Roman ist ein Spiel mit dem Genre. In „Später“ steht ein Junge im Mittelpunkt, der sich mit gerade Gestorbenen verständigen kann.

Als Jamie seine Geschichte zu erzählen beginnt, ist er 22 Jahre alt. Er blickt zurück in die Zeit seiner frühen Jugend: Da ist er ein ganz normaler, aufgeweckter Junge, der in Manhattan lebt, keinen Brokkoli mag und zu Thanksgiving einen dunkelgrünen Truthahn malt. Seinen Vater kennt er nicht, seine Mutter liebt er sehr.

Alles ganz normal also, wenn Jamie nicht eine besondere Fähigkeit sein Eigen nennen würde: Er kann Menschen sehen, die gerade gestorben sind. Und er kann mit ihnen sprechen. Fragt Jamie sie etwas, müssen sie antworten. Wahrheitsgemäß.

Stephen Kings Roman: Horror auf leisen Sohlen

„Das Ganze hier ist wohl eine Horrorstory“, schreibt Stephen King am Ende des ersten Kapitels seines gerade auf Deutsch erschienenen Romans mit dem schlichten Titel „Später“. Es ist ein Horror, der auf leisen Sohlen kommt, ganz ruhig ist er zu Beginn, erst sehr langsam greift er Raum. Und dieser King’sche Satz ist auch ein selbstironischer, mehrfach wird er im Fortgang der Handlung wiederholt. Es ist ein Spiel mit dem Genre und zugleich mit der eigenen Geschichte dieses Bestsellerautors mit seinen mehr als 400 Millionen verkauften Büchern. Der Horror hat King zu Weltruhm geführt.

Stephen King: „Später“, Deutsch von Bernhard Kleinschmidt, Heyne, 304 S., 22 Euro
Stephen King: „Später“, Deutsch von Bernhard Kleinschmidt, Heyne, 304 S., 22 Euro © Heyne | Unbekannt

Seine Fähigkeit, mit Toten sprechen zu können, soll für Jamie nicht das einzige Problem bleiben. Seine Mutter, eine Literaturagentin, verliert ihren besten Autor, eine Art Geldmaschine, die ihnen ihre Miete in einer Sechszimmerwohnung an der Park Avenue bezahlte und somit ein sorgenfreies Leben garantierte. Das ist nach dem Tod des Autors Geschichte, sein letzter großer Roman bleibt unvollendet. Doch da ist ja noch Jamie – er bringt den Toten zum Sprechen …

Jamie muss gestorbenen Bombenleger befragen

Der eigentliche Horror jedoch beginnt, als die ehemalige Freundin seiner Mutter, eine Polizistin, Jamie nötigt, einen jüngst gestorbenen Bombenleger daraufhin zu befragen, wo er seinen letzten, noch vor dem Tod angekündigten Anschlag geplant hatte. Ein explosives Testament, sozusagen. Zwar erfährt Jamie, was er wissen will – Tote müssen halt die Wahrheit sagen – und viele Menschenleben werden gerettet. Doch dieser Tote bleibt und verschwindet nicht nach wenigen Tagen ins Irgendwo, wie es Verstorbene – so Jamies Erfahrung – nach üblicherweise machen. Das Böse heftet sich an Jamies Fersen.

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Was verwegen klingen mag, ist wie immer bei Stephen King glaubhaft erzählt, worin auch die ganz spezielle Faszination seiner Romane liegt. In „Später“ ist es allerdings eher eine Art Horror light, den der Autor aufblättert, ein Schrecken mit Augenzwinkern, Blutbäder und andere Grausamkeiten sind da weit weg.

Stephen King entfaltet erzählerischen Sog

Und weil Stephen King ein brillanter Stilist ist, gelingt es ihm auch in diesem Roman, seine Leserinnen und Leser von Beginn an gefangen zu nehmen und einen starken erzählerischen Sog zu entfalten – selbst bei der Beschreibung scheinbar banaler Alltagssituationen. Gegen Ende verliert dieser Sog sich ein wenig ins Ungefähre, das Meisterhafte des Romans ruht vor allem in seinem Anfang. Aber dem wohnt fürwahr ein Zauber inne.