Hamburg. Nach seinem plötzlichen Rücktritt zieht der Kunsthallen-Geschäftsführer Bilanz – die fällt, bei aller Wehmut, nicht nur positiv aus.
Er war sieben Jahre lang Geschäftsführer von Hamburgs wichtigstem Museum. Erst 2021 war sein Vertrag bis 2027 verlängert worden. Am Freitag feierte Norbert Kölle nun überraschend seinen Abschied mit vielen Wegbegleitern, Kolleginnen und Freunden im Restaurant Cube neben der Kunsthalle. Am 31. Juli ist sein letzter Arbeitstag. Im Interview berichtet er über gute und schlechte Zeiten am Glockengießerwall. Und darüber, dass es manchmal geknirscht hat zwischen Geschäftsführer und Direktor.
Hamburger Abendblatt: Es hat viele sehr überrascht, dass Sie drei Jahre vor Vertragsende die Kunsthalle verlassen. Warum ist das so?
Norbert Kölle: Hinter mir liegen sieben sehr anspruchsvolle Jahre, natürlich mit dem riesigen Ausverkauf der Caspar-David-Friedrich-Ausstellung in diesem Jahr. Aber denken Sie mal zurück ans Jahr 2019: Die Feierlichkeiten zu 150 Jahren Kunsthalle durfte ich allein organisieren, dann die Finanz-Turbulenzen, ich habe die Buchhaltung ins Haus geholt, die Digitalisierung vorangetrieben. Ich habe unglaublich viele Projekte angestoßen, etwa mit Christoph Martin Vogtherr die zehn Millionen Euro vom Bund besorgt für den Umbau. Die Kunsthalle ist ein sehr großes, anspruchsvolles Haus mit sehr vielen Erfolgen.
Kunsthalle: Warum es den langjährigen Geschäftsführer nach Bremen zieht
Warum gehen Sie dann ausgerechnet jetzt, in dem Jahr, in dem das Museum auch dank der Friedrich-Schau die 500.000-Besucher-Marke erreichen wird? Sie könnten doch einfach noch weiter auf der Welle des Erfolgs reiten.
Ich bin mit 63 in einer Lebensphase, in der ich mich gefragt habe: Mache ich das jetzt noch drei Jahre so weiter, bis ich sowieso in Rente gehe, oder nutze ich die Chance und gehe zurück nach Bremen, meinem zweiten Standbein? Meine Frau ist Bremerin, hat in der Stadt ihre Praxis. Ich hatte immer eine Zwitterrolle zwischen Hamburg und Bremen und viele schöne Herausforderungen. Aber ist das mit 63 noch angemessen? Somit habe ich mich für Bremen entschieden.
Was werden Sie dort beruflich machen?
Ich werde Geschäftsführer des Focke Museum, dem Bremer Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, und werde auch dort einen Erweiterungsbau finanziert mit Bundesmitteln begleiten. Ich gehe mit einem unheimlich guten Gefühl von der Kunsthalle weg. Es war sehr angenehm, mit der Kulturbehörde, den Kolleginnen und Kollegen am Haus zusammenzuarbeiten, in einer so tollen Stadt. Die Friedrich-Ausstellung war ein guter Abschluss, mehr kann man wirklich nicht erreichen.
Baustellen im Museum, die Norbert Kölle Bauchschmerzen bereiteten
Das Focke Museum ist im Vergleich zur Kunsthalle ein sehr kleines, regional arbeitendes Haus. Haben Sie nicht Angst, dass Sie sich dort langweilen?
(lacht) Ich bin dort mit offenen Armen empfangen worden. Obwohl sich vielleicht die Kolleginnen und Kollegen erst mal gewundert haben, dass jemand aus dem großen Hamburg ins kleine Bremen zieht. Aber sie freuen sich über meine Erfahrungen, und ich wünsche mir, dass ich mit meinen Erfahrungen aus dem großen Haus Impulse für das Focke Museum geben kann. Am Ende habe ich mich aber auch zwischen privat und beruflich fürs Private entschieden. Was glauben Sie, wie sich meine Frau darüber freut! Im Übrigen werde ich dort auch wieder meine Kontakte in der Kammermusik auffrischen, ich bin ja leidenschaftlicher Cello-Spieler. Hamburg ist eine tolle Musikstadt, aber Bremen auch!
Welche Baustellen haben Ihnen in der Kunsthalle Bauchschmerzen bereitet?
