Hamburg. Bei der Neugründung Ecco ist nicht nur die Belegschaft rein weiblich, es werden auch ausschließlich Bücher von Frauen verlegt.

Es gibt einen neuen Verlag in Hamburg. Einen, der auf Männer in der Belegschaft komplett verzichtet. Der Ecco Verlag will dabei einerseits in der Tradition der amerikanischen Ecco Press stehen und gehört wie diese zum Großverlag HarperCollins. Andererseits machen Heide Kloth (Programm), Laura Hage (Presse und Veranstaltungen), Magdalena Mau (Herstellung), Tabea Worthmann (Vertrieb) und Kathrin Betka­ (Marketing) viele Dinge anders. Der prominenteste Titel des ersten Programms, das vom 23. März an in den Läden steht, ist Joyce Carol Oates’ Marilyn-Monroe-Buch „Blond“, das bei Ecco wiederveröffentlicht wird.

Hamburger Abendblatt: Wir leben in einem Zeitalter, in dem Frauen sich deutlich zu Wort melden, einerseits, siehe #Metoo, in anklagender Hinsicht, aber auch was Sichtbarkeit von Weiblichkeit angeht. Hat da speziell die Buchbranche Nachholbedarf?

Laura Hage: Jede Leserin, aber auch jeder Leser kennt die Erfahrung beim Blick ins Regal: Da stehen überwiegend Autoren. Auch die Liste der Literaturnobelpreisgewinner zeigt, wie wenig Autorinnen dort vertreten sind. Insofern: Ja, es gibt Nachholbedarf. Ecco fokussiert sich auf weibliche Literatur. Wir haben das Rad aber nicht neu erfunden, ein Mehr an Weiblichkeit in der gesellschaftlichen Wahrnehmung fordern derzeit viele. Wir wollen dieses Mehr in aller Konsequenz durchsetzen, es ist an der Zeit. Dazu gehört auch, dass wir ein rein weibliches Team sind.

Geht es auch darum, die andere Seite, die des Lesers, vielmehr der Leserin zu spiegeln? Gerade Romane werden immer noch eher von Männern – als Verleger – gemacht. Aber überwiegend von Frauen gelesen.

Heide Kloth: Es ist in der Tat so, dass jede Leserin hauptsächlich mit männlichen Autoren aufwächst. Die weibliche Perspektive muss mehr Raum bekommen. Die Kunstfigur Marilyn Monroe wurde lange mit einem männlichen Blick wahrgenommen, bis Joyce Carol Oates über sie schrieb. Genau deswegen passt „Blond“ so gut in unser erstes Programm, ein Buch, das sich – wie natürlich alle anderen Ecco-Titel – auch an männliche Leser wenden soll.

Welche Bücher wollen Sie über die Geschlechterfrage hinaus grundsätzlich machen?

Heide Kloth: Unserem Verlagsmotto „Was wir lesen wollen“ gemäß die, die wir selbst gerne lesen möchten. Geschichten, die noch nicht auf die Weise erzählt wurden wie in unseren Büchern. Unsere Autorinnen schreiben über große Themen wie Heimat, Verlust oder Familie. Unser Programm darf aber auch gerne irritieren. Jedes Halbjahr werden fünf Titel erscheinen: von etablierten Autorinnen und Debütantinnen, deutschsprachig und international.

Ist es, was die Qualität der Autorinnen angeht, eine gute Zeit für ein Projekt wie Ecco?

Heide Kloth: Ich glaube nicht, dass es in der Vergangenheit weniger gute Autorinnen gab. Autorinnen werden aber erst langsam sichtbar. Das lässt sich etwa feststellen, wenn man die Anzahl von Rezensionen untersucht, die sich ihren Büchern widmen. Auf mancherlei Herausforderung stoßen wir mit unserem Konzept trotzdem. Weil wir auch die Buchgestaltung weiblich halten wollen, haben wir für „Blond“ ein für das Cover passendes Marilyn-Monroe-Foto von einer Fotografin gesucht. Wir fanden aber ausschließlich Fotos von Fotografen. Wir haben uns dann dafür entschieden, eine Illustration von Ini Neumann anfertigen zu lassen.

Gibt es etwas, das Ihrer Meinung nach weibliches Schreiben in Kontrast zum männlichen ausmacht?

Heide Kloth: Das kann man so generell nicht sagen. Was aber doch häufig noch fehlt in literarischen Programmen, sind mehr weibliche Perspektiven auf die Welt. So wie Joyce Carol Oates, die sich für Norma Jean Baker interessiert, die Person hinter Marilyn Monroe.

