Nijinsky-Gala: Fünf Stunden sensationeller Tanz zum Abschluss von John Neumeiers Jubiläumsspielzeit. Jetzt wartet er auf den neuen Vertrag.
Hamburg. Drei Wochen lang Tanz mit 16 verschiedenen Programmen und einer Platzauslastung von 99,7 Prozent in der Staatsoper und im Michel - das ist Rekord. Wenn es noch des letzten Beweises gefehlt hat, um Ballett-Intendant John Neumeier als Täter zu überführen, hier war er.
"Schuldig", hat das Geschworenen-Publikum befunden. Das Strafmaß wird auf eine Vertragsverlängerung für weitere fünf Jahre festgelegt. Über diesen Urteilsspruch zeigte sich der Angeklagte zufrieden: "Es wird", sagte er nach dem Tanz-Marathon der sensationellen, nahezu fünfstündigen XXX. Nijinsky-Gala zum Abschluss seiner Jubiläumsspielzeit. "Ich warte jetzt darauf, dass die Behörde auf mich zukommt."
Wie in einem Zeitraffer über 30 Jahre des Schaffens in Hamburg (rund 120 Werke) hat John Neumeier eine Auswahl getroffen, die die Evolution vom ersten Stück "Desir" von 1973 bis zu seinen Choreographien auf Mahler-Sinfonien zeigt. Wobei noch heute der Pas de deux aus "Desir", edel getanzt von Joelle Boulogne und Peter Dingle, in seinem noblen Neoklassizismus Bestand hat. Die junge Lera Auerbach begleitete am Flügel. Sie hatte nicht nur die Musik für Neumeiers Ballett "Preludes CV" komponiert, sie ist gerade dabei, ein Auftragswerk für ihn zu komponieren, das am 15. April des kommenden Jahres in Kopenhagen uraufgeführt wird: "Die kleine Seejungfrau" nach dem Märchen von Hans Christian Andersen.
"Shakespeare vertanzt" hieß der erste Teil des dreigliedrigen, keine Sekunde langweiligen Abends, in dem vorwiegend Mitglieder des Hamburg Ballett brillierten, ergänzt durch die elegante Margaret Illmann vom Wiener Staatsopernballett mit ihrem etwas bräsigen Partner Gregor Hatala. Einen ersten, überaus positiven Eindruck konnte der Zuschauer von der weich und geschmeidig tanzenden künftigen Ersten Solistin Barbora Kohoutkova vom Boston Ballett gewinnen. Sie wird die Stelle von Elizabeth Loscavio einnehmen, die sich ins Privatleben zurückzieht. Mit dem ihr gewidmeten Pas de deux "For Elizabeth" sagte die charmante Tänzerin Adieu. Deren Lebenspartner Carsten Jung aber wurde von Neumeier unversehens zum Ersten Solisten erklärt. Sein strahlendes, gelöstes Tanzen war sicherlich Ausdruck dieser unvermuteten Beförderung. Auch Yohan Stegli und Catherine Dumont, bisher im Corps de ballet, wurden nach der Vorstellung zu Solisten ernannt. Abschied nehmen dagegen hieß es auch für die spritzige Solistin Adela Pollertov, die in ihre Heimatstadt Prag zurückkehrt, um Journalistin zu werden.
Was aber wäre eine Nijinsky-Gala ohne jene Superstars, die in einsamer Sonderklasse das schiere Entzücken auslösen, ohne sich eitel in den Vordergrund zu tanzen? Das gilt für den Russen Vladimir Malakhov ebenso, wie für den Franzosen Nicolas Le Riche, die ihren exquisiten, Staunen erregenden Partnerinnen Diana Vishneva und Eleonora Abbagnato wundervoll sekundierten. Auch die stupende Rumänin Alina Cojocaru, mit Partner Johan Kobborg, ließ uns in den Balletthimmel schauen, wie die nicht minder frappierende Lucia Lacarra mit Cyril Pierre vom Bayerischen Staatsballett München.
Den tiefsten und nachhaltigsten Eindruck aber vermittelten die ehemaligen Ersten Solisten Gigi Hyatt und Gamal Gouda in ihrem Pas de deux aus Neumeiers "Othello"-Ballett, das sie 1985 aus der Taufe gehoben hatten. Selbst wenn die Bewegungen weitgehend identisch waren, vollzog sich vor unseren Augen nicht das Ritual jungen, feierlich-ernsten Verliebtseins, sondern die Gelassenheit zweier in langer Vertrautheit älter gewordener Liebender.
Ähnlich bewegend war die Wiederbegegnung mit Ivan Liska und Kevin Haigen, die von der Jugend Ivan Urban und Alexandre Riabko nahtlos tänzerisch abgelöst wurden. Ein sinnfälliges Bild für die Einmaligkeit der Hamburger Compagnie und ihres Chefs, dem es an diesem Abend gelang, noch sieben weitere ehemalige Erste Solisten in Mahlers 3. Sinfonie einzubinden. Zum Dank katapultierten die Tänzer John Neumeier nach einer temperamentvollen "Bernstein Dances"- Zugabe mit einem Salto an die Bühnenrampe und das Publikum verfiel in applaudierende Raserei mit Standing Ovations.