Hamburg. Antisemitische Flugblätter zwingen das Magazin zu einer Stellungnahme. Verlieren Journalistenschule und -preis ihren Namen?
Der „Stern“ will angesichts aktueller Berichte über Henri Nannens (1913–1996) Rolle zur Zeit des Nationalsozialismus seinen bisherigen Umgang mit dem Gründer des Magazins prüfen. Wie Chefredakteur Gregor Peter Schmitz in einem online veröffentlichten Beitrag schreibt, wird der „Stern“ in den kommenden Wochen im Magazin „offen um die Frage ringen, wie wir die Person Henri Nannen bewerten“. Dazu gehöre ein Urteil darüber, ob Nannen Namensgeber der Henri-Nannen-Journalistenschule und des Henri-Nannen-Journalistenpreises bleibt. Auch stehe infrage, ob er als Gründungsherausgeber weiter im Impressum erwähnt wird.
„Jede neue Erkenntnis, jedes neue Detail müssen dazu führen, bisherige Bewertungen wieder und wieder infrage zu stellen“, erläuterte Schmitz in dem am Dienstag veröffentlichten Beitrag. Er kündigte zudem an, dass das Magazin anlässlich seines 75. Geburtstags „alle Facetten“ von Nannens Tätigkeit in der NS-Zeit und auch eine mögliche Einflussnahme auf die spätere Berichterstattung von Experten untersuchen lasse.
Nationalsozialismus: Nannen der Autor? Antisemitische Flugblätter erneut gezeigt
Hintergrund für die angekündigte Prüfung sind Vorwürfe zur Rolle Nannens in der Propagandamaschinerie der Nationalsozialisten, die auf Recherchen des Youtube-Kanals „Strg_F“ basieren. Das NDR-Format hatte Anfang Mai mehrere antisemitische Flugblätter veröffentlicht, an denen Nannen in leitender Position beteiligt gewesen sein soll. Die Bilder in dem Beitrag seien eklig, „sie sind widerlich, sie bedienen vor allem viele antisemitische Klischees“, erklärte Schmitz.
Auch interessant
Auch interessant
Dass der 1913 geborene Nannen während der NS-Zeit Jubelartikel auf Adolf Hitler verfasst hat und Mitglied einer Propagandaeinheit der SS in Italien war, ist laut „Stern“ bekannt. Die „Strg_F“-Recherchen hätten keine grundsätzlich neuen Erkenntnisse geliefert, erläuterte Schmitz. Die Flugblätter seien seit den 2000er Jahren „verschiedentlich veröffentlicht“ worden – „nur eben leider nicht vom 'Stern' selbst“, schrieb Schmitz.
Henri Nannen im Nationalsozialismus: Immer wieder thematisiert
Unter anderem wies der Journalist Willi Winkler bereits vor knapp 15 Jahren in der "Süddeutschen Zeitung" auf Nannens Rolle als NS-Propagandist hin, "Südstern"-Flugblätter inklusive. Winkler erinnerte auch daran, dass Nannen 1960 im "Stern" geschrieben hatte, Israel laufe "Gefahr, das Erbe der Nazis anzutreten" – weil der Mossad Adolf Eichmann aus Argentinien entführt hatte, um diese zentrale Figur der Shoah in Jerusalem vor Gericht stellen zu können.
"Stern"-Chefredakteur Schmitz schließt mit Blick auf die antisemitischen Flugblätter, an denen Nannen aller Wahrscheinlichkeit nach in leitender Funktion beteiligt war: „Es ist ein Verdienst der NDR-Rechercheure, dass sie nun zu sehen sind und so Geschichte anschaulich machen.“ Und er verspricht, man werde der Sache "auf den Grund gehen".