Finden sie, dass Autorinnen insgesamt bei Preisverleihungen, Stipendien und allgemein in der Öffentlichkeit unterrepräsentiert waren?

Laura Hage: Ja …

Heide Kloth: … ganz eindeutig. Da muss man sich nur die Liste der Literaturnobelpreisträger anschauen. Man müsste viele, viele Jahre ausschließlich Autorinnen auszeichnen, um einen Gleichstand herzustellen.

Mit dem Großunternehmen HarperCollins im Rücken ist sicher ein verhältnismäßig entspanntes Buchmachen möglich. Gehört dennoch Mut dazu, heute einen Verlag zu gründen?

Laura Hage: Ja, es gehört natürlich immer auch ein wenig Mut dazu, etwas Neues zu starten. Aber ehrlich gesagt, sind wir so von unserem Konzept überzeugt, dass es am Ende gar nicht so viel Mut brauchte. Und wir bekommen durch HarperCollins wirklich tolle Unterstützung und Rückenwind. Was es aber neben Mut vor allem braucht, ist Leidenschaft. Und die Liebe zur Literatur.

Heide Kloth: Man muss vor allem betrachten, dass diese Verlagsgründung auch während der Corona-Pandemie stattfindet. Wir haben wie viele andere in diesen Zeiten auch überwiegend im Homeoffice gearbeitet. Das klappt zwar, dennoch haben wir uns das ganz anders vorgestellt. Buchhändlerinnen und Buchhändler wollten wir persönlich treffen, jetzt ging es nur digital.

Einen Verlag gründet man vielleicht ein-, maximal zweimal im Verlauf seiner Karriere. Das alles nun in pandemischen Zeiten. Das ist schon speziell.

Laura Hage: Und wie! Im Sommer, zwischen den Lockdowns, konnten wir zum Glück alle fünf mal in einem Raum konferieren (und auch das eine oder andere Mal anstoßen). Besonders tut es mir für unsere deutschsprachigen Autorinnen leid, die zu Recht auf Buchpremierenpartys und Lesungen gehofft haben. Aber wir freuen uns jetzt schon darauf, das alles nachzuholen.

Wie gut sind denn die Zeiten fürs Buch? Öffentlich-Rechtliche streichen immer mehr Buchrezensionen und Kultursendungen. Die Literatur verliert deutlich an Lobby und Sendezeit.

Laura Hage: Das sehen auch wir mit Sorge. Das Wegbrechen von Sendungen, in denen die Leserinnen und Leser informiert werden, ist ein Problem. Gleichzeitig sind wir wie die gesamte Branche derzeit optimistisch, denn in der Pandemie haben die Menschen viel gelesen.

Sie halten den Teamgedanken für wichtig. Bei Interviews etwa wollen Sie immer mindestens zu zweit auftreten. Ist das auch eine Ansage im Hinblick auf weibliche Strategien?

Heide Kloth: Auf jeden Fall. Wir treffen wirklich alle Entscheidungen gemeinsam. Und wir stellen fest, dass diese Art des neuen Arbeitens ausgesprochen gut für uns funktioniert.

Heißt das, Sie als Programmmacherin bestimmen nicht, welche Bücher am Ende tatsächlich gemacht werden?

Heide Kloth: Wenn ich einen interessanten Titel gefunden habe, schlage ich diesen den anderen vier vor (lacht). Das passiert meist ausgerechnet spätabends oder am Wochenende. Die Kolleginnen lesen die Manuskripte dann auch immer schnell, dann reden wir darüber und sind uns bisher immer schnell einig.

Laura Hage: Das ist das Wichtigste. Niemand von uns war bislang so sehr in jeden Prozess des Buchmachens involviert. Wir überlegen uns auch jede Buchgestaltung gemeinsam. Bei dieser Art des Arbeitens muss jeder sein Ego zurückstellen. Ein „Ich will das unbedingt“-Vorhaben funktioniert in dieser Konstellation nicht. Es geht bei diesen Entscheidungsfindungen auch um Empathie und Einfühlungsvermögen. Wir finden diese Arbeitsweise bereichernd.

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Glauben Sie, dass in Ihrer täglichen Arbeit als Frauenpowerquintett auch irgendwann mal der Punkt kommt, in dem die männliche Perspektive fehlt? Ist die Entscheidung, auf männliche Kollegen zu verzichten, in Stein gemeißelt?

Heide Kloth: Ja, es gibt sehr viele literarische Verlage, die mehrheitlich männliche Autoren verlegen, und dem wollen wir etwas entgegensetzen. Unserem Konzept gehört die Zukunft.

Laura Hage: Raum für den männlichen Blick gab es schon so lange, ab jetzt geht es um den weiblichen.