Hamburg. Erstmals wurde der Deutsche Jazzpreis verliehen – auch ein Studio in Stellingen war Schauplatz. Der Ehrenpreis ging an Karsten Jahnke.

„Ihr haltet noch durch, oder?“, fragt Pinar Atalay, und nach mehr als drei Stunden Preisverleihung hat diese Frage durchaus ihre Berechtigung. Natürlich ist der „Tagesthemen“-Moderatorin, die in den Stellinger Orendt Studios durch die Verleihung des ersten Deutschen Jazzpreises führt, nicht entgangen, dass sich unter den Gästen so langsam Ermüdungserscheinungen breit machen. Zwei Stunden sollte die Veranstaltung dauern, am Ende wird um 90 Minuten überzogen worden sein.

Aber es dauert eben einfach seine Zeit, bis Preisträgerinnen und Preisträger in mehr als 30 Kategorien bekannt gegeben worden sind – zumal, wenn die Veranstaltung gleich an vier Orten parallel stattfindet und mal hierhin, mal dorthin geschaltet wird. Mit dem A-Trane in Berlin, der Unterfahrt in München und dem Ella & Louis in Mannheim gibt es drei Jazzclubs, aus denen live gestreamt wird, dazu kommt als Sendezentrale der Hamburger Studiokomplex nahe der A7.

Clubatmosphäre in Hamburger Studiokomplex

Hier hat man versucht, mit locker gestellten Tischen und heimeliger Beleuchtung für ein wenig Clubatmosphäre zu sorgen. Zwei Bühnen gibt es auch und deshalb natürlich – wie aus den echten Clubs – Live-Musik. Für die ist unter anderem Posaunist Nils Landgren mit seiner Funk Unit zuständig, der selbst kurz vor 23 Uhr noch einen echten Wachmacher abliefert. Was auch bei Pinar Atalay bleibenden Eindruck hinterlässt, die zwischendurch mit ihm ebenso ein Selfie macht (und auf ihre Instagram-Seite stellt) wie mit den vor Ort anwesenden Preisträgerinnen und Preisträgern.

Posaunist Nils Landgren spielte mit seiner Band live.
Posaunist Nils Landgren spielte mit seiner Band live. © Fynn Freund | Unbekannt

Und für die, aber auch für alle Nominierten und die hiesige Jazzszene insgesamt, ist der Deutsche Jazzpreis ein Meilenstein. Finanziert aus dem Haushalt von Monika Grütters, der Staatsministerin für Kultur und Medien, ist jede Auszeichnung mit 10.000 Euro dotiert – ein warmer Regen für in der Regel freiberuflich tätige Jazzmusikerinnen und -musiker, denen in der Coronakrise nahezu sämtliche Auftrittsmöglichkeiten weggebrochen sind.

Deutsche Jazzszene unterschätzt

Zugleich aber sorgt dieser Preis, der auf den 2018 eingestellten Echo Jazz folgt, für eine künstlerische Bestätigung und mediale Sichtbarkeit, die sich nicht in Cent und Euro ausdrücken lässt. Genau darum gehe es ihr auch, sagt Monika Grütters in einem kurzen Interview-Einspieler. Die deutsche Jazzszene werde bisweilen unterschätzt, habe aber internationale Klasse. Als Stammgast im A-Trane weiß sie, wovon sie spricht.

Welche Bedeutung der Preis hat, wird einmal mehr deutlich, als in Hamburg Lucia Cadotsch, Gewinnerin der Kategorie „Vokal“, ihre kurze Dankesrede kaum zu Ende bringt, weil ihr die Tränen in die Augen schießen. Anrührend auch der Moment, als Sängerin und Komponistin Fabia Mantwill erfährt, dass sie in der Kategorie „Arrangement des Jahres“ gewonnen hat, während sie mit ihrer Band bereits als geplanter Show­act auf der Bühne steht. Da heißt es erst einmal tiiiieeef durchatmen, bevor sie ans Mikro tritt.

Konkurrenz für die bekannten Künstler

Was auffällt in diesen knapp dreieinhalb Stunden, ist die durchgehende Klasse der Nominierten, deren letzte Veröffentlichungen auf einer der Videowände jeweils kurz eingespielt werden. Die von der Initiative Musik organisierte Jury, zu der neben vielen Brancheninsidern auch Künstlerinnen und Künstler wie Ute Lemper (live aus New York zugeschaltet), Max Mutzke, Rolf Kühn und Bugge Wesseltoft gehörten, hat tatsächlich exzellente Arbeit geleistet und viele Talente bedacht, die diesen Anschub gut gebrauchen können.

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Auch die in der Szene längst Etablierten, die an diesem Abend mit einem Preis geehrt werden, darunter Pianist Tigran Hamasyan, Trompeter Markus Stockhausen und das Andromeda Mega Express Orchestra, sind durchweg eine gute Wahl. Dass in den internationalen Kategorien nominierte Stars wie Bassistin Kinga Glyk, Saxofonist Joshua Redman oder Sänger Gregory Porter weniger bekannten Künstlerinnen und Künstlern den Vortritt lassen müssen, könnte als Absage an den Mainstream verstanden werden, ist aber wohl eher der hohen Qualität der Konkurrenz geschuldet.

Auch weniger spektakuläre Kategorien bedacht

Lobenswert in jedem Fall, dass auch weniger spektakuläre Kategorien wie „Besondere Instrumente“ (Gewinner: Vibrafonist Christopher Dell) oder „Rundfunkproduktion des Jahres“ (Bill Laurance & die WDR Big Band) Raum bekommen.

Für den bewegendsten Moment des langen Abends sorgen dann zwei Golden Oldies: Konzertveranstalter Karsten Jahnke (83) und Jazz-Legende Herbie Hancock (81). Seit 50 Jahren kennen die beiden sich nun schon, damals buchte Jahnke den US-Pianisten für einen Auftritt im Hamburger Malersaal.

Karsten Jahnke erhält Ehrenpreis in Hamburg

Und jetzt, als Karsten Jahnke den Ehrenpreis für sein Lebenswerk erhält, hat Hancock ein wunderbares Grußvideo („Für meinen alten Freund“) aufgenommen, in dem er sich nicht nur für die jahrzehntelange Unterstützung bedankt, sondern auch angekündigt, 2022 wieder nach Hamburg zu kommen. Langer Applaus, auch als der Geehrte ankündigt, sich noch lange nicht zu Ruhe setzen zu wollen. „Jetzt wo mein Enkel Ben die Firma führt, habe ich Zeit, mich ganz auf den Jazz zu konzentrieren.“ Das hört hier jeder gern.

Auch wenn die erste Verleihung des Deutschen Jazzpreises Überlänge hat, sie ist ein Erfolg. Einer, der ahnen lässt, wie durschlagend das Ganze schon im kommenden Jahr sein könnte – mit großem Live-Publikum und hoffentlich auch mit einer Fernsehübertragung, die diese Auszeichnung unbedingt verdient hätte.

Aufzeichnung abrufbar unter live.deutscher-jazzpreis.de