Hamburg. Im Gastspiel „Münchhausen oder: Freuds letzte Reise“ geht es um den berühmten Psychoanalytiker und eine sehr fantasievolle Patientin.

Ein Deutscher landet mit dem Heißluftballon auf dem Buckingham Palace und wird des versuchten Attentats auf den König bezichtigt. Eine Agentin des MI6 setzt den berühmten Mediziner Dr. Sigmund Freud unter Druck, er soll die Gefangene analysieren, herausfinden, was sie im Schilde führt. Und eine höchst lebendige Stoffpuppe bringt den mutmaßlichen Attentäter schließlich zum Reden, der unentwegt behauptet, sie sei der Baron von Münchhausen. All dies spielt in London im Jahr 1939, Hitlers Überfall auf Polen liegt erst wenige Wochen zurück.

Ausgedacht haben sich diese skurrile Handlung die Comic-Autoren Flix/Kissel. Sönke Andresen, mehrere Jahre Haus-Autor bei Ohnsorg, hat 2022 mit „Münchhausen oder: Freuds letzte Reise“ die Adaption für die Komödie am Kurfürstendamm in Berlin geschaffen. Das Ensemble gastiert nun in der Komödie Winterhuder Fährhaus.

Komödie Winterhuder Fährhaus: Als Münchhausen brilliert Jytte-Merle Böhrnsen

Wie schnell die Realität die Fiktion einzuholen vermag, zeigt sich gleich zu Beginn, als Freud über Dichtung und Wahrheit räsoniert. „Fakten interessieren nicht“, doziert der Psychoanalytiker, ein erster Gruß über den großen Teich. Und in der Tat: Wenn ein ehemaliger US-Präsident mit Erfolg weite Teile der US-Bevölkerung glauben lässt, Migranten würden Haustiere verspeisen, wirkt Münchhausens angebliche Anreise von der Rückseite des Mondes gar nicht mehr so bizarr.

Matthias Freihof, bekannt aus TV-Produktionen wie „Vera Brühne“ und Serien wie „Siska“, begeistert in der Rolle des Psychoanalytikers. Trotz Gaumen-Karzinom zieht er weiter unentwegt an seiner Zigarre, beharrt bei allem Druck des MI6, das mit dem Entzug des in London gewährten Asyls vor den Nazis droht, auf eine menschenwürdige Behandlung der mutmaßlichen Attentäterin. In der Männer-Rolle des Münchhausen brilliert die Hamburger Schauspielerin Jytte-Merle Böhrnsen („Tatort“, „Wilsberg“, „Bergdoktor“), die trotz drohender Hinrichtung unverdrossen über ihre Jagd mit Kirschkernen auf einen Hirsch berichtet.

Stoffpuppe Franz-Josef sorgt für die meisten Lacher des Abends

Für die meisten Lacher des Abends sorgt Marcus Ganser als Stoffpuppe Franz-Josef. Auf Freuds Befehle wechselte er ansatzlos seine Rollen, vom gewalttätigen Vater über den leidenschaftlichen Liebhaber bis zu diversen Tierrollen, obwohl er doch viel lieber den Jesus spielen möchte. Zusehends emanzipiert sich das Medium von seinem Meister, auch dank des Weinbrands auf Freuds Tisch, an dem er sich immer wieder bedient. Nach der Pause gleitet das leider mitunter ins Klamaukige ab. Unnötig, die Inszenierung von Andreas Gergen hat genügend Schwung. Video-Einspielungen und Licht-Effekte transportieren selbst die irrsten Münchhausen-Erzählungen in das Hier und Jetzt. So darf sich der Baron dann auch mit ihrem Franz-Josef am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen.

Berührend dann das Finale. Freud erkennt, dass sich hinter dem Lügengebäude, das sein Patient so lustvoll zimmert, ein kostbares Gut verbirgt: die Fantasie. Der Psychoanalytiker mit seinem rasiermesserscharfen Verstand lässt sich mehr und mehr auf den Baron ein, begreift, dass sich nicht alles im Leben mit der Ratio erklären lässt, zumal ihn seit Jahren Albträume plagen.

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Komödie Winterhuder Fährhaus: Fantasie als Lebenselixier

Schwer gezeichnet durch seine Krebs-Erkrankung wagt er am Ende mit Münchhausen sogar den Ritt auf der Kanonenkugel. Sie verfehlen zwar ihr Ziel, die Rückseite des Mondes. Doch die Reise in das Abenteuerland gleicht dem Bad in einem Jungbrunnen. Freud, mit einem Schlag völlig gesundet, stürmt geradezu von der Bühne.

Fantasie als Lebenselixier – nicht die schlechteste Botschaft in diesen schwierigen Zeiten. Die Zuschauerinnen und Zuschauer der ersten Aufführung belohnten die schauspielerischen Glanzleistungen mit verdientem Applaus.

Münchhausen oder: Freuds letzte Reise, noch bis zum 27. Oktober in der Komödie Winterhuder Fährhaus, Hudtwalckerstraße 13, Karten ab 25 Euro, www.komoedie-hamburg.de