: Ich brauchte Geld und musste diesen Schritt gehen, weil ich mir nichts mehr leihen wollte. Ich wollte aus diesem Kreislauf aussteigen. Dafür habe ich sehr lange gebraucht. Hartz IV war für mich schambehaftet. Die Sachbearbeiterinnen konnten es erst nicht fassen, dass ich es bin und meinten: Das ist ja ein seltener Besuch. Schlimmer fand ich aber noch, dass mir nicht geglaubt wurde, obwohl ich alles offengelegt habe. Irgendwann bekam ich endlich eine Karte, mit der ich 200 Euro abheben konnte, um Lebensmittel zu kaufen. Und sie gaben mir nicht die direkte Telefonnummer meiner Sachbearbeiterin. Ich kam mir vor, als würde ich sie belästigen. Ich hatte das Gefühl, das viele Hartz-IV-Empfänger haben: Dass der Sachbearbeiter meint, er müsse das Geld selbst zahlen. Ich empfand das manchmal als nicht menschenwürdig.

Jetzt sind Sie beim Regenbogenkreis in Lübeck angestellt. Was ist das genau?
Völker: Das ist ein Internetshop, der vegane Produkte und Urwaldkräuter anbietet. Ich habe mir alle Bereiche angeschaut und bin im Hauptjob Büroangestellte. Gleich am Anfang habe ich die Personalsachbearbeitung übernommen. Geplant ist auch, dass ich irgendwann für das Marketing zuständig bin.

Arbeiten Sie weiterhin freiberuflich als Personal-Schwimmtrainerin?
Völker: Ja. Und außerdem habe ich im März an der Volkshochschule Lübeck noch meinen ersten Kurs in Jin Shin Jyutsu gegeben. Das ist eine Selbsthilfemethode, eine Heilkunst aus Japan.

Was macht Ihre Sandra-Völker-Stiftung für Asthma- und allergiekranke Kinder?
Völker: Wir treffen uns Ende Mai mit der Aufsicht der Stiftung, um eine Lösung zu finden. Mein Wunsch ist, dass sie von einer größeren Stiftung übernommen wird und ich nicht mehr Hauptakteurin bin.

Bei Hamburgs letzter Olympiabewerbung waren Sie Botschafterin. Würden Sie sich noch einmal dafür engagieren?
Völker: Ja, und das weiß der Erste Bürgermeister Olaf Scholz auch. Auf einer Preisverleihung habe ich ihm gesagt, dass es wichtig wäre, dass hier mal ein Großevent stattfindet. Ich habe mich als Beraterin zur Verfügung gestellt.

Drücken Sie die Daumen für ein mögliches Olympia 2024 in Hamburg?
Völker: Auf jeden Fall! Schon das Konzept damals hat mir sehr gefallen, mit diesen kurzen Wegen – das wären total heimelige Olympische Spiele geworden. Allerdings: Wenn ich mir vorstelle, dass hier dann plötzlich doppelt so viele Menschen sind, und alle wollen zur gleichen Zeit in die Schanze. Dann geht hier gar nichts mehr. Aber Hamburg ist eine wunderschöne Stadt, und Olympia in Hamburg wäre einfach der Hammer!

Sie wirken, als seien Sie heute mit sich im Reinen. Stimmt der Eindruck?
Völker: Ich kann einfach sagen, dass ich an meiner ganzen Lebensgeschichte total gewachsen bin.