Hamburg. Auch Pianist Nitai Hershkovits hat ein neues Album: und es gibt eine gute Nachricht für leidenschaftliche Vinyl-Liebhaber.

Fast 60 Jahre ist es jetzt her, dass John Scofield (71) erstmals „Mr. Tambourine Man“ hörte, ein Bob-Dylan-Klassiker, der in der Version der Byrds damals die Charts aufrollte. Und weil die Zeit der Jugend auch musikalisch eine prägende ist, hat diese Nummer für den US-Amerikaner bis heute eine so große Bedeutung, dass sie sein aktuelles Doppelabum „Uncel John‘s Band“ (ECM) eröffnet.

Neues Jazz-Album von John Scofield ist wie eine Hot-Stone-Massage für die Ohren

Ein Album, das immer wieder in die Vergangenheit eintaucht, etwa wenn der Gitarrist sich gemeinsam mit Vicente Archer (Bass) und Bill Stewart (Schlagzeug) Neil Youngs „Old Man“ vornimmt oder Leonard Bernsteins „Somewhere“ aus dem Musical „West Side Story“, dessen Verfilmung Scofield im Alter von elf Jahren zum ersten Mal sah. Natürlich spielt er diese Stücke – darunter auch der Jazz-Standard „Stairway To The Stars“ und der Grateful-Dead-Klassiker „Uncle John‘s Band“ – nicht einfach nach. Vielmehr sind sie Ausgangspunkte für filigrane Improvisationen, die bei aller Freiheit doch immer den Geist der Originale in sich tragen. Eine den Puls auf Entspannungsmodus setzende Sammlung von 14 Stücken, die das John Scofield Trio auf der Höhe seiner Kunst zeigt. Eine Hot-Stone-Massage für die Ohren.

John Scofields neues Album: „Uncle John‘s Band“.
John Scofields neues Album: „Uncle John‘s Band“. © ECM | ECM

Wer mit Jazzmusikerinnen und -musikern über ihre Kompositionen spricht, wird schnell mit einem offenen Geheimnis konfrontiert: Die Titel haben oft keine tiefere Bedeutung, sind nachträglich dazuerfunden worden, weil die Stücke ja nun mal irgendwie heißen müssen. Vermutlich gilt das auch für Pianist Nitai Hershkovits, denn ob seine Kompositionen nun „Single Petal Of A Rose“, „Dream Your Dreams“, „Late Blossom“ oder „This You Mean To Me“ heißen, ist im Grunde egal. Tatsächlich funktioniert dieses Soloalbum des Israeli ganz ohne zusätzlich eingezogene Bedeutungsebene. Zumal sich „Call On The Old Wise“ (ECM) problemlos als 50-minütiger Klangstrom hören lässt, nicht als Abfolge von 18 einzelnen Miniaturen.

„Call on the old wise“ von Pianist Nitai Hershkovits erinnert manchmal an Keith Jarrett

Darin erinnert es an die Improvisationskunst eines Keith Jarrett, auf dessen berühmten Soloalben „The Köln Concert“ und „Sun Bear Concerts“ sich bekanntlich keine poetischen Titel, sondern lediglich zeitliche Angaben („Part I“) und Aufnahmedaten („Kyoto, November 5, 1976“) finden. Und wie Jarrett ist Nitai Hershkovits ein improvisierender Tonmaler, der sich im Jazz ebenso zu Hause fühlt, wie in der Klassik. Er gehe in jede Aufnahmesession mit so wenig vorgefassten Ideen wie möglich, sagt der 35-Jährige. Das ist seinem ECM-Debüt im besten Sinne anzuhören.

Nitai Hershkovits: „Call On The Old Wise“.
Nitai Hershkovits: „Call On The Old Wise“. © ECM | ECM

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Auch für Vinyl-Liebhaber gibt es gute neue Nachrichten vom Münchner ECM-Label: Die erfolgreiche „Luminessence“-Serie wird fortgesetzt. Gerade ist Keith Jarretts 3-LP-Set „Solo-Concerts Bremen/Lausanne“ (1973) erschienen, im März folgen Jan Garbareks „Afric Pepperbird“ (1970) und das Keith-Jarrett-Album „Luminessence“ (1975), das der Serie ihren Namen gab.