Lübeck. Die Profeti della Quinta lauschen einer Epoche nach, in der Christen und Juden einträchtig miteinander lebten und musizierten.

Das gibt es noch: dass man in eine Synagoge einfach so hineingehen kann, ohne durchsucht zu werden. Die Konzertkarte vorzuzeigen reicht aus. In der Lübecker Carlebach-Synagoge bringen die Profeti della Quinta, eine in Israel gegründete Gruppe von fünf Sängern und einem Instrumentalisten, beim Schleswig-Holstein Musik Festival Werke aus dem 16. und 17. Jahrhundert zu Gehör. Und so nah das 1880 eingeweihte, in der Pogromnacht von 1938 zerstörte und nach umfangreichen Sanierungsarbeiten 2021 wiedereröffnete Gebäude bei dem St.-Annen-Kloster und der Aegidienkirche gelegen ist, so nah kommen sich in dem Programm christliche und jüdische Kultur.

Claudio Monteverdi trifft Salomone Rossi. Der eine ist einer der Leuchttürme schlechthin der westlichen Musikgeschichte, den anderen kennen nur Eingeweihte. Doch am Hof von Mantua, damals ein Zentrum des europäischen Musiklebens, waren sie Kollegen. Die Vielseitigkeit ihres Schaffens zwischen Weltlichem und Sakralem kommt in diesem sehr besonderen Rahmen zum Klingen.

Schleswig-Holstein Musik Festival in Lübeck: Diese Bitte trifft ins Herz

Die erste Hälfte des Abends gehört Rossi fast allein. Die zwei Countertenöre, zwei Tenöre und der Bass behexen das Publikum förmlich bei vier hebräischsprachigen synagogalen Gesängen, so filigran und gleichzeitig üppig entfaltet sich die Musik. Sie musizieren traumwandlerisch zusammen, verständigen sich kaum merklich mit Blicken oder winzigen Gesten. Glasklar die Textdeklamation, vibratoarm die Stimmen. Und der Countertenor Doron Schleifer, der die Oberstimme singt, hat es im kleinen Finger, welche Verzierungen aus dem Schatz der damaligen Ästhetik er einsetzt: immer gerade so viel, dass man am Haken ist. Nie stellt seine Kunstfertigkeit er einfach nur aus.

Den instrumentalen Kontrapunkt setzt Ori Harmelin an der Theorbe. Die ist sozusagen die Luxusversion einer Laute, mit ziemlich vielen und teils extralangen Saiten, die einen körperlich spürbaren Bass-Groove erzeugen können. Ein Instrument wie geschaffen, um spielend zu meditieren. Das führt Harmelin mit seinen „Variationen über „La Monica‘“ vor, mit Läufen und Trillern und theatralen Echos.

Schleswig-Holstein Musik Festival: Die Popsongs der Epoche waren die Madrigale

Und dann kommen die Popsongs von damals, die Madrigale. Natürlich hat die Menschen auch in jenen fernen Zeiten die Liebe in all ihren erfüllten und unerfüllten Spielarten bewegt. Man sang von Seufzern und Verlangen, das allerdings so kunstvoll mehrstimmig, wie es damals üblich war. Ziemlich anspruchsvolle Popsongs also. Und für die Profeti offenkundig ihre musikalische Muttersprache.

Mehr Kultur

Nach der Pause wird es opernhaft. Zwei Lamenti (Klagegesänge) von Monteverdi werden zu einem regelrechten Kopfkino, so dramatisch ist der Ausdruck. Hier feuern sie ein Silbenfeuerwerk ab, dort reiben sie sich lustvoll an den fast atonal klingenden Dissonanzen.

Zum Schluss singen sie das „Kaddish“-Gebet von Rossi, das mit der Bitte um Frieden für Israel endet. „Das ist auch unser Gebet für heute“, sagt der Bass und Ensembleleiter Elam Rotem. Es ist die einzige Bezugnahme auf das weltpolitische Tagesgeschehen. Und trifft, gerade in seiner Zurückhaltung, ins Herz.