An der Staatsoper enden die 37. Hamburger Ballett-Tage mit einer hinreißenden “Megashow“, von großen Emotionen getragenen Nijinsky-Gala.
Hamburg. Wir wollen John Neumeier, Hamburgs Ballettintendant, nicht widersprechen, wenn er selbst bemerkt, seine jüngste, bejubelte Nijinsky-Gala, die gerade die 37. Hamburger Ballett-Tage in der Staatsoper beendete, sei mit ihrem Mammutprogramm von fast sechs Stunden Dauer eine "Monstershow".
Sie war es im positiven Sinn, denn das Publikum bekam es beileibe nicht mit furchterregenden Ungeheuern zu tun, sondern mit den zierlichsten Geschöpfen und ihren eleganten Partnern. Aber eigentlich war es wie immer: John Neumeier führte mit seinem kapriziösen Deutsch durch das Programm, gegen Mitternacht rauschte der üppige Konfettiregen vom Schnürboden auf das Hamburg Ballett und die Gast-Stars, wundervolle Blumenbouquets wurden verteilt, von denen Joëlle Boulogne allerdings gleich zwei Arme voll erhielt. Das unterschied diese Gala von den vorangegangenen: Sie, eine der feinsten Ballerinen der Compagnie, nahm an diesem Abend unter Standing Ovations Abschied - mit strahlendem Lächeln und einem tiefen Durchatmen.
Die vergangenen zwei Wochen standen nicht nur im Zeichen der Boulogne, die noch einmal einige ihrer großen Rollen tanzte, sie waren auch zwei Komponisten gewidmet: Gustav Mahler und Frédéric Chopin, deren runder Todes- beziehungsweise Geburtstag Neumeier mit eigenen Werken und denen anderer Choreografen gedachte. Im dritten und letzten, sehr langen Teil der Gala lag das Schwergewicht auf Mahler, dessen Sinfonien und Liedschaffen Neumeier wie kein zweiter Choreograf als Inspirationsquelle für seine Werke genutzt hat - und sich dabei sichtbar selbst zitiert. Woraus er keinen Hehl macht. Es ist die gängige Praxis unter Künstlern, die auch Gustav Mahler angewandt hat.
Zumal John Neumeier in nunmehr 38 Hamburger Intendantenjahren ein Oeuvre geschaffen hat, das in seiner stilistischen Vielfalt und seinem originären erzählerischen Reichtum Meisterwerke hervorgebracht hat, von denen wir uns wünschten, sie seien in ihrer Urbesetzung filmisch festgehalten worden. Dazu zählt der "Sommernachtstraum" nach William Shakespeare aus dem Jahr 1978, der mit seinem Humor und gleichzeitig seinem Tiefsinn zum Schönsten zählt, was Neumeier geschaffen hat. Die Vorstellung während der Ballett-Tage hat an das Versäumte schmerzlich erinnert. Dass die "Kleine Meerjungfrau" ausgerechnet in San Francisco mithilfe von Sponsoren aufgezeichnet wurde, spricht auch nicht gerade für Hamburg als Balletthochburg belobigte Stadt.
Welchen Rang aber John Neumeier selbst hier einnimmt, bewies am Sonntagabend der frenetische Applaus; er brandete jedes Mal auf, wenn er vor den jeweiligen Vorstellungen den Zuschauerraum betrat. Selbst an dem mit zwei Geniestücken gekoppelten Abend von Jerome Robbins, "Dances at the Gathering". Dessen hinreißend komisches "The Concert" nahm als köstlich erfrischendes Highlight den gesamten zweiten Teil der Gala ein. Ein Riesenspaß für Tänzer, Musiker und Zuschauer.
Der großartige Bariton Christoph Pohl trug zur fast zärtlichen Stimmung auf der Bühne bei, als zu Beginn der Gala einige von Neumeier choreografierte Lieder aus Mahlers "Des Knaben Wunderhorn" sang. Als absoluter, unvergesslicher Höhepunkt aber muss die Interpretation des Pas de deux aus dem romantischen Ballett schlechthin, "Giselle", gewertet werden. Alina Cojocaru und Johan Kobborg, beide vom Londoner Royal Ballet, lebten und tanzten in atemberaubender, federleichter Manier die unglücklich Liebenden.
Sie bekamen allerdings weniger Beifall als die technisch außerordentlichen Solisten des Chinesischen Nationalballetts Wang Quimin und Li Jun. Letztere hatte auch die wirkungsvoll gefällige Choreografie "Take My Breath Away" geschaffen. Viel spannender war es, wie sich Zhu Yan und Xing Liang, auch sie chinesische Tanzstars, in John Neumeiers Choreografie auf den 3. Satz der vierten Mahler-Sinfonie einfühlen würden. Die junge Zhu Yan tat es im Pas de deux mit Carsten Jung perfekt und anrührend.
Yuan Yuan Tan ist ebenfalls Chinesin, eine Superballerina im San Francisco Ballet, die mit Thiago Bordin in überwältigender Eindringlichkeit den "schwarzen" Pas de deux aus John Neumeiers Choreografie "Die Kameliendame" tanzte. Eine Tänzerin der Extraklasse in einem Ballett der Extraklasse. Unter den vorzüglich tanzenden Mitgliedern des Hamburg Ballett stachen Hélène Bouchet, Anna Laudere, Alexandre Riabko, Thiago Bordin und Carsten Jung besonders hervor. Für alle, auch für Markus Lehtinen, der die tadellos spielenden Philharmoniker leitete, nicht enden wollender Beifall.