Salzburg. Die Sopranistin brilliert als Polina in Prokofjews „Der Spieler“, einem Drama um das Angebliche und die Sucht nach dem schnellen Glück.

Rote Lichter blinken, riesige Kreisel drehen sich, und das über die ganze Breite der Bühne. So sieht Unruhe aus – und so klingt sie. Wie Räder drehen sich auch die Figuren der Geigen und Holzbläser, geschärft durch den durchdringenden Klang des Piccolo. Sergej Prokofjew hat in seiner Oper „Der Spieler“ die Sucht nach dem schnellen Glück auskomponiert, die Drehfigur ist eines ihrer zentralen Motive. Jetzt ist das Stück, das der junge Komponist während des Ersten Weltkriegs nach dem gleichnamigen Roman von Dostojewski schuf, in einer Inszenierung von Peter Sellars bei den Salzburger Festspielen neu herausgekommen; die Kreisel hat der Bühnenbildner George Tsypin in die Felsenreitschule gesetzt.

Salzburger Festspiele: Asmik Grigorian brilliert als eben nicht ruhender Pol

Die ganze adlige oder auch pseudo-adlige Gesellschaft im Casino von Roulettenburg (aka Wiesbaden) ist beherrscht von der Sucht. Um sie finanzieren zu können, schreckt sie vor nichts zurück. Schmückt sich mit falschen Titeln, verkauft ihre Körper.

Nichts ist, wie es zu sein scheint. In keine der Figuren mag man sich wirklich einfühlen. Zumal Prokofjew gleichsam von oben auf die Szenerie schaut: Arien oder Momente der Innenschau fehlen völlig. Alle sind dauernd im Außen, im Dialog. Prokofjew richtet seinen Fokus unentwegt von einem zum anderen, nimmt die Charakterzüge der Personen auf. Es ist ein fast filmisches Verfahren. Die Wiener Philharmoniker arbeiten unter der Leitung von Timur Zangiev die faszinierende Vielgestaltigkeit dieser Musik heraus, die nur eines nie ist, nämlich gefällig. Sellars wiederum inszeniert das Drama ohne viele Mätzchen; er weiß, dass die Musik schon alles erzählt.

Asmik Grigorian als Polina quält den ihr ergebenen Alexej. Erfüllte Liebe geht anders

DER SPIELER von Sergej Prokofjew
Wer hätte es nicht gern, das schnelle Glück? Die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor in der Felsenreitschule. © Ruth Walz | Ruth Walz

Im Zentrum der Oper steht der Hauslehrer Alexej. Er ist nicht Teil der sogenannten besseren Kreise, aber er teilt ihre Spielsucht. Sean Panikkar spielt ihn hyperaktiv und getrieben: unablässig diskutiert, wirbt, polemisiert dieser Alexej, und Panikkar schmettert zornig, färbt sein Tenortimbre mit falschem Schmelz der Ironie oder legt Anflüge von Wärme hinein, wenn Polina ihm gerade mal zugewandt ist.

Diese Polina, Stieftochter eines angeblichen Generals und als Einzige frei von der Sucht, könnte der ruhende Pol des Stücks sein, Alexejs Halt. Aber das wäre für den erbarmungslosen Seelensezierer Dostojewski viel zu einfach. Polina, gesungen von der Sopranistin Asmik Grigorian, ist in Sellars‘ Lesart traumatisiert, ein Objekt, von einem angeblich reichen angeblichen Marquis missbraucht und misshandelt. Und quält ihrerseits den ihr ergebenen Alexej. Erst durch Grigorians Expressivität, die Wärme ihres Stimmklangs, bekommt man eine Ahnung, wie sehr sie unter der Angeblichkeit leidet. Geld kann alles kaufen, aber Polina will unter ihrer zynisch-zickigen Oberfläche etwas ganz anderes. Das ist die Tragödie dieser Oper.

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Für die komische Entlastung sorgt der Auftritt der Großmutter, die zum Missfallen fast aller, die sich Hoffnungen auf ihr Vermögen machten, vom Krankenbett erstanden ist. Kurz deutet sich eine Erbschleicherkomödie an, aber dann verfällt auch die Großmutter, grandios gesungen und gespielt von der Mezzosopranistin Violeta Urmana, den Verlockungen des Rouletterads – und verliert alles.

Schwärzer kann man kaum auf die Welt schauen, als es Dostojewski und Prokofjew hier tun. Die beiden kannten sich aus. Sie waren nämlich selbst spielsüchtig.