Hamburg. Die Ikone der brasilianischen Musik saß erst im falschen Zug und kam zu spät, lieferte dann aber ein wunderbares Sommer-Konzert ab.
Eine Musiklegende erleben für 35 Euro an der Abendkasse. Das ist schon ein ziemlicher Kracher. Marcos Valle, eine der Ikonen des brasilianischen Bossa Nova, hat sich im Knust angekündigt. Mit seinen 80 Jahren feiert der Musiker derzeit auf seinen Konzerten sein 60. Bühnenjubiläum sowie mehr als 100 veröffentlichte Platten.
Dementsprechend versammelt sich vor dem Club viel älteres Vinylsammler- und Bescheidwisser-Klientel. Aber auch junge Paare warten auf Einlass in den Saal, aus dem noch der Soundcheck tönt. Portugiesisch mischt sich in deutschsprachige Fachsimpeleien, luftig getragen von den Samba-Klängen, die DJ Wade auflegt. Schnell fühlt sich das Knust-Café tropisch an. Blumen auf dem Kleid, Ananas auf dem Hemd. Ein Typ trägt Brasilien-Trikot, ein anderer ein Paillettentop. Der Laden brummt, die Seele flirrt. Es ist Anfang August. Und Hamburg macht sich locker.
Konzert in Hamburg: Brasiliens Legende Marcos Valle singt im Knust, und Hamburg macht sich locker
Sein Set startet Marcos Valle an einem seiner zwei E-Pianos mit dem impulsiven „Bar Inglês“, einer jazzigen Nummer, die vom satten Funk seiner dreiköpfigen Band befeuert wird. In zartrosa Leinenhemd und heller Hose, mit Perlen- und Lederbändern um Hals und Handgelenke, wirkt der Mann aus Rio de Janeiro wie ein gut gealterter Surfer. Lockig fällt ihm das einst blonde Haar nun hellgrau auf die Schultern.
Mit gut einer Dreiviertelstunde Verspätung hat Marcos Valle sein Konzert begonnen. „Wir haben den falschen Zug erwischt“, erzählt er freundlich lächelnd. Am Abend zuvor war er noch in Köln aufgetreten. „Ein Zug hier, ein Zug da“, führt er weiter aus. Aber er wollte die Show in Hamburg auf keinen Fall aufgeben. Das Publikum dankt ihm mit immer wieder heftigem Applaus und Jubel.
Marcos Valle: Jung und alt tanzen wiegend bis ausgelassen in der Menge
In knapp anderthalb Stunden lotet Valle mit Verve die Spielarten seiner Kunst aus. Etwa die sachte groovende, melancholische Seite des Bossa Nova. Wenn im Sommer immer schon die Vergänglichkeit mitschwingt. Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins. Sein Gesang dabei warm fließend. Doch seine Band und er widmen sich auch der stark rhythmisch treibenden Auslegung des Genres. Bis hin zu psychedelischen Ausflügen. Gefühlvoll wippend lehnt sich Valle in den Sound hinein. Jung und Alt tanzen da längst wiegend bis ausgelassen in der Menge.
Immer wieder wird Valle im Gesang kraftvoll unterstützt von seiner Frau Patricia Alvi. So auch bei „Rockin‘ You Eternally“. Eine soft heranwehende Soul-Fantasie aus dem Jahr 1981, die aus Valles künstlerischer Partnerschaft mit dem US-amerikanischen Songwriter Leon Ware hervorgegangen ist. Auf einer alten Kassette habe er nach rund 40 Jahren einen unveröffentlichten Song von Ware und ihm gefunden, erzählt Valle. Dieses Relikt diente ihm nun als Grundlage für seine aktuelle Single „Feels So Good“, die er ebenfalls im Knust zu Gehör bringt. Ein Wohlgefühl in lässigem Midtempo, angereichert mit retrofuturistischen Orgelklängen. Latin-Sound nicht von dieser Welt. „Do you like it?“, fragt er mit munterem Blick. Seine Liebe und Leidenschaft für die Musik nach wie vor mehr als präsent.
Natürlich darf der Überhit „Summer Samba“ beim Knust-Konzert nicht fehlen
Und natürlich darf auch sein Überhit nicht fehlen: „Summer Samba“ aus dem Jahr 1964. Kurz verweist Valle darauf, wie wichtig diese Nummer für seine Karriere war und ist. Und wie sie zigfach interpretiert und gesampelt worden ist von Jazz über Pop bis Hip-Hop. Der Drummer startet mit akzentuiertem Shuffeln, dann steigt Valle am Piano ein und singt den Song mit einem weichem Nuscheln, das nicht weniger ist als ein Lebensgefühl. Wie eine schwüle Brise am Strand von Rio de Janeiro. Und das Herz ist ganz transparent.
Hochtourig wiederum kommt „Os Grilos (Crickets Sing For Anamaria)“ aus dem Jahr 1968 daher. Ein verjazzter Samba, dessen Schnell-Silbigkeit fast an Rap erinnert. Zusätzlich angeheizt durch ein ekstatisches Schlagzeug-Solo.
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Mit neueren Nummern wie „Parabéns“ und vor allem „Vida“ schwenkt Valle verstärkt in Richtung Funk-induzierter Disco. Erneut im eindringlich-schwelgerischen Duett mit Patricia Alvi. Und zum großen Finale gibt es mit „Estrelar“ und „Bicicleta“ zwei weitere energiegeladene Hits.
„Sonnige Tage mit lieben Menschen – was braucht man mehr“, sagt Valle. Er breitet die Arme aus und ruft gerührt: „Ihr seid großartig!“ Schließlich schiebt er noch ein „Thank you, obrigado“ hinterher und klopft sich auf seine linke Brust. Das Publikum feiert diesen sommerlichen Auftritt lautstark. Und geht womöglich ein wenig leichtfüßiger nach Hause.