Hamburg. Songs und Tanz sind der Hit in „MJ“ im Stage Theater an der Elbe. Aber das Stück ist emotionsarm und trägt zudem eine historische Last.
„Es ist kurz vor Mitternacht, und etwas Böses lauert in der Dunkelheit. Unter dem Mondlicht siehst du etwas, und dein Herz bleibt beinahe stehen“: Untote tanzen bedrohlich in zackigen Rhythmen, in ihrer Mitte ein Mann, der vielleicht einer von ihnen ist, vielleicht auch nicht. Es ist der „King of Pop“, Michael Jackson. Was für ein „Thriller“ in „MJ – Das Michael Jackson Musical“, das am Sonntag Premiere im Hamburger Stage Theater an der Elbe feierte.
Das Leben und Wirken von Michael Jackson, 1958 geboren und 2009 mit nur 50 Jahren an den Folgen einer Narkosemittel-Überdosierung gestorben, ist eigentlich unmöglich auf zweieinhalb Stunden Bühnenzeit zu reduzieren. Denn wenn mehrere Dekaden der unterschiedlichsten Musik- und Tanzstile, großen Erfolge und Reinfälle, schlimmen Skandale und Prozesse zur Auswahl stehen, so ist schon jedes Detail an sich übermenschlich groß.
„MJ – Das Michael Jackson Musical“ in Hamburg: Uraufführung war 2022 am Broadway
Die letzte gemeinsame „Victory“-Tournee der Jacksons 1984 zum Beispiel war seinerzeit die bis dahin teuerste und erfolgreichste Stadion-Poptournee, aber hinter den Kulissen brannte förmlich der Baum. Es gab Neid, Missgunst, Gier, Stolz, Betrug, Hybris und Drama, bis Michael beim letzten Auftritt verkündete, nie wieder mit seinen Brüdern aufzutreten. Stoff genug für ein Bühnenstück. In „MJ“ füllt diese Episode gerade mal fünf Minuten.
- „MJ – Das Michael Jackson Musical“ – Was Fans jetzt wissen müssen
- Quincy Jones ist tot: Nachruf auf den Paten der schwarzen Musik
- Musical „& Julia“ in Hamburg: Diese tolle Party weckt sogar Tote auf
Das Unmögliche versuchen und durchziehen. Das war immer der Anspruch von Michael Jackson, und davon ließen sich 2022 auch US-Dramatikerin Lynn Nottage und der britische Choreograf Christopher Wheeldon bei der Uraufführung des „MJ“-Musicals im New Yorker Neil Simon Theatre inspirieren. Sie ließen Michael Jackson im Proberaum seine Geschichte in Rückblicken erzählen, während er sich auf seine größte Tournee vorbereitete, die „Dangerous“-Tour 1992.
Premiere in Hamburg: „MJ“ beginnt im Jahr 1992 in München
Dass Stage Entertainment nach der London-Premiere im März 2024 den dritten (und ersten nicht englischsprachigen) Ableger im Hamburger Stage Theater an der Elbe präsentiert, ist historisch gesehen durchaus passend. Damals war die „Dangerous“-Tour auch im Volksparkstadion zu erleben, und Start der historischen Konzertreise wie auch des Musicals war und ist München im Jahr 1992.
Hier versammeln sich Tänzer, Band und Crew im Proberaum und warten auf Michael (Benét Monteiro) und den Start der Sessions. Allerdings hat der Sänger immer neue teure Ideen und Wünsche für die Bühne, mit denen er seinen Tourleiter Rob (David Hughey) schier zur Verzweiflung bringt. Für weitere Unruhe sorgt ein Filmteam von MTV mit Rachel (Eve Rades) und Alejandro (Pedro Reichert), das die Proben begleitet und ein Interview mit dem kamerascheuen Megastar führen will.
„MJ“-Musical: Hitreise vor und zurück durch mehrere Jahrzehnte
Michael erzählt Rachel von seiner Kindheit, wie er – toll gespielt und getanzt von Kinderdarsteller Luan – mit den R‘n‘B- und Soul-Hits von Motown aufwächst und mit seinen Brüdern von seinem Vater Joseph (David Hughey in einer Doppelrolle) mit grausamer Strenge zu einem unglaublich talentierten Showensemble gedrillt wird.
Immer wieder wechseln die Perspektiven von München in die Vergangenheit und wieder zurück. Zu Produzenten-Legende Quincy Jones (DNPRI), der mit Michael (in seinen 20ern gespielt von Prince Damien) die Soloalben „Off The Wall“, „Thriller“ und „Bad“ kreiert und so dem „King of Pop“ auf den Thron hilft. Zum Unfall beim Dreh eines Pepsi-Werbespots, bei dem Michael schwere Verbrennungen erleidet (und danach medikamentenabhängig wird, wie Rachel aufdeckt). Zur „Victory“-Tour, zur Gerüchtegier der Medien. Und in München bei den Proben steht über allem die Frage, ob Michael seine „Neverland“-Ranch verpfänden muss, um die „Dangerous“-Tour zu finanzieren.
