Die 69-jährige Karin Martin, früher Managerin, arbeitet jetzt hart für die Kulturförderung – und vor allem für die „Freunde des Ballettzentrums“.

Hamburg. Was nimmt man sich vor, wenn man nach einem Leben voller Zwölf- bis 16-Stunden-Tage, nach 37 Jahren in einem großen Unternehmen, davon zehn Jahre als Vorstand für Personal und Finanzen und danach fünf im Aufsichtsrat, ausscheidet? „Das Handicap verbessern“, sagt Karin Martin, 69, „aber das hab ich bis heute nicht geschafft.“ Denn kaum war sie Mitte 2000 aus dem Vorstand ausgeschieden, da begann ihre zweite Leidenschaft, die lange hintanstehen musste, den Terminkalender zu füllen und zu bestimmen: die Kultur.

„Als ich jung war, durfte ich nicht machen, was ich wollte.“ Die geborene Hamburgerin stammt aus einem musischen Elternhaus, spielte Klavier wie ihre Mutter, in der Familie war Musik präsent, es wurde gemeinsam gesungen. Viel besser und lieber aber zeichnete und malte die Tochter. Aber als Karin? die Kunstschule in ihrer zweiten Heimatstadt Bremen besuchen wollte, ging der Vater dazwischen, ein Kaufmann mit Wurzeln im Hugenottischen – die Tochter sollte was Ordentliches lernen und keine brotlose Kunst. Ganz undankbar ist sie ihm heute nicht für diese Weichenstellung. Sie erwarb sich betriebswirtschaftliche Kenntnisse und wurde Steuerbevollmächtige, stieg mit 24 Jahren bei der Jungheinrich AG als stellvertretende Abteilungsleiterin ein und dann stetig auf. Noch heute spürt man in ihrer Harvestehuder Wohnung neben der energisch ordnenden Hand den Sinn fürs Schöne; Silber- Gold- und Fliedertöne setzen elegante Akzente im allgegenwärtigen makellosen Weiß.

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Vielleicht sind es solche unfreiwilligen biografischen Perspektivwechsel, die Menschen dazu befähigen, zwei Welten miteinander zu verknüpfen – im Fall von Karin Martin die des Geldes mit der der Kunst – denn als ehrenamtlicher Vorstand der Freunde des Ballettzentrums Hamburg sorgt sie dafür, dass aus einer normalen Ballettschule das Eliteinstitut werden kann, aus dessen Schülern Ballettchef John Neumeier derzeit 80 Prozent seiner Compagnie rekrutiert hat.

Die Freunde des Ballettzentrums Hamburg feiern am kommenden Sonnabend ihren 30. Geburtstag mit einem großen Benefizdinner rund um eine Ballettbühne in der Mitte des großen Saals der Handelskammer, zu dem sich 250 Gäste angesagt haben. Die Seele solcher Fundraising-Aktivitäten: Karin Martin und ihre drei Vorstandskolleginnen.

Schon bei Jungheinrich war sie irgendwann zuständig für die Musik bei den Weihnachtsfeiern und für das Programm Kunst im Konzern, das jungen Hamburger Künstlern zu Ausstellungen im Betrieb verhalf. „Kulturministerin“ lautete damals ihr inoffizieller Titel. Und in den späteren Jahren wurde sie schon mal um ihre Expertise zum Design eines neuen Gabelstaplers gefragt.

Als Frau im Vorstand, zuständig für mehr als 9000 Mitarbeiter und mehr als eine Milliarde Euro Umsatz – da setzt man sich durch oder geht unter. In der Kultur ist das ganz anders, hat sie gelernt. „Da wird viel diskutiert, da kann ich nicht einfach sagen: So oder so wird’s gemacht.“ Das Ballett von John Neumeier – sie spricht den Namen nicht englisch aus, sondern sagt hübsch norddeutsch „Jonn“, mit einem J am Anfang – und seine Ballettschule lernte sie kennen, als eine Kundenveranstaltung der Deutschen Bank 1989 die Managerin in das eben eröffnete Ballettzentrum an der Caspar-Voght-Straße in Hamm einlädt. „Ich sah die Kinder dort, ihren Ernst, Leistungswillen, ihre Disziplin, und mein Herz ist sofort aufgegangen.“

So flossen fortan auch Jungheinrich-Spenden dem Ballettzentrum zu, und als sie als Vorstand aufhörte, wurde sie sofort von Kay Kruse gefragt, ob sie in den Vorstand des 1981 gegründeten Freundeskreises eintreten wolle. 2007 übernahm sie dessen Vorsitz.

Seither sorgt sie sich um Spender und Sponsoren. „10?628 Mark hat unser gemeinnütziger Verein in seinem ersten Jahr zusammengebracht, heute sind es pro Jahr etwa 250?000 Euro“, bilanziert? sie stolz. Man kümmert sich um knapp 300 Mitglieder, von denen viele den Mindestbeitrag von 130 Euro pro Jahr zahlen, andere deutlich mehr, sogar ganze Stipendien für junge Tänzer und erhebliche Summen en bloc. Das Geld kommt komplett den 150 jungen Tänzern zugute.

Die Freunde zahlen für Schüler ab zehn Jahren Internatskosten, Schulgeld, Stipendien für alle, deren Eltern die Ausbildung nicht bezahlen können. Sie zahlen für Gastlehrer, für die Sprachkurse am Goethe-Institut (in der Ballettschule sind Schüler aus 20 Nationen versammelt) und für Sommercamps, für externe Wohnungen der Älteren oder auch die Krankenversicherungen der vielen ausländischen Gastschüler.

Im Gegenzug organisiert der Verein für seine Mitglieder Probenbesuche, Ballettreisen, Führungen und in Kooperationen mit anderen Theatern Karten für dortige Vorstellungen. Und natürlich vorrangige Behandlung bei Ballettkartenbestellungen. Das alle zwei Jahre stattfindende Benefizdinner steht Mitgliedern offen, die dafür auch großzügig spenden, und alternierend dazu ein Benefizturnier des Golfklubs Hamburg-Walddörfer, das Sprachkurse für die Ballettschüler finanziert.

Karin Martin freut sich, dass sie ihr einstiges berufliches Netzwerk so nahtlos für die kulturelle Förderung nutzen kann. Auch heute noch wirkt sie an vielen Stellen mit, beim St.-Pauli-Theater („das totale Kontrastprogramm“) ebenso wie in der Stiftung Denkmalschutz, in ihrem Rotary Club, im Kuratorium des Übersee-Clubs oder im Vorstand der Universitätsgesellschaft. „Zusammen ist das auch wieder ein Fulltimejob“, und abends trifft sie ihre Freunde dann bei Konzerten – gerade schwärmt sie noch vom Antrittskonzert Thomas Hengelbrocks bei den NDR-Sinfonikern. Und dann ist sie auch noch Kulturreisende, seit Jahren bei den Bayreuther Festspielen oder denen in Mecklenburg-Vorpommern. Schalkhaft sagt sie: „Vor mir ist niemand sicher“, und wenn sie jedes Mal nur einen Teil ihrer eigenen Begeisterung weitergibt, muss sich John Neumeier um die Zukunft seiner Ballettschule keine Sorgen machen?.