Hamburg. Neues Schuljahr in Hamburg: Autor Matthias Heine weist in seinem Buch „500 Jahre deutsche Jugendsprache“ überraschende Konstanten nach.
Die Sprache, sie ist mindestens so sehr im Wandel und Veränderungen unterworfen wie das Klima. Und das nicht erst seit gestern. Jetzt, da die Schulferien in Hamburg und Schleswig-Holstein zu Ende gehen oder bereits sind, wird es in Klassenräumen und auf Pausenhöfen gewiss wieder einige neue Wortschöpfungen geben, bei den Eltern und Lehrkräfte nur „Bahnhof“ verstehen.
Der Nachwuchs findet es nach sechs Wochen Chillen und Grillen vielleicht doch ganz „fresh“, dass die Schule wieder losgeht. Vor Jahrzehnten waren die Eltern für viele schlicht „peinlich“ (heute „cringe“) und die Wiederbegegnungen in der Schule war allenfalls „dufte“, später dann „cool“.
Jugendsprache ist kein Phänomen der Gegenwart
Alles ganz schön „krass“. Doch ganz so jung wie es klingt, ist jenes Adjektiv gar nicht. Matthias Heine weist in seinem Buch „Krass. 500 Jahre deutsche Jugendsprache“ auf akribisch-unterhaltsame Weise nach, dass der Jargon Heranwachsender nicht unbedingt ein Phänomen der Gegenwart ist.
Der Ausdruck „krass“ etwa kursierte bereits im 18. Jahrhundert unter Studenten an der sogenannten Krawall-Universität in Halle im heutigen Sachsen-Anhalt. Abgeleitet vom lateinischen „crassus“ (dick, derb, plump) bezog er sich auf noch unerfahrene und naive Erstsemester. In den 1990er-Jahren kehrte es hierzulande in die Umgangssprache zurück.
Jugendsprache lange männlich dominiert
Matthias Heine, seit einem Jahrzehnt Kultur-Redakteur bei der Tageszeitung „Die Welt“, studierter Germanist und Historiker, beginnt seine Zeit- und Sprachreise im 16. Jahrhundert. Der Hauptgrund: Seit jener Zeit gibt es schriftliche Quellen. Weil die Studenten bis ins 20. Jahrhundert hinein ausnahmslos Männer waren, blieb die Entwicklung der Jugendsprache lange Zeit männlich dominiert – angefangen von Luthers Tischgesprächen, weitergeführt von Goethes Studentenwörtersammlung.
Der Reformator Luther soll studentensprachliche Ausdrücke seiner eigenen Universitätszeit gebraucht haben. Und die Studenten prägten Begriffe, die seit Langem im Duden stehen: „Skandal“, „mogeln“, „Schmöker“, „abgebrannt“ oder „verdonnern“.
Erich Kästner prägte Ausdrücke „dufte“ oder „knorke“
Schon Jahrzehnte bevor Ende der 1960er manch Studierende in Berlin,, Hamburg und Frankfurt mit der Polizei aneinandergerieten, hatten ihre Vorgänger an den Universitäten auf die „Bullen“ geschimpft. Nur dass die Universität im Sprachgebrauch der 68er zur „Uni, ein Studierender zum „Studi“ und der Chauvinist zum „Chauvi“ wurde. Auch das abfällige Wort „Tussi“ für eine oberflächliche, extrem gestylte Frau kam in Mode. Die Wurzeln dafür reichen bis zu Heinrich von Kleists Drama „Die Hermannsschlacht“ zurück, in dem Kleist 1808 den Sieg der Germanen über die Römer im Teutoburger Wald beschreibt. Thusnelda hieß Hermanns Gattin – bevor sie zur „Tussi“ degradiert wurde. Womöglich die späte Rache mehrerer Schülergenerationen für eine ungeliebte Pflichtlektüre?
An Erich Kästners Roman „Emil und die Detektive“ von 1929 hatten Schülerinnen und Schüler gewiss mehr Freude. Der Schriftsteller prägte zeitgenössischen Ausdrücke wie „dufte“ oder „knorke“, belegt Sachbuchautor Heine. Und als Leser fragt man sich, warum Kästners feiner Superlativ „kolossal“ noch nicht wiederentdeckt worden ist. Stattdessen gehörten in den späten 70ern bei progressiven Deutschlehrern die Liedtexte Udo Lindenbergs zum Teil des gymnasialen Deutschunterrichts.
Lindenbergs Ausdrücke im allgemeinen Sprachgebrauch
Einige persönliche Wortschöpfungen des Hamburger Ehrenbürgers in spe wurden nicht nur Teil der Jugendsprache, sie sind in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen. Sein „Fuzzi“ ist längst ein leicht despektierlicher Begriff für Beschäftigte in der Schlager- und Werbebranche oder eine abwertende Charakterisierung eines notorisch Umweltbewussten („Ökofuzzi“). Und wenn der (Jonny) „Controlleti“ kommt und bei der Kontrolle doch mal der Fahrschein oder was anderes fehlt, gilt am besten: „Keine Panik!“
Lesen Sie auch:
- Ein Werk mit Wucht: Heinz Strunk und das kleine bisschen Sex
- "Meines Vaters Heimat": Auf den Spuren eines Schweigenden
- Neuerscheinung: So trinkt der Norden
Mit den sogenannten sozialen Medien sei die Jugendsprache insgesamt weiblicher geworden, meint Matthias Heine. Beispiel Instagram oder TikTok: „Das sind Medien, die von Mädchen mehr oder weniger dominiert werden. Männer spielen da eher ein Nebenrolle“, so der Journalist, Jahrgang 1961 und Vater dreier Töchter.
Das Wort „geil“ ist immer noch nicht ganz aus der Mode
Die Jugendsprache, als Gruppensprache ist sie primär ein Erkennungszeichen Gleichaltriger, jedoch immer auch eine Abgrenzung gegenüber Erwachsenen, Lehrern und Eltern. Sie soll Spaß machen, kreativ sein. Und wer etwas auf sich halte unter den jungen Menschen, habe den seit 2008 alljährlich zum „Jugendwort des Jahres“ gekürten Begriff schon mindestens zwei Jahre zuvor wieder auf seinem persönlichen Wortschatz gestrichen, schreibt Heine.
2020 lag bei der Online-Abstimmung übrigens das englische Wort „lost“ vorn, zu Deutsch „ahnungslos, unsicher oder unentschlossen“. Auf Platz zwei folgte der Begriff „cringe“. Weder mit dem einen noch mit dem anderen sollten Jugendliche geschweige denn Erwachsene also groß „flexen“ (sprich angeben). „Ich fühl das“ (Im Sinne von: Ich find’s gut oder cool) kommt da nach aktuellen Recherchen zu Beginn des neuen Schuljahres doch etwas besser. Ob Erwachsene wie früher als Heranwachsende noch „Ich find’s geil“ sagen, möge jeder selbst entscheiden. „Geil“ ist bei Jugendlichen zumindest nicht ganz aus der Mode – und für Jung und Alt verständlich.