Hamburg. Der renommierte Henri-Nannen-Preis heißt nun „Stern Preis“ und wurde in ungewohnt kleinem Rahmen vergeben.

Früher war mehr Schauspielhaus. Als diese Auszeichnung, die seit 2005 die edelsten der Edelfedern im deutschen Journalismus ein bisschen massiver veredelte, mit Glamour und rotem Teppich vor angemessen edlen Gästen in beeindruckenden Locations überreicht wurde. Als der „Stern“ und der Verlag Gruner + Jahr mit viel Lametta Pulitzer-Augenhöhe inszenierte. Die Champions League der Reportagen-Künstler und Recherche-Bohrer traf sich, um einen der ohne Wenn und Aber begehrten Nannen-Preise entgegenzunehmen und sich angemessen geehrt zu fühlen.

Zwei Jahre Corona-Zwangspause und die vor Kurzem mit großem Schwung entfachte Debatte über keineswegs neue Informationen zur Propaganda-Arbeit des legendären „Stern“-Gründers Henri Nannen während der NS-Zeit sorgten dafür, dass nun, bei der Preisverleihung 2022, sehr viel ziemlich anders war. Erstmalig und bislang einmalig heißt der Henri-Nannen-Preis „Stern Preis“, wohl nicht ganz unhektisch umgetauft. Und einiges war entschieden niedriger und bescheidener aufgehängt.

Preisverleihung Hamburg: „Stern Preis“ für ausgezeichneten Journalismus

Kein Blitzlicht-Defilee der wichtigsten Chefredakteure und Chefredakteurinnen der Nation vor einem Hamburger Staatstheater-Prunkbau. Stattdessen formloses, prominentenbefreites Ankommen bei der „Hobenköök“ im Oberhafenquartier am eher ungekämmten Rand der HafenCity, Dresscode „Casual Chic“. Man war unter sich. Wenige Meter entfernt rumpelten ICE-Züge Richtung Hauptbahnhof, gegenüber genossen Oberhafen-Kreativnutzer ihr Feierabendbier und dieses Schauspiel. Vier freundliche Hostessen in „Stern“-Rot zur Einlasskontrolle. Fachkräfte aus nahe gelegenen Top-Redaktionen kamen tiefenentspannt mit E-Bikes oder Klapprad vorgefahren. Aber Platz genug für den nötigen Branchen-Smalltalk, für reden und dabei gut gesehen werden, war auch auf der Restaurant-Terrasse vorhanden: Ex-Chefredakteure ließen neue Chefredakteure jovial wissen, wie das so ist und geht mit dem Chefredakteurssein. Um die bockigen Mitarbeiter aus dem Homeoffice zu locken, gebe es als Köder einen Monat Gratis-Essen in der „Spiegel“-Kantine, berichtete jemand. Viel Wichtiges also schon vor den Vorspeisen.

Um den riesigen, sprichwörtlichen Problem-Elefanten im Raum flott aus diesem Raum herauszuschieben, ergriff Gregor Peter Schmitz, Vorsitzender der „Stern“-Chefredaktion, bei seiner Begrüßung proaktiv das Wort und bezog kurz Stellung zur Diskussion um die erneut ins Zwielicht geratene Lichtgestalt Nannen: „Vielleicht haben wir alle nicht genau genug hingeschaut. Manchmal braucht es Anstöße von außen, um genauer hinzuschauen, und die gab es.“ Nachdem das längst bekannte Nannen-Dilemma nicht abschließend geklärt, aber zumindest etwas dazu gesagt war, begann vor etwa 150   Anwesenden die Preisvergabe.

Henri Nannen unter Preisträgern „kein Vorbild“

Das Prozedere: anders. Die Nominierten waren auf Gruppentische verteilt, während sich alle anderen noch dem Rindertatar mit grüner Kräutertunke oder dem gezupften Büffelmozzarella mit bunten Tomaten widmeten, kam das Moderatoren-Duo Charlotte Maihoff und Michel Abdollahi vorbei, um die Entscheidungen der Jury zu verkünden, gefolgt von einer Laudatio im Stehen, die sich mal mehr, mal weniger gegen den Gastro-Geräuschpegel durchsetzen konnte.

Der erste Preis, in der Kategorie „Lokal“, ging aus Hamburg nach Bremen, an ein Team des TV-Magazins „buten un binnen“ für einen Beitrag über Diskriminierung bei der Wohnungssuche. In der Kategorie „Investigation“ gewann die ARD-Dokumentation „Slahi und seine Folterer“ über einen Guantanamo-Häftling. Ob er die Auszeichnung unter dem Jetzt-Ex-Namen „Nannen-Preis“ angenommen hätte, wurde der Investigativ-Journalist John Goetz gefragt, „nein, er ist kein Vorbild“, lautete seine Antwort.

HAMBURG, GERMANY - JUNE 22: (R) Moderator Michel Abdollahi and 'Lokal' Award winners Andreas Neumann, Stella Vespermann and Sebastian Manz attend the STERN Award 2022 at Hobenköök on June 22, 2022 in Hamburg, Germany. (Photo by Alexander Koerner/Getty Images for Gruner + Jahr)
HAMBURG, GERMANY - JUNE 22: (R) Moderator Michel Abdollahi and 'Lokal' Award winners Andreas Neumann, Stella Vespermann and Sebastian Manz attend the STERN Award 2022 at Hobenköök on June 22, 2022 in Hamburg, Germany. (Photo by Alexander Koerner/Getty Images for Gruner + Jahr) © Getty Images for Gruner + Jahr | Alexander Koerner

Coronabedingt nur als „talking head“ auf einem Monitor anwesend war der Doku-Spezialist und Autor Stephan Lamby, dem die „Stern“-Chefredaktion den Republik-Preis für seine gesamte und bisherige journalistische Leistung vor allem als Chronist der deutschen Politik zuerkannte. Zu den Hauptgängen wurde der Egon-Erwin-Kisch-Preis in die „Hobenköök“- Nachbarschaft serviert, zum „Spiegel“. Özlem Gezer und Timofey Neshitov schrieben die „Hanau-Protokolle“, in denen die Angehörigen der dort aus rassistischen Gründen Ermordeten zu Wort kamen. Für Gezer ist es nach 2014 für ihre Geschichte über den Kunstsammler Cornelius Gurlitt bereits der zweite „Kisch“.

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„Geschichte des Jahres“ konnte für Moderator Michel Abdollahi nur eine sein, und die war es dann auch für die Jury: „Warum Julian Reichelt gehen musste“ über Abstieg und Fall des „Bild“-Chefredakteurs. Jene Gemeinschaftsarbeit des früheren „Ippen Investigativ“-Teams, die nach der Ausbremsung durch den eigenen Verleger mit ihrem Material beim „Spiegel“ für sich und die Recherchen eine neue Heimat fand. „Ihnen war die Geschichte wichtiger als ihr eigener Job“, lobte „SZ“-Gerichtsreporterin Annette Ramelsberger. Es sei ums Eigentliche des Journalismus gegangen: „um Glaubwürdigkeit“.