Hamburg. Nach der Spielzeit ist vor der Spielzeit. In den Dekorationswerkstätten läuft der Betrieb auch in der Sommerpause. Ein Besuch vor Ort.

Wenn das Blut spritzt, wählen Stefanie Braun und ihr Team weder die 110, noch greifen sie zum Verbandskasten. Sie machen einen Test. Was sie interessiert, ist lediglich: Lässt sich das Zeug auch wieder entfernen? Sonst muss eine andere Lösung her.

Verletzte gibt es nicht bei dem Szenario. Und das sogenannte Blut wird aus Rote-Bete-Saft, Kaffee, Guarkernmehl und Wasser angerührt. Nach derselben Rezeptur mischen sie übrigens auch Rotwein an. Trinkt ja keiner, den Fusel, er muss bloß echt aussehen. Willkommen in der Illusionsfabrik Theater.

Staatsoper Hamburg: Exklusive Einblicke, wie die Illusionsfabrik Theater tickt

Das Dumme ist nur: Das Rotwein-Blut geht nicht richtig raus. Für Carl Orffs Dreiteiler „Trionfi“, mit dem die Staatsoper Hamburg die kommende Saison eröffnet, muss sich die Raumausstatterin Carolin Weida etwas ausdenken, sonst ist die weiße Stoffbespannung des Bühnenportals nach der Premiere nicht mehr weiß.

Weida arbeitet weit weg vom Opernhaus an der Dammtorstraße. Was das Publikum an Bühnenbildern zu sehen bekommt, entsteht in einem von drei riesigen dunkelroten Klötzen von Ikea-artigen Ausmaßen im Niemandsland von Rothenburgsort. Zwischen Bahngleisen, Bille und Ausfallstraßen sind die Dekorationswerkstätten der Staatsoper untergebracht, deren Leiterin Stefanie Braun ist. Von der Konstruktion über die Materialverwaltung bis zur Raumausstattung ist sie für rund 60 Menschen verantwortlich, darunter sieben Azubis.

Der Schlosser Alejandro Fuerte beim Schweißen
Der Schlosser Alejandro Fuerte beim Schweißen © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

Während der Vorstellungsbetrieb seit der traditionellen Nijinsky-Ballettgala zum Saisonabschluss – dieses Mal samt Abschied von John Neumeier – Sommerpause hat, arbeiten die Werkstätten weiter. Nach der Spielzeit ist vor der Spielzeit, die Werkstätten ticken in ihrem eigenen Rhythmus. Modellabgabe, Bauprobe, Werkstattabgabe, Technische Einrichtung: Hinter diesen Begriffen verbergen sich Marksteine auf dem Weg zur Entstehung eines Bühnenbilds. Jeder bedeutet zahllose Handgriffe und Recherchen, Abstimmungen und Besprechungen, jedes Detail muss umgesetzt werden. Und das für fünf Premieren parallel, Oper und Ballett im Großen Haus sowie in der Opera stabile, jeweils in unterschiedlichen Stadien.

In 3D man alles bauen, am Computerbildschirm ja fällt nichts um

Dirk Arbandt ist einer von drei Konstrukteuren, die die Projekte betreuen, alle drei Maschinenbauingenieure. Auf einem Tisch in seinem Büro steht eine Art schwarzes Puppenhaus. Das ist ein Modell der Bühne im Großen Haus samt Bühnenbild für Strauss‘ „Ariadne auf Naxos“, Premiere Ende Januar.

Eigentlich soll es für jedes Stück solche Modelle geben. Physische. Denn auf die 3D-Bilder, die die Spezialsoftware auf den Bildschirm zaubert, ist kein Verlass. „In 3D kann man alles machen“, sagt Arbandt. „Es fällt ja nichts um auf dem Computer. Wenn vorne nicht zu hinten passt, ist das dem Computer egal, der bildet das trotzdem ab. Erst im Modell merkt man, was in der Realität problematisch ist.“

Ein Styropor-Komet für Mozarts „Mitridate“ wird zusammengesetzt.
Ein Styropor-Komet für Mozarts „Mitridate“ wird zusammengesetzt. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

In der Praxis bekämen die Konstrukteure stattdessen allerdings manchmal nur Screenshots, berichtet er: „Dann sorgen wir erst mal dafür, dass der technische Ablauf funktioniert: Sichtlinien, Verwandlungen, Auf- und Abtritte.“