„MJ – Das Michael Jackson Musical“: Drei brillante Darsteller
In kurzen Ausschnitten oder komplett ausgespielt reiht sich so Hit an Hit, von den jungen Jackson Five („ABC“, „I Want You Back“) zu den Disco-Jacksons („Can You Feel it“, „Blame It On The Boogie“, „Dancing Machine“), von Michaels ersten Soloerfolgen („Don‘t Stop Til You Get Enough“, „I Can‘t Help It“) bis zu den Meilensteilen von „Thriller“ und „Bad“. Auch einige Spätwerke wie „They Don‘t Care About Us“ und „Tabloid Junkie“ (veröffentlicht 1995), „Price Of Fame“ (1986 aufgenommen, aber erst 2012 erschienen) und „Jam“ vom „Dangerous“-Album 1991 bereichern den Soundtrack, den die von Aday Rodriguez Toledo geleitete Musical-Band auch auf der Bühne und nicht nur offstage sehr, sehr gut und mit ordentlichem Bums auf das Parkett knallt.
Und die drei Michaels sowie der gesamte Cast toben sich geradezu aus mit den Songs. Benét Monteiro liefert nach den Hauptrollen in „Hamilton“ und „Hercules“ sein absolutes Meisterstück ab. Der „Moonwalk“ und die vielen weiteren legendären Tanzfiguren gelingen ihm perfekt. Auch kleinere Details wie Michaels leiser, sanfter Singsang beim Sprechen sind auch im Deutschen gut umgesetzt.
Michael-Jackson-Musical Hamburg: Tolle Choreografie bei „Dancing Machine“
Den Hut muss man aber auch vor Prince Damien ziehen. Der „Deutschland sucht den Superstar“-Sieger von 2016 hat bis auf eine Rolle im Take-That-Stück „The Band“ 2019 in Berlin noch wenig Musical-Erfahrung und muss trotzdem Michael auf dem kreativen Höhepunkt seiner Karriere verkörpern. Auch wenn es Prince Damien noch an Ausstrahlung fehlt, macht er tänzerisch seine Sache gut – und kommt dem echten Michael gesanglich besonders nah.
Die Crew ist auch in den zweiten Reihen, etwa mit DNPRI als Quincy Jones und Tito Jackson oder Jessica Maers als Katherine Jackson, ideal besetzt. Der Soundtrack und die Band sind der Hit. Tänze und Choreografien sind vor allem bei „Dancing Machine“ mit dem berühmten Robotergang der Jackson Five, bei „Smooth Criminal“ (ohne den „Anti-Gravity Lean“) und bei „Thriller“ toll anzusehen, wenn auch nicht so spektakulär wie die historischen Vorbilder. Bühne und Lichtstimmungen arbeiten ohne große Überraschungen, aber songdienlich.
Premiere im Stage Theater an der Elbe: Handlung und Dialoge bei MJ-Musical sind Mittelmaß
Trotzdem bleibt „MJ – Das Michael Jackson Musical“ nur der King of Mittelmaß, was aber vor allem an der Vorlage von Lynn Nottage und Christopher Wheeldon liegt. Denn „MJ“ bietet kein Drama, keine Tragik, keine Romantik, keine große Krise, keine Gefahren, keine Auferstehung. Auch Humor wird nur klein portioniert, mit Anspielungen auf den großen Konkurrenten Prince und Michaels Spaß an Verkleidungen. Es mangelt also auffällig an klassischen Musical-Emotionen. Und bricht man die Handlung auf den roten Faden herunter, so geht es in „MJ“ nur darum, ob er am Ende seinen anfangs gewünschten Bühneneffekt bekommt oder nicht. Die Auflösung nach „Man In The Mirror“ lässt einen leicht enttäuscht mit einem „Das war es jetzt?“ zurück.
Und dann ist da noch neben den an Plattitüden nicht armen Dialogen („Du musst die Musik fühlen“) und ständigen Verweisen auf Jacksons Philanthropie („Earth Song“) und Millionenspenden an Stiftungen der Elefant im Raum. Der Grund, warum die „Dangerous“-Tour 1993 vor dem USA-Abschnitt abgebrochen wurde: Die Vorwürfe, Michael Jackson habe minderjährige Jungen missbraucht, begannen in dieser Zeit.
Michael Jackson: „Kann man Künstler und Werk trennen?“
Noch immer gibt es in der Öffentlichkeit sehr unterschiedliche Ansichten darüber, ob Jackson ein pädophiler Täter war oder ein naives, unschuldiges Opfer von Erpressern. Bei allen Aussagen, Widersprüchen und Freisprüchen bleibt am Ende doch ein ungutes Gefühl. All das ist in „MJ“ allerdings nicht Thema.
„MJ – Das Michael Jackson Musical“ bis 21.12.2025, Stage Theater an der Elbe, Norderelbstraße 8, Karten ab 63,99 im Vorverkauf; www.stage-entertainment.de
Sternstunde oder Reinfall? Jeden Monat rezensieren wir für unsere Abonnentinnen und Abonnenten mehr als 100 Konzerte, Theatervorstellungen, Choreografien, Bücher, Ausstellungen, Serien oder Filme. Hier finden Sie alle Kritiken – was Sie in Hamburg gesehen, gehört oder gelesen haben müssen!