Studenten versperren die Zugänge zum Fakultätsgebäude VMP9 der Uni Hamburg. Die Aktion richtet sich gegen die Sparpläne des Senats.

Hamburg. Entspannte Musik bei strahlendem Sonnenschein und kaffeetrinkende Studenten auf gemütlichen Sofas. Das Bild, das sich am Mittwochmorgen vor dem Haupteingang der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Universität Hamburg bietet, lässt einen typischen Sommertag an einer Hochschule erahnen. Doch wer das Geschehen ein wenig genauer beobachtet, merkt schnell, dass die Studenten nicht aufgrund des schönen Wetters vor den Türen sitzen. Die Eingänge sind geschlossen. Niemand kommt rein. Keine Professoren, keine Dozenten und erst recht keine Studenten. Die Fakultät ist besetzt. Die Vorlesungen fallen aus.

Eine Initiative aus knapp 30 Studierenden der Fachschaftsräte Sozialökonomie, Sozialwissenschaften und Geisteswissenschaften sowie Aktivisten politischer Hochschulgruppen haben das Gebäude abgeriegelt. Ihr Protest richtet sich gegen die Sparpolitik der Universität und des Hamburger Senats. Der Vorwurf: Jahrelange Nichtnachbesetzung von freigewordenen Professuren, fehlende akademische Selbstverwaltung auf Fachbereichsebene sowie die drohende Schließung des Fachbereichs Sozialökonomie.

„Die SPD hat hinterhältig und dreist gehandelt, indem sie falsche Wahlversprechen abgegeben hat“, sagt Gregor Stalinski, Student der Sozialökonomie: „Es kann nicht der richtige Weg sein, die Bildung zu kürzen“. Der 26-Jährige unterstützt die Besetzung der Fakultät, auch wenn sein Studium aufgrund der ausfallenden Seminare darunter leidet. Das sehen hier aber nicht alle so. Unter den knapp 50 Studenten vor dem geschlossenen Eingang wird teilweise heftig über Sinn und Unsinn des Protestes diskutiert. Viele sind verärgert, weil sie von der Arbeit abgehalten werden. „Wir distanzieren uns eindeutig von der Besetzung. Sie trifft die Falschen und erreicht bei der Bürgerschaft nichts“, sagt Jeanine Lücke, 27, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut. Sie konnte zwar über einen Kellereingang in das Gebäude finden, ihre Arbeit aber nicht ausführen. Auch ihre Freundin Jasmina Korac zeigt sich genervt. Die BWL-Studentin kommt jeden Morgen aus Schleswig-Holstein angereist und ärgert sich über den Seminarausfall: „Ich schreibe in sechs Wochen eine Klausur und brauche dafür jede Übung“, sagt die 28-Jährige.

Dabei hätten die beiden die Aktion unter Umständen verhindern können, denn am Tag zuvor wurde auf einer Vollversammlung über die Besetzung abgestimmt. Doch von dieser Versammlung wussten ebenso wenige Studenten wie von den verriegelten Türen am Tag darauf. „Ich bin sehr überrascht“, sagt Melf Molinas, 24. „Die Proteste verstehe ich, aber ich kann nicht arbeiten und das nervt“, so der Entrepreneurship-Student (Unternehmensgründung).

Svenja Beyer, 22, und Laura Fricke, 21, wussten von der Aktion. Sie wurden noch am Abend von ihrem Tutor via Facebook informiert. Trotzdem suchten die beiden Studentinnen den Weg zum Campus. „Unser Studiengang ist super und muss erhalten bleiben“, sagen sie unisono. Schließlich sind beide extra nach Hamburg gezogen, um Sozialökonomie zu studieren. „Der Protest geht jeden an und ist genau richtig, sonst findet man kein Gehör“, meint Svenja Beyer. Ähnlich sieht es Sergej Müller, der denselben Studiengang absolviert: „In unserem Bachelor-System verhallt die Stimme eines Einzelnen. Durch den Protest entstehen wichtige Diskussionen. Manchmal muss man eben etwas radikaler sein“, sagt er.

So radikal wie im Dezember 2009, als das besetzte Audimax-Gebäude erst nach Wochen von der Polizei geräumt wurde, geht es an diesem Dienstag aber nicht zu. Noch nicht. Denn weitere Aktionen sind geplant. Wie lange die Fakultät blockiert wird, soll eine Vollversammlung entscheiden. Christian Vehrs aus dem Besetzungsplenum verteidigt die Maßnahme. „Eine Besetzung führt immer zu einem gesprächsbereiten Dekan“, sagt der 28-Jährige. Und: „Sie ist ein geeignetes Mittel, um den Studenten einen Freiraum im Studienalltag zu schaffen“. Freiraum, der nicht von allen Studenten gewünscht wird. Zu stressig ist der Alltag, zu hoch die Anforderungen, zu gering die Zeit zum Lernen.

Eine Gruppe von fünf jungen Männern steht im Kreis und diskutiert. Die leitende Frage: Was bringt der Protest? „Nichts“, sagen die Einen, das habe die Vergangenheit doch gezeigt. „Zumindest bewegt sich was“, sagen die Anderen, auch wenn es nur eine Momentaufnahme sei.

Währenddessen hängen zwei Aktivisten über dem Eingang des Fakultätsgebäudes VMP9 ein riesiges Banner auf: „Für eine radikale Theorie-Praxis-Reflexion“, steht auf dem schwarz-rot-goldenen Stoff. „Basisdemokratisch gegen Kürzungen und für freie und kritische Bildung“, lautet die Forderung des Plenums.

Es ist nicht die erste Protestaktion der Fachschaft, mindestens einmal pro Semester bleiben die Türen dicht. Vielleicht ist auch das der Grund, warum der Funke unter den betroffenden Studenten nicht so ganz überspringen will. Man versteht die Besetzung, aber irgendwie stört sie auch, so der mehrheitliche Tenor vor dem Eingang. So wie Oliver Knoop denken die meisten Studierenden: „Ich unterstütze die Aktion, aber erreicht man damit das, was man will? Man schneidet sich eher ins eigene Fleisch. Es fehlt die Nachhaltigkeit“, so die Worte des 30-Jährigen.

Für die kommenden Tage haben die Aktivisten weitere Aktionen angekündigt. Mit einem Protestcamp auf dem Rathausmarkt und dem Flashmob-Motto „Haare statt Uni kürzen“ soll das Protestfeuer entfacht werden. Ob sie damit bei Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) punkten, ist fraglich.