Hamburg. Die Wiener Philharmoniker sind ohnehin phänomenal. Unter Lorenzo Viotti wurde es rauschhaft: Die Saiten glühten, das Publikum schwärmte.
Die Wiener Musikkritik steht ja eher nicht im Ruf, allzu leicht ins Schwärmen zu geraten. Im Gegenteil. Wenn die Zeitungen der österreichischen Hauptstadt ein Debüt am Pult „ihrer“ Philharmoniker so einhellig bejubeln wie das von Lorenzo Viotti am vergangenen Wochenende, darf man also besonders gespannt sein. Darauf, wie sich dasselbe Team mit demselben Programm ein paar Tage später in Hamburg präsentiert.
Und, um es kurz zu machen: Ja, auch in der Elbphilharmonie wirkt der Auftritt umwerfend. Weil es Viotti, Jahrgang 1990, gelingt, die Intensitätsstellschrauben der Wiener Philharmoniker noch ein bisschen weiter zu drehen. Dass da ein phänomenales Orchester mit einer ganz eigenen Klangkultur auf der Bühne sitzt, ist ohnehin klar. Der seidig-samtige Streichersound wärmt das Herz, nicht erst im Adagio aus Dvořáks siebter Sinfonie, nach der Pause.
Wiener Philharmoniker in Hamburg: In der Elbphilharmonie wirkt der Auftritt umwerfend
Etwas weniger selbstverständlich, oder sagen wir mal: alltäglich, ist die Bereitschaft des Orchesters, aus diesem Wohlfühlbereich auszubrechen und die Saiten auch mal glühen zu lassen. Aber so richtig. Wie im Capriccio espagnol von Rimski-Korsakow, in dem der Komponist seine Spanien-Vision in Töne fasst. Mit hitzigen Rhythmen und Kastagnetten-Klackern. Da liegt Wien plötzlich in Andalusien, da packen die Philharmoniker feurig und präzise zu, wie gleich beim temperamentvollen Start des Stücks, fett grundiert von Posaunen und Tuba. Das fetzt.
Interessanterweise betreibt Lorenzo Viotti dafür gar nicht viel Action. Der junge Dirigent verzichtet komplett auf hektischen Bewegungsalarm und dosiert die großen Gesten sparsam. Er zeigt nur das, was das Orchester braucht. Und holt so das Optimum raus.
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Viotti leitet das ganze Konzert auswendig, er regelt viel über den Blickkontakt, über kleine Zeichen mit dem Taktstock und Nuancen in der Haltung. Auch bei Rachmaninows Stück „Die Toteninsel“, deren Beginn er mit leicht nach vorne geneigtem Oberkörper dirigiert – und damit eine drückende Schwere in den Klang überträgt.
Er taucht mit den Philharmonikern tief in den Nebel und die düsteren Farben ein, um dann in der zweiten Hälfte, bei Dvořáks Siebter, die Sonne hereinzulassen. Herrlich, die schwelgerischen Melodien des Stücks und der böhmische Charme im Scherzo. Viotti groovt beschwingt, aber auch kontrolliert. Erst ganz am Ende, bei der Brahms-Zugabe, geht er richtig ab, wie unter Strom gesetzt. Rauschender Jubel, auch in Hamburg, für die Wiener und einen hochbegabten Dirigenten, den wir ziemlich sicher noch öfter am Pult von Spitzenorchestern erleben werden.