Hamburg. Die Kulturkirche Altona bringt das italienische Super-Meisterwerk an die Wände. Man ist dicht dran – aber auch mittendrin?

Geschätzte viereinhalb Jahre und sehr viele Stunden davon kopfüber in 18 Meter Höhe hängend hat Michelangelo Buonarroti (1475–1564) an seinem Lebenswerk gearbeitet: den Fresken in der Sixtinischen Kapelle in Rom. Seine Darstellungen biblischer Geschichten zählen zu den schönsten weltweit, darunter „Die Erschaffung des Adams“ und „Das Jüngste Gericht“. Nicht nur der Papst, auch Michelangelos ärgster Konkurrent Raffael zeigte sich beeindruckt bei der Präsentation 1518. Und auch heute noch stehen Menschen stundenlang Schlange und zahlen 20 Euro für einen kurzen Blick darauf; lautes Reden und Fotografieren sind strengstens verboten.

Das muss nicht sein, dachte sich vor etwa neun Jahren Martin Biallas, CEO und Executive Producer von SEE Global mit Sitz in Los Angeles, als er die Kapelle in Rom besichtigte. Er ließ die 34 Gemälde mithilfe hochauflösender Fotografien und einer speziellen Drucktechnik in Originalgröße reproduzieren, sodass alle Farben und jede Einzelheit von Michelangelos Fresken bis ins letzte Detail erhalten bleiben. Zusammen mit der auf internationale Kultur-Spektakel spezialisierten Firma Fever entwickelte er die Ausstellung, die „eine neue Perspektive auf die hohe Kunst bieten will“, und nach Städten wie London, Wien, Marseille und Chicago nun für drei Monate in der Kulturkirche Altona zu sehen ist.

Kulturkirche Hamburg: Was Michelangelos Sixtinische Kapelle mitten in Altona macht

Der erste Eindruck in der gotischen Backstein-Architektur ist allerdings etwas ernüchternd: Stellwand-Charakter. An den ersten biblischen Szenen streift man schnell vorbei, auf der Suche nach dem großen Aha-Erlebnis, das man vom Original kennt (und eigentlich schon weiß, dass man es hier nicht finden wird). Doch dann geht der Blick in die bemalte Wölbung des Altarraums, und wie auf Knopfdruck schickt die Sonne goldene Strahlen durch die Fenster: Oben sind die Szenen der Schöpfungsgeschichte, von der Erschaffung der Welt bis zur Vertreibung aus dem Paradies, fächerartig an der nur wenige Meter hohen Decke montiert. Man wünscht sich hier die Sitzsäcke aus den immersiven Berieselungs-Shows oder gleich schöne bequeme Liegen, um all die Details in Ruhe erfassen zu können. Muss aber mit ein paar hölzernen Bänken vorliebnehmen.

Michelangelos Sixtinische Kapelle in der Kulturkirche Altona
Die Deckenfresken erzählen die Schöpfungsgeschichte, von der Erschaffung der Welt bis zur Vertreibung aus dem Paradies. © Bridgeman Images und SEE | Bridgeman Images und SEE

Interessant ist, dass das berühmteste Fresko auch als Kopie seine Wirkung erzielt: Wie Adam da so lässig auf der Seite lehnt und sein linker Zeigefinger fast Gottes rechten Zeigefinger berührt, ist so ikonisch und tausendfach kopiert, dass viele Besucher gar nicht anders können, als ein Selfie von sich an Adams Stelle zu machen. Hier in Altona kann und darf man das: Lautes Unterhalten, Fotografieren, Filmen und Spaßhaben sind ausdrücklich erlaubt. Berühmtheit erlangte das Gemälde „Die Erschaffung des Adams“ übrigens, weil der Künstler sich als Erster getraut hatte, Gott eine Gestalt zu geben, anstatt nur die Hand aus dem Himmel zu zeigen, und Adam als perfekten Vertreter der Menschengattung so fantastisch-athletisch darstellte.

Überraschend: Michelangelo konnte anscheinend keine Frauen malen

Der Vorteil dieser „neuen Perspektive“: Beim Betrachten fallen Besonderheiten auf, die vielleicht aus 18 Metern Entfernung nicht sichtbar wären. Zum Beispiel, dass Michelangelo zwar sehr geschickt darin war, männliche Körper zu inszenieren, aber anscheinend bei Frauen keine Übung hatte. Und so sehen seine weiblichen Figuren fast ebenso muskelstrotzend aus wie die männlichen. Im „Jüngsten Gericht“, das 160 Quadratmeter große Super-Meisterwerk, das „Il Divino“ zwischen 1536 und 1541 fertigstellte, wurden gleich mehreren Frauen einfach die Brüste aufgepfropft. Das ist bei der Reproduktion, die anstelle des Altars auf 16 Quadratmetern Fläche präsentiert wird, sehr schön zu sehen.

Michelangelos Sixtinische Kapelle in der Kulturkirche Altona
„Das Jüngste Gericht“ schuf Michelangelo zwischen 1536 und 1541. Es ist ein Höhepunkt in der Sixtinischen Kapelle und nun auch als kleinere Reproduktion in der Kulturkirche Altona zu sehen. © Bridgeman Images und SEE | Bridgeman Images und SEE

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Informativ ist die Ausstellung allemal: Vor den Fresken stehen Infotafeln mit den Beschreibungen zu den einzelnen Motiven, begleitend dazu gibt es eine Audio-App. Und in einem kleinen Nebenraum wird in einem Video die Entstehungsgeschichte der echten Kunstwerke, bereichert um allerlei Fun Facts, geschildert. Und doch bleibt man insgesamt seltsam unberührt von dieser Präsentation. Es ist eben doch etwas anderes, die Atmosphäre eines besonderen Ortes zu spüren und die Originale zu sehen. Auch, wenn man sich dafür den Nacken verrenken und einen hohen Preis zahlen muss. Zumal auch in Altona ein Eintrittsgeld von 14,20 Euro verlangt wird. Aber Schlangestehen wird man für diese Sixtinische Kapelle zumindest nicht.

„Michelangelos Sixtinische Kapelle“ bis Ende September, Kulturkirche Altona (S Holstenstraße), Bei der Johanniskirche 22, Do–So 10.00–19.00, Eintritt 14,20/11,70 (erm.); www.kulturkirche.de