Hamburg. Sie kam als Volontärin ans Bucerius Kunst Forum, seit Anfang Juni leitet die 36-Jährige das private Ausstellungshaus.
Ihre unprätentiöse Art ist das Erste, was an Kathrin Baumstark auffällt. Sie holt ihren Besuch selbst vom Fahrstuhl ab, schenkt Kaffee und Wasser im Konferenzraum ein, grüßt ganz selbstverständlich das Aufsichtspersonal, und die Kollegen vom Empfang dürfen ihre Späße um die geliebte Zigarettenpause mit ihr machen. Kathrin Baumstark ist eine von ihnen: erst wissenschaftliche Volontärin, seit 2016 Kuratorin am privaten Ausstellungshaus.
Und nun, mit 36 Jahren, Hamburgs jüngste Museumschefin. Unaufgeregt auch ihre Garderobe: Ob bei Pressekonferenzen oder Diskussionsabenden – meistens sieht man die Kunsthistorikerin im schlichten schwarzen Kleid, dezent geschminkt. Wenn sie spricht, klingt unüberhörbar der süddeutsche Akzent durch – fast 700 Kilometer trennen sie hier von ihrer Heimat Filderstadt, doch von Heimweh keine Spur.
Hamburger Abendblatt: Haben Sie gezögert, als das Amt der Direktorin an Sie herangetragen wurde?
Kathrin Baumstark: Ich fand es klasse, dass mir die Zeit-Stiftung das Vertrauen geschenkt hat. Und als mich das Kuratorium im nächsten Schritt einstimmig wählte, war ich sehr stolz und habe mich unglaublich gefreut. Bei der Neueröffnung im Juni wurde die Neuigkeit verkündet, das war schon … wow. Ich hatte es drei Stunden zuvor erfahren.
Sie haben eine rasante Laufbahn hingelegt. War das so geplant?
Baumstark: Ich glaube, niemand studiert Kunstgeschichte mit dem Ziel, eine Karriere zu starten. Wir Studenten wurden ja eher gefragt: „Was willst du denn damit machen? Taxifahren?“ Ich habe in München in einer WG mit zwei Sonderschulpädagogen gelebt, die haben ganz auf ihren Beruf hingearbeitet. Und ich habe mich einfach immer auf meine Vorlesungen gefreut.
In welche Richtung wollen Sie das Haus lenken? Werden Sie die Linie ihres Vorgängers Franz Wilhelm Kaiser fortführen?
Baumstark: Die kleinen besonderen Ausstellungen mit einem konzentrierten Blick, wie sie das Bucerius Kunst Forum seit seiner Gründung zeigt, sollten das Haus auch weiterhin ausmachen. Wir haben uns damit ein Vertrauen erarbeitet, von dem ich heute noch zehre, etwa die Kooperation mit der Londoner Tate, die uns demnächst ihr Konvolut an David-Hockney-Werken zur Verfügung stellen wird. Neben monografischen Ausstellungen möchte ich den interdisziplinären Ansatz weiter vorantreiben, wie etwa bei der Ausstellung „Here We Are Today“: Für den Katalog hatte die Soziologin Jutta Almendinger ihre jüngsten Studien zum Thema Heimat beigetragen. Diese Bereicherung durch andere Fächer habe ich auch während des Studiums der Kunstgeschichte, Literatur- und Religionswissenschaft immer wieder erlebt. Kunst berührt ganz viele Themen, man kann dem Publikum dadurch viel Spannendes geben.
Die Ansprache neuer, auch jüngerer Zielgruppen treibt ja alle Museumsmacher um. Wie werden Ihre Angebote für Familien und Jugendliche angenommen?
Baumstark: Sehr gut. Was ich schön finde, ist das Format Kunst und Kegel, bei dem Eltern mit ihren kleinsten Kindern außerhalb der Öffnungszeiten ins Museum kommen können. Wenn ich morgens zur Arbeit komme und die ganzen Kinderwagen sehe, freue ich mich immer total. Kürzlich hatten wir Schüler der Stadtteilschule Wilhelmsburg im Haus, die sich mit künstlerischen Positionen auseinandergesetzt haben. Am Ende fragte die Lehrerin, wer denn wieder ins Museum gehen würde. Und viele antworteten: Nächsten Montag hätten wir Zeit. Was will man mehr?
Wie sind Sie zur Kunst gekommen? Gab es ein prägendes Erlebnis?
