Hamburg. Riccardo Minasi bereitet in der Staatsoper die Oper „Agrippina“ vor. Sie ist der Auftakt zur Rückkehr des Hamburger Publikums.
Das elende, nicht selbstverschuldete Pech, eine Opern-Produktion neu anzugehen und dann das Aus durch Pandemie mitzuerleben, hatte Riccardo Minasi in den letzten Monaten schon zweimal: Bei einer „Nozze di Figaro“ in Amsterdam war direkt nach der Premiere wieder Schluss mit live, auch eine Produktion in Zürich fiel ins Wasser. Großer Frust, klar.
Jetzt aber, mit Händels „Agrippina“ an der Hamburger Staatsoper, soll es in der nächsten Woche tatsächlich klappen. „Große Freude!“, klar. „Wir haben gearbeitet, ohne an die Zukunft zu denken. Für die Sänger war dieses Proben sehr hart gewesen“, berichtet er, „warum sich so viel Mühe mit Details machen, wenn es womöglich doch niemand im Saal sehen würde?“ Die gute Nachricht mit leibhaftigem Publikum vor der Bühne statt der x-te Stream kam am letzten Dienstag. Neue Normalität.
Minasi seit 2018 dem Kammerorchester zugetan
Nächsten Monat geht es für eine „Così fan tutte“ nach Glyndebourne, bald danach steht Bellinis „Norma“ in Minasis Kalender. An der Dammtorstraße ist Minasi schon öfter als Mann fürs Geschichtliche engagiert gewesen, nach einem Glucks „Iphigénie en Tauride“ vor einigen Jahren folgte eine Wiederaufnahme-Serie von Händels „Alcina“ aus dessen Londoner Zeit, in der seine Karriere Achterbahn fuhr. Und nun also die frühe, 1709 für Venedig komponierte „Agrippina“. Aber nicht wie damals mit dem Haus-Orchester, sondern mit dem Ensemble Resonanz, Nachbarschaftshilfe nach Noten sozusagen.
Den Kammerorchester ist Minasi seit 2018 als Dauer-„Artist in Residence“ herzlich zugetan, mehrere bestens geratene Einspielungen, erfolgreiche Konzertprojekte. Stimmende Chemie. „Georges Delnon vertraut uns sehr“, berichtet Minasi über dieses Gast-Spiel. Gespielt wird auf „total modernen Instrumenten“, und „je mehr ich im Bereich der historisch informierten Aufführung tätig bin, desto weniger bin ich mir darüber sicher, was wir tun.“
Minasi: Tüftler in der Feinmechanik
Einer dieser für den Italiener offenbar typischen Sätze. Minasi, Sohn einer Sängerin, gilt als penibler Tüftler in der Feinmechanik einer Partitur; fein abzuwiegende Tempo-Relationen, über die andere frohgemut hinwegpinseln würden, sind ihm ungemein wichtig, Phrasierung und Klangschattierungen sowieso. Ausruhen auf irgendwann mal gemachten Erfahrungen, das gibt es für ihn nicht. „Man kann Neues erzählen, wenn man Neues findet.“
Der Rest der „Agrippina“-Konstellation ist eher Zufall: Dass Franco Fagioli und Julia Lezhneva bereits in der „Alcina“ zum Cast gehörten und nun wieder tragende Rollen übernahmen, freut ihn. Dass es das Ensemble Resonanz ist, lag auch an der ursprünglichen Terminplanung für diese Produktion. Die Philharmoniker hätten eigentlich wohl gerade auf Tournee sein sollen und die Resonanzler deren Vertretung im Orchestergraben. Der ist nun gefüllt, so sehr es momentan erlaubt ist, auch um den Platz für eine weitere Geige zu sparen, spielt Minasi einiges mit.
Hamburger Premiere nicht komplett neu
Das kann er, dort ist er gereift und hat viel gelernt. Er war jahrelang in Spezial-Ensembles für Alte Musik dabei, bis dann der Wechsel ins Epizentrum an den Taktstock kam. Eines seiner vielen kreativen Spielbeine ist der Chefposten beim Mozarteumorchester Salzburg, das andere ist bei der Barock-Spezialeinheit „La Scintilla“ am Opernhaus Zürich. Zum Übe-Pensum wie früher kommt Minasi seitdem nur noch bedingt. Dass er sich auf dem Züricher Bahnhof durch unglückliches Stolpern im letzten Jahr einen Finger brach, rechte Hand, nicht ganz so tragisch, mag ein brachialer Wink des Schicksals gewesen sein, wo seine Prioritäten jetzt liegen sollen.
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Auch wenn diese „Agrippina“, eine schurkenpralle Hauen-und-Stechen-Geschichte aus dem fiesen alten Rom, eine Hamburger Premiere ist – komplett neu ist die Inszenierung von Barrie Kosky nicht. Nach der ersten Runde 2019 in München wurde sie auch in Amsterdam und London gezeigt, nun also, als letzte Koproduktions-Station, in Hamburg. Deswegen ist Kosky bei den Proben nicht mehr hier vor Ort gewesen, diesen Part übernahm Koskys Assistent Johannes Stepanek.
Händels Musik „extrem anspruchsvoll"
Minasi sieht das entspannt, die Grundzüge der Inszenierung, „mit Millionen von Details“ liegen ja fest. Es gab nur einige wenige Stellen, bei denen seine musikalischen Vorstellungen etwas anders gewesen seien als die seiner Vorgänger. Kurze Rücksprache mit Kosky, danach war wieder alles in der Bahn. Und überhaupt, Händel. Das Opern-Genie, der Publikums-Bediener, der immer wieder Arien schrieb, die seit Jahrhunderten spielend Herzen brechen.
Auf die Frage, was an Händels Musik einfach sei, kommt kurzes, überraschtes Einatmen. „Gar nichts, glaube ich. Die Musik ist extrem anspruchsvoll. Man ist so ungeschützt. Klar könnte man das in einem Zug von vorne bis hinten durchspielen. Aber wir machen uns das Leben gern etwas schwieriger.“ Die Kunst des Rubato, das raffinierte Antäuschen kleiner, feiner Verlängerungen oder Verkürzungen von Noten, um sie sprechender zu machen, die sei im letzten Jahrhundert verloren gegangen. Steile These, aber mit strenger Überzeugung vorgetragen. Und mit Händel-Opern kennt Minasi sich nun wirklich aus, die spielt und dirigiert er schon seit 27 Jahren, dabei ist er gerade mal 42. Musik dieses Komponisten, der ja in Hamburg, an der Gänsemarktoper, einen Geigenkastenwurf vom jetzigen Gebäude entfernt, seine ersten Bühnenwerke schrieb, das sei schon eine besondere Freude.
Künstler in Hamburg freuen sich auf Publikum
Wie sich das wohl anfühlen wird, wieder echten Applaus von echten Händen zu erleben? „In dieser ganzen Zeit habe ich den menschlichen Kontakt am meisten vermisst“, sagt Minasi, „den körperlichen Kontakt, den hörbaren Kontakt, die Umarmungen. Man braucht all das. Und Applaus ist für Künstlerinnen und Künstler auf einer Bühne die größtmögliche Umarmung durch das Publikum.“
„Agrippina“: Hamburg-Premiere am 28. Mai, weitere Termine: 3. / 6. / 10. Juni, Karten: www.staatsoper-hamburg.de; die Premiere wird live auf NDR Kultur im Radio übertragen