Hamburg. Er erlebe wieder einen Shitstorm, erzählte der immer noch Berühmte im Zeise. Dann redete er ohne Punkt und Komma. Auch ohne Verstand?
Es gab den erwarteten großen Jubel, als Deutschlands großer TV-Mann auf die Bühne des kleinen Zeise-Kinos kam. Man wusste ja, Gottschalk hat noch seine Fans, und es sind nicht wenige. Man könnte jetzt ein paar Bemerkungen über die Demografie dieses Landes machen. Sehr, sehr viele Deutsche sind nicht jung, sehr viele kennen Thomas Gottschalk, viele mögen ihn. Denen rief der 75-Jährige, der an diesem Mittwochabend sein neues, eigentlich schon weit und breit und wirklich erschöpfend besprochenes Buch „Ungefiltert: Bekenntnisse von einem, der den Mund nicht halten kann“ in Hamburg vorstellen sollte, dann gleich mal ein paar Worte zu, die den Ton der Veranstaltung vorgaben.
Niemand solle, sagte der einstige Sonnabendabenddominator Thomas Gottschalk also in Richtung des bis auf den letzten Platz besetzten Kinosaals, Sorge haben. Er sei „kein mürrischer alter Mann, der euch den Abend versauen will“. Da schwang dann gleich der Vorwurf mit, das Lamento, das seit einigen Tagen so laut durchs Land hallt: Aus ihm, dem nicht mehr im Rampenlicht stehenden Showmaster, der ein paar Dinge nicht so sieht wie die Meinungsmacher und der Zeitgeist, werde ein Gestriger gemacht.
Thomas Gottschalk in Hamburg: „Ich bin nicht verbittert“
In einem Wort: Gottschalk setzte sein Programm der Selbsterklärung und Wokenesskritik nahtlos fort. Auch das hatte man so erwartet. Es war dann aber dennoch verblüffend zu erleben, wie bedingunglos Gottschalk („Ich bin nicht verbittert, auch wenn es alle schreiben“) sein Programm auch diesmal durchzog. Es war der kompromisslose Auftritt eines Mannes, der ohne Punkt und Komma redete und dabei wie aufzogen wirkte. Als hätte er nicht schon ein ganzes Buch mit seinen auf die Dauer etwas eintönigen Gedanken vollgeschrieben, als wäre er seinen Ballast auch durch die vielen Interviews zuletzt nicht losgeworden.
Er wolle sich nicht um Kopf und Kragen reden, sagte Gottschalk, der manchmal bemüht witzig, aber nie unsympathisch war. Entwaffnung durch ehrliche Manöverkritik des früheren Erfolgsrezepts: „Ich habe es mir immer leicht gemacht und den gleichen Scheiß von zu Hause auch im Fernsehen geredet.“ Und dann die plakative Darstellung des damit zusammenhängenden Problems, unter dem Leute wie er, die mit Dampf plaudern, weil immer so viel los ist im Maschinenraum der Gedanken: „Das geht heute anscheinend nicht mehr.“
Gottschalk in Hamburg: Die Gesetze des öffentlichen Redens
Gottschalk las ein paar Absätze seines Buchs, das sich so eingehend mit den neuen Gesetzen des öffentlichen Redens beschäftigt. Vor allem unterbrach er diese Lesung aber immer wieder und palaverte frei über seine Grundverfasstheit. Es ist die eines Mannes, der seine „Fröhlichkeit“ immer habe weitergeben wollen und für den „Wurschtigkeit“ ein ganz wichtiger Bestandteil von Unterhaltung sei. Wer unterhalten will, müsse nicht ernstgenommen werden, so Gottschalk, der erkennbar über jeden Lacher froh war, sich aber insgesamt bei seinem von einem zum anderen kommenden Vortrag in der Argumentation oft so verhedderte, dass man nicht exakt wusste, was er eigentlich genau sagen wollte.
- Ich will kein Mann wie Thomas Gottschalk werden
- Lesen Sie hier, wie man mit 50 auf die, Pardon, Fresse fällt
- Neue Serie „KEKs“ aus Hamburg: Digger, das ist safe so witzig
Obwohl, man wusste es eigentlich immer, von der Grundtendenz her. Thomas Gottschalk ist einer, der massiv seiner alten, großen Zeit nachtrauert (obwohl er genau dies auch diesmal beharrlich leugnete). Früher habe er beim Bayerischen Rundfunk noch Platten aufgelegt, heute übernehme das alles ein Computer, sagte er einmal. Da arbeitet einer beharrlich daran, der Bannerträger der guten, alten Zeit zu sein.
Ein paar Sätze, herausgeklaubt aus der, aber ja, unterhaltsamen Suada Gottschalks: „Ich war immer ein Influencer, es hat nur keiner gemerkt.“ „Auf TikTok geht es heute härter zu als früher bei ‚Wetten, dass..?‘“ „Ich lasse mich nicht an den rechten Rand drängen, nur weil ich mich weigere, gewisse Dinge nicht zu sagen.“ „Die Zuschauer von ‚Wetten, dass..?‘ waren auch nicht besser als die Follower von Pietro Lombardi.“
Thomas Gottschalk und sein neues Buch: Liebesbekundungen aus dem Publikum
Deprimierend ist nicht Gottschalks Haltung zu Wokeness und Gendern, sondern sein eitles, eben nicht sonderlich selbstironisches und in quasi jedem Halbsatz geäußertes Beleidigtsein („Man hält mir in Interviews vor, dass...“). Man muss nicht in allem mit der Zeit gehen, man muss aber verstehen, dass die Zeit weitergeht und früher manches viel, viel schlechter war. Das Frauenbild zum Beispiel.
Das weiß Thomas Gottschalk auch, er will sich sein Lebenstatschwerk aber nicht kaputt machen lassen, wie an diesem offenherzigen Abend einmal mehr deutlich wurde. Man solle nicht an den falschen Stellen klatschen oder lachen, ermahnte Gottschalk sein Publikum mit gespieltem Ernst das ein oder andere mal. Seine Haltung ist klar: Wer als Unterhalter Leute verletzt, dies aber gar nicht will, darf nicht an den Internet-Pranger gestellt werden. Das ist immerhin ein kleines bisschen richtig, bezogen auf die unbarmherzigen Jäger nach Verfehlungen. Was den aktuellen Shitstorm wegen der Ohrfeigen angeht, die er seinen Söhnen einst verpasste (das Geständnis entstammt einem älteren Buch, wurde aber gerade erst von Jörg Kachelmann aufgebracht), erklärte Gottschalk in Hamburg, dass er „gegen jede Form von Gewalt“ sei. Die Ohrfeigen täten ihm heute noch leid.
Zum Schluss gab es ein paar Liebesbekundungen aus dem Publikum, natürlich, wie von Gottschalk eingefordert, per du („Ich wollte einmal danke sagen, ich bin mit dir aufwachsen, du bist eine lebende Legende“). Dann stellte sich fast jeder, der im Saal war, beim Buchverkaufsstand zum Signieren und Fotomachen an. Er frage heute immer, ob er die Leute bei den Selfies anfassen dürfe, erklärte Gottschalk, und die meisten, führte er fort, „sagen dann: Ja, du darfst“.