Dass wir trotz der zig Millionen Touristen in der Stadt davon nicht mal ein Prozent erreichen konnten. Die ersten zwei Jahre meiner Amtszeit, von 2017 bis 2019, waren richtig heftig. Da musste ich mich wirklich durchbeißen. Die Besucherzahlen drohten unter 300.000 zu rutschen. Es herrschte eine große Diskrepanz zwischen dem, was das Haus darstellen kann, und der Außenwahrnehmung durch das normale Publikum. Ich hörte oft von Leuten: ‚Seitdem Sie da sind, öffnet sich das Museum in die Stadt.‘
Wie der „Wanderer über dem Nebelmeer“ zur „Mona Lisa des Nordens“ wurde
Welche Ausstellungen werden Ihnen besonders im Gedächtnis bleiben?
Die großen Ausstellungen 2019 mit der Sammlung Odrupgaard zur dänischen Malerei und zum französischen Impressionismus waren besonders: Man bekam ein Gefühl dafür, was starke Kunstwerke sind und, dass die Kunsthalle selber sehr viele starke Werke besitzt. Das war der Moment, in dem das Museum sich wieder auf sich selbst besonnen hat als besonderes Haus. Zu der Zeit fing ich an, durch die Stadt zu ziehen und Werbung für die Kunsthalle zu machen. So entstand auch die große Prominenz des „Wanderer über dem Nebelmeer“ als „Mona Lisa des Nordens“. Jeder, der nach Hamburg kam, kriegte mit, dass hier der „Wanderer“ ist. Plötzlich kamen ganz andere Leute, die sich die Dauerausstellung ansehen wollten. Darauf bin ich sehr stolz.
In Ihrer Anfangszeit waren Sie sehr viel präsenter bei Ausstellungseröffnungen. Das übernimmt jetzt ausschließlich Alexander Klar, wie es in den meisten anderen Museen die Direktorinnen und Direktoren auch tun. Hat Sie die fehlende Aufmerksamkeit gestört?
Wie Sie sagen, ist es eher üblich, dass diese Aufgabe die Direktorinnen und Direktoren übernehmen. Da hat ja jede und jeder einen eigenen Stil. Das muss man nicht weiter kommentieren.
Kunsthalle Hamburg: Einer fehlte bei der großen Abschiedsfeier: ausgerechnet der Direktor
Es gibt noch keinen Nachfolger für den Posten des Geschäftsführers. Die Kulturbehörde arbeitet derzeit an der Ausschreibung. Solange führt Alexander Klar die Kunsthalle allein. Er war nicht nur Ihr Kompagnon für fünf Jahre, Sie haben auch zusammen Cello gespielt, wie ich hörte. Aber er war nicht bei Ihrem Abschied. Stimmt es, dass es zwischen Ihnen Differenzen gab? Differenzen, die letztlich zu Ihrer Entscheidung zu gehen geführt haben?
Das haben Sie in jedem Haus. Die Diskrepanz zwischen Direktor und Geschäftsführer ist immer eine Herausforderung. Es liegt in der Natur der Dinge, dass es da Auseinandersetzungen gibt. Das ist so gewollt und angelegt. Und war nicht der Grund, warum ich letztlich gegangen bin.
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Aber bei all Ihren Aktivitäten, die Sie erwähnt haben: Hat Ihnen da die Wertschätzung des Direktors gefehlt?
Da war Anerkennung, zum Beispiel für die Marketingkampagne der Ausstellung „Kunst für eine neue Zeit“. Damit haben wir eine Marke auch für folgende große Ausstellungsprojekte gesetzt. Die Friedrich-Schau war mein Abschiedsgeschenk für Hamburg. Darüber hinaus habe ich sehr viel Anerkennung von Fachleuten außerhalb des Museums bekommen. Die Hamburger Kunsthalle ist ein tolles Museum, es gibt nichts Besseres. Doch jetzt ist es an der Zeit, loszulassen.
Welche Qualitäten sollte die künftige Geschäftsführung Ihrer Meinung nach mitbringen? Haben Sie einen guten Rat für Ihre Nachfolgerin oder Ihren Nachfolger?
Zunächst einmal: Anerkennen, dass die Kunsthalle eines der besten Museen ist, mit außergewöhnlich guten Kuratorinnen und Kuratoren, die allesamt die Qualitäten eines Direktors oder einer Direktorin haben. Als Geschäftsführer muss man das Komplexe und Vielfältige einer Struktur von 120 Mitarbeitern im Blick haben, die sich alle sehr mit dem Haus identifizieren, von den Aufsichten und Reinigungskräften über die Gebäudetechnik und das Art Handling bis zu den Restauratoren und Provenienzforschern. Dieses Geflecht gilt es, sorgsam zu pflegen. Neben Management-Qualitäten ist ein kollegialer Umgang enorm wichtig. Als Kunsthallen-Geschäftsführer muss man Teamworker sein. Mein wichtigster Tipp: Gut zuhören!