Ein Komet wird zum Schweben gebracht

Mozarts „Mitridate“ war ursprünglich als konzertante Produktion geplant, nun wird es doch szenisch gezeigt. Trotzdem wird das Orchester nicht im Graben sitzen, sondern wie ursprünglich vorgesehen auf der Bühne, über den Köpfen schwebende Kometen. Einer davon entsteht gerade in der Theaterplastik. In der Halle, sie hat die Höhe eines Kirchenschiffs, liegen lauter weiße Kügelchen auf dem Boden. Dort schnitzen der Teamleiter Plastik Frank Schmidt und seine Kollegen an einem unförmigen Styroporteil. Das wird ein Stück eines Kometen.

Federleicht ist der nicht gerade, in der Mitte sitzt ein holzverkleideter Stahlkäfig. Weil auch ein Theater der Schwerkraft unterworfen ist, wird der Komet mit seinen gut und gerne 250 Kilogramm Gewicht an Stahlseilen hängen. Die man natürlich sehen wird; Illusionen können nicht immer perfekt sein. „Es ist unsere Konstruktion, die da aufgehängt wird“, sagt Stefanie Braun . „Alle bewegen sich unter schwebenden Lasten. Wir haben eine große Verantwortung.“

Aus welchem Material sie bauen lässt, entscheidet Braun auch nach Auslastung der Gewerke

Ein anderer, kleinerer Brocken hat schon mehr Kometengestalt angenommen. Der sieht kein bisschen mehr nach Styropor aus, sondern liegt schwarz angestrichen im Malsaal. Auch wieder so ein riesiger Raum. Durch die Decke fällt das Tageslicht, an den Wänden hängen Porträts in barocker Manier neben einem expressionistisch angehauchten Landschaftsbild und etwas weiter ein paar fotorealistische Quadratmeter einer New Yorker Hauswand samt Feuertreppe, Graffiti und bröckelndem Putz. Eine Mischung, die die Fantasie befeuert. „Ja, das hier ist ein Spielplatz für Erwachsene“, sagt Stefanie Braun und lacht.

Stefanie Braun, Leiterin der Werkstätten, in der Abteilung Plastik. Das Gürteltier ist nicht echt. Natürlich nicht. Ist ja Theater.
Stefanie Braun, Leiterin der Werkstätten, in der Abteilung Plastik. Das Gürteltier ist nicht echt. Natürlich nicht. Ist ja Theater. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

In der Schlosserei schweißen sie an fahrbaren Podien, mit denen das Orchester bei „Trionfi“ auf der Bühne herumgefahren werden kann. Nebenan in der Montagehalle schraubt der Tischler Mathias Klingler Holzrahmen an einen Gitterträgerrahmen für das Ballett „Adagio“ aus dem mehrteiligen Abend „The Times Are Racing“. Den könnte man auch aus Alu oder Stahl bauen, das entscheidet Braun je nach Auslastung der beteiligten Gewerke.

Wenn es mal keine technische Lösung gibt, reden sie „mit der Kunst“

„Wir haben hier eine kugelförmige Schnittstelle. Wir müssen es allen recht machen“, sagt sie. „Es darf nichts kosten, aber nachher muss alles spitzenmäßig aussehen. Man muss das Bühnenbild in zweieinhalb Stunden aufbauen können, man muss die Teile gut verschieben und ineinanderschichten können, damit sie auf der Bühne gut herumrangiert werden können. Das Ganze darf nicht zu viel Platz wegnehmen. Und es muss halten, am besten für 25 Jahre, weil wir nicht wissen, wie lange das Stück im Repertoire bleibt.“ Das ist natürlich gnadenlos übertrieben. An der liebevollen Ironie, mit der Braun das alles aufzählt, hört man, wie sehr sie genau das liebt, auch nach mehr als 30 Jahren im Beruf. Mittendrin zu sein. Zu ermöglichen, was geht.

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Wenn es mal keine technische Lösung gibt, dann reden sie „mit der Kunst“, will sagen, mit dem Regieteam. Das Problem mit dem Rotwein in „Trionfi“ lösen sie möglicherweise über die Inszenierung: Statisten halten Stoffbahnen, auf die der Rotwein spritzt und die danach in die Waschmaschine können. So bleibt die Bespannung des Bühnenportals weiß. „Trionfi“ wird nach der Premiere schließlich fünfmal in Serie gespielt. Und wer weiß, wie viele weitere Spielzeiten.