Baumstark: Mein Vater hat mich schon als junges Mädchen in die Staatsgalerie Stuttgart mitgenommen. Mein Studienfach stand für mich ziemlich früh fest. Die Leidenschaft für Ausstellungen verbindet mich und meinen Vater bis heute. Den Fotografen Pieter Hugo, der in „Here We Are Today“ gezeigt wird, haben wir gemeinsam entdeckt. Und auch zur Biennale in Venedig werden wir gemeinsam fahren. Mehr zu reisen, um mich inspirieren zu lassen, den Blick zu weiten, habe ich mir übrigens stark vorgenommen. Das ist in letzter Zeit etwas zu kurz gekommen.
Kuratieren Sie noch händisch, oder wird inzwischen alles digital erarbeitet?
Baumstark: Ich bin da altmodisch, ich brauche das Haptische. Zusammen mit meinem Ausstellungsarchitekten Gunther Kolk sitze ich jedes Mal über dem 3-D-Modell und überlege, wie wir die Bilder hängen, wo wir Wände ziehen. Was geht, was nicht.
Sie stehen kurz vor der groß angekündigten „Amerika“-Ausstellung mit Werken von Warhol, Pollock und anderen. Wie ist das Arbeiten in den neuen Räumen?
Baumstark: Ich hatte das große Glück, die neuen Räume mit Leben zu füllen. Da gibt es so viel Neues zu entdecken, größere Räume, besseres Licht. Man kann hier die Geschichten stringenter erzählen. Viele Besucher sagen, dass sie im neuen Bucerius besser atmen, die Kunst bewusster wahrnehmen können. Aber es ist nicht so groß, dass man sich darin verliert. Was das Publikum sehr mag: Jedes Mal einen Wow-Effekt zu erleben.
Wie zufrieden sind Sie mit den Besucherzahlen seit der Neueröffnung?
Baumstark: In den ersten beiden Wochen nach der Neueröffnung hatten wir einen unglaublichen Ansturm, das war großartig. Momentan ist um uns herum noch vieles im Aufbau. Es war uns klar, dass die Übergangsphase ein Wagnis sein würde. Aber so langsam lichtet sich alles. Wenn dann die Eliasson-Skulpturen kommen und die Gastronomie einzieht, wird sich der Ort beleben. Zur Hockney-Ausstellung sollte alles fertig sein.
Welche Ausstellungsprojekte stehen jetzt schon für die kommende Saison fest?
Baumstark: Wir sind bis ins Jahr 2023 durchgeplant. Als Haus ohne eigene Sammlung ist das auch sehr wichtig, denn falls ein Projekt platzen sollte, können wir nicht einfach eine Sammlungspräsentation machen. Wir sind im ständigen Austausch mit anderen europäischen Häusern, arbeiten mit neuen Thesen, Themen und wissenschaftlichen Ansätzen. Das kommende Jahr eröffnen wir mit David Hockney und zeigen sein Werk vom ersten überlieferten Bild bis heute. Im Sommer folgt eine Samurai-Schau in Kooperation mit der Kunsthalle München.
Es fehlen thematisch die Frauen in den Ausstellungen ...
Baumstark: In der Tat. Mir geht es aber nicht um Frauen der Frauen willen. Trotzdem finde ich, dass sie in der Kunst unterrepräsentiert sind. Für mich war die Schau über Paula Modersohn-Becker, die der frühere Kunsthallen-Direktor Uwe M. Schneede für unser Haus kuratiert hatte, ein Augenöffner. Als Süddeutsche konnte ich mit dieser typisch norddeutschen Malerin nicht so viel anfangen. Und am Ende war ich ihr größter Fan. Deshalb will ich unbedingt die Expressionistin Gabriele Münter zeigen. Ob die Ausstellung jemals kommt, weiß ich nicht, aber es ist mein Herzensprojekt.
Mischt sich die Zeit-Stiftung, die Ihr Haus trägt, eigentlich in Ihre Arbeit ein?
Baumstark: Die Stiftung ist unsere Mutter, mit dem Vorsitzenden Michael Göring haben wir einen ganz tollen Partner. Wir sind im engen Austausch, diskutieren im Kuratorium, aber künstlerisch bin ich frei.
Welche Rolle spielt das Bucerius unter den großen Museen in der Stadt?
Baumstark: Wir überschreiten konventionelle Grenzen zwischen Künsten und Zeiten. Als Ausstellungshaus erfinden wir uns mit jeder Ausstellung neu – und das mit einer zeitlichen Bandbreite von der Antike bis in die Gegenwart. Als Forum für alle Künste wollen wir mit den Ausstellungen und dem interdisziplinären Veranstaltungsprogramm Denkanstöße und Orientierungshilfen für die Diskussion großer gesellschaftlicher Themen geben.