Hamburg. Die Tastenkünstler Joja Wendt, Axel Zwingenberger, Sebastian Knauer und Martin Tingvall zeigten ausschweifend ihre Klasse.
Sommerliche Abendgarderobe in der ausverkauften Staatsoper. Und auch ein Gast im Fußballtrikot. „Italien ist raus“, raunt es kurz vor Anpfiff des Hamburger Pianosommers. Doch dann: Fokus auf die Musik. Denn zwar mag parallel die Europameisterschaft laufen. Auf der Bühne allerdings reichen vier Männer für ein höchst variantenreiches Spiel. Und das ist von Minute eins an zu erleben.
Klassik-Spezialist Sebastian Knauer, Allround-Virtuose Joja Wendt, Jazz-Poet Martin Tingvall und Boogie-Woogie-Ikone Axel Zwingenberger wechseln sich an zwei Flügeln ab und bringen direkt die gesamte dynamische Bandbreite des Instruments zu Gehör: Drama und Dunkelheit, Fantasie und Hoffnung, Swing und Experiment.
Pianosommer: Joja Wendt rief die Tastensause 2016 ins Leben
Joja Wendt, der den Pianosommer im Jahr 2016 ins Leben rief, stellt seine Mitspieler mit Herzenswärme und auch Augenzwinkern vor. Sebastian Knauer etwa sei der Einzige, der Noten lesen könne. Lacher. Und das ist das Unterhaltsame an diesem Abend: Vom Fröhlich-Kalauernden geht es direkt ins Innig-Kontemplative, wenn Knauer Beethovens „Mondscheinsonate“ äußerst achtsam und emphatisch interpretiert.
„Großartig, dass sie hier sind und nicht vor dem Fernseher“, sagt Knauer und tupft sich die Stirn ab mit einer kleinen Deutschland-Flagge. Ein Verweis auf das bald startende Spiel gegen Dänemark. Gelächter. Doch schon schwenkt die Aufmerksamkeit wieder auf die Musik. Durchatmen. Zuhören. Knauer und Wendt erschaffen gemeinsam einen „Chopin 2.0“, basierend auf dessen „Préludes“. Eine tolle Chemie in feiner Melancholie.
Pianosommer in der Staatsoper: Ein bisschen Show muss sein
Geradewegs aus einer Kneipe im Hinterland von New Orleans hat Wendt wiederum eine dringlich-groovende Version der „Rhapsody in Blue“ mitgebracht. Den Gershwin-Klassiker spielt er teils über Kopf auf dem Hocker liegend, während er mit aneinanderklackenden Hacken zum Mitklatschen animiert. Ein bisschen Show muss sein. Und die Klaviatur des Entertainments beherrscht Wendt bestens – bis hin zum Metal-Festival Wacken, wo er erneut auftreten wird. Das Staatsopern-Publikum möchte er bitte bald dort im Matsch sehen. Und als Kostprobe hämmert es gewaltig in Griegs „Halle des Bergkönigs“ – inklusive eines eindrucksvollen Grollens, als Wendt mit der Hand auf die Saiten des offenen Flügels schlägt.
Der Pianosommer ist ein Fest der Kontraste. Nach dem expressiven Metal-Flex erkunden die vier Tasten-Stars ganz eigen Rachmaninows „Prélude cis-Moll“. Tingvall träumt sich zart tastend hinein, jazzt sich mit Wendt zusammen hoch, bevor Zwingenberger entspannt übernimmt und dann auch noch Knauer mit einsteigt, bis sich alle gemeinsam munter und heftig bejubelt in Rage swingen.
Pianosommer: Martin Tingvall sorgt für den emotionalen Höhepunkt
Ein emotionaler Höhepunkt dieses vielschichtigen Konzerts: Tingvall spielt seine Komposition „Distance“ gemeinsam mit Knauer sachte suchend und voll trauriger Sehnsucht. Solo entfaltet sich dann mit „When Light Returns“ die volle lyrische Kraft von Tingvalls Jazz: Im Frühling, wenn in seiner schwedischen Heimat die lange dunkle Phase vorbei sei, schreibe er besonders viel Musik, erzählt Tingvall. Und so frei flirrend und transparent klingt auch sein Spiel.
Besonders reizvoll ist in diesen gut zweieinhalb Stunden die Interaktion zwischen den einzelnen künstlerischen Charakteren. Und was sie wechselwirkend ineinander wachrufen. Bei der Nummer „New Light“ etwa agieren Tingvall und Wendt in einfühlsamer Korrespondenz, schauen und strahlen sich an, kommunizieren melodisch, steigern das Tempo ekstatisch, nehmen sich dann wieder zurück und finden zusammen einen schlendernden Groove.
Staatsoper: Zu Joja Wendt klackern Axel Zwingenbergers Lackschuhe im Groove
Der Blues mit Axel Zwingenberger wiederum strotzt nur so vor lässigem Spielspaß. Während Tingvall körperlich geschmeidig in seine Kunst hineinfließt, scheint der Boogie-Woogie-Meister in einem imaginären Sessel zu sitzen. Ultra cool und zugleich flink präsent tanzen seine Finger über die Tasten. Beschwingt tappt sein rechter Fuß im roten Lackschuh. Und weise lächelt er unter seinem Schnauzbart in den Saal.
„Das bringt mir Freude am Musizieren“, erzählt Zwingenberger, „dass sich diese Improvisationen nicht wiederholen lassen.“ Die Schönheit des Spontanen. Der Reiz des Flüchtigen. So auch bei seinem locker-rasanten Boogie-Woogie, den er Runde um Runde unter viel Applaus ausweitet. Zwingenberger, das ist bis in die Fingerspitzen verinnerlichte Musikgeschichte. Mit Joja Wendt und dem Boogie-Woogie-Klassiker „Sixth Avenue Express“ von Albert Ammons und Pete Johnson führt er zurück in die Zeit der Kneipen-Sessions, wofür ab und an sogar mal zwei Klaviere organisiert wurden.
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Mit Standing Ovations feiert das Publikum schließlich das Vierer-Finale zu Gershwins „I Got Rhythm“ sowie zu „Summertime“ als Zugabe. Ausschweifend, üppig, nachdenklich und leicht wie der Sommer. Ganz zum Schluss, bei den letzten Verbeugungen, wird dann noch das 1:0 für Deutschland verkündet. Und Knauer hängt seine kleine Flagge über den Steinway. Da hat das Quartett längst gewonnen. Denn entscheidend ist aufm Platz.
Axel Zwingenberger Do 8.8., Fabrik; Sebastian Knauer Do 10.10., Elbphilharmonie; Martin Tingvall Mo 9.12., Laeiszhalle; Joja Wendt Di 25.3.2025, Laeiszhalle