Hamburg. Der Produktionschef von Studio Hamburg spricht über seine Vergangenheit in Ostdeutschland, Udo Lindenberg und neue Kinofilme.

Barrikaden gab’s für uns doch nicht“, singt Udo Lindenberg in seiner Ballade „Horizont“. Könnte fast auch das Motto von Michael Lehmann sein. Der Produktionschef von Studio Hamburg hat in seinem Leben mehrfach bewiesen, dass er sich von Hindernissen nicht so leicht aufhalten lässt.

Mit Udo verbindet ihn nicht erst seit dem Kinofilm „Lindenberg! Mach dein Ding“, den er produzierte, etwas Besonderes. Als Teenager hatte Michael Lehmann den Text von „Mädchen aus Ostberlin“ abgeschrieben und über sein Bett gehängt. Da schloss sich ein Kreis.

Freiheit zu leben, ist für Michael Lehmann extrem wichtig

Vor wenigen Tagen erst hat der NDR einen Dokumentarfilm über Udo Lindenberg gesendet. Darin äußern sich auch vier ehemalige DDR-Bürger darüber, was Lindenberg ihnen bedeutet hat, darunter Michael Lehmann. Er spricht über die „positive Verrücktheit“ des Musikers und über Freiheit, ein ganz wichtiges Thema für ihn.

„Ich fordere viel, lebe Freiheit auch in meinem Verhältnis zu meinen Mitarbeitern. Mir ist es vom Tiefsten her wichtig, meine Freiheit zu leben und meinen Weg zu gehen, auch wenn ich weiß, was Teamarbeit leisten kann. Es ist nur wichtig, dass man ganz oben anklopft und für die eigenen Ideen noch einmal eine Extrarunde zu laufen bereit ist. Der Marathon ist nicht schon nach 42 Kilometern zu Ende. Da kommen noch 195 Meter.“

Unterstützung bekommt er da von Andreas Postel, dem ZDF-Studioleiter in Rom: „Als Rostocker Hanseat teile ich die Freiheitsliebe von Michael Lehmann absolut und kann sehr gut nachvollziehen, wie wichtig ihm die Freiheit ist. Auch ich bin im Nordosten in Rostock aufgewachsen und habe mich damals in die freie Welt geträumt, als die Ostsee auf DDR-Seite noch streng bewacht war und wir nicht einmal mit dem Segelboot aufs Meer hinausdurften. Udo Lindenberg hat dieser Sehnsucht nach Freiheit bei uns beiden zusätzlich musikalisch Flügel verliehen.“

Sieben Millionen Zuschauer beim „Großstadtrevier“ machen Lehman gute Laune

Als wir miteinander sprechen, hat Lehmann gerade gute Laune. Am Vortag lief in der ARD das „Großstadtrevier“ in Spielfilmlänge. Der Dauerbrenner aus dem Vorabendprogramm, seit 1986 auf Sendung, lockte sieben Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer vor die Bildschirme.

„Das hat mich sehr gefreut, denn es war für unser Team nicht einfach, den Film zu produzieren. Die alten fest gefügten Grenzen und Schubladen in der TV-Unterhaltung gibt es so nicht mehr“, analysiert Lehmann. „Es geht um Qualität. Man braucht aber vorbestehende Marken, um eine Lagerfeueratmosphäre zu erzeugen. Oder man braucht ein Marketing, das den Zeitgeist trifft wie bei ,Bad Banks‘ oder ,Unorthodox‘.“ An beiden Produktionen war er beteiligt.

Lehmann ist in Rostock aufgewachsen. Seine Jugend war geprägt von vielen Umzügen und eher wild. „Natürlich haben wir das Westfernsehen genutzt. Ich kann mich noch genau erinnern, wie ich zum ersten Mal Wimbledon geguckt habe“, sagt er.

Michael Lehmann ist Geschichtenerzähler

Der 54-Jährige versteht sich als Geschichtenerzähler. In dieser Eigenschaft ist er sehr temperamentvoll. „Als Kind hatte ich leuchtende Augen bei der Olsenbande und beim DDR-Winnetou Gojko Mitic. Ich bin ständig ins Kino nach Graal-Müritz gerannt, um ihn und den DDR-Sam-Hawkens dort zum x-ten Mal zu bewundern. ,ABBA – The Movie‘ fand ich fantastisch. Meine erste Schallplatte, die ich mir im Intershop gekauft habe, war übrigens auch von ABBA. Die habe ich dann eingetauscht gegen den Soundtrack von ,The Harder They Come‘ und ein Album von Linton Kwesi Johnson.“

Musik sollte ein ständiger Wegbegleiter für ihn bleiben, denn er ist mit der Musikmanagerin Gudrun Lehmann verheiratet, mit der er zwei Kinder hat. Sizilien ist das Lieblingsurlaubsziel der Familie. Lehmann, der sich lange nicht darüber im Klaren war, was er beruflich einmal machen wollte, findet dort auch genug Gelegenheit, um seiner Kochleidenschaft nachzugehen. Sein Leibgericht ist Risotto mit Salsiccia. Außerdem macht er viel Sport und buddelt gern in seinem Garten.

Das Abitur durfte Lehmann in der DDR nicht machen

Nach der Schule hat Lehmann zunächst Elektriker auf einer Werft gelernt, weil er kein Abitur machen durfte. Danach musste er zur Armee. „Ich habe meine NVA-Zeit gehasst“, sagt er. „In meinem alten DDR-Führerschein, den ich noch jahrelang mit mir herumgeschleppt habe, wollte ich partout kein Bild in Uniform von mir haben. Als ich den Lkw-Führerschein machte, habe ich mich extra im Schlafanzug fotografieren lassen – das einzige private Kleidungsstück, was mir zur Verfügung stand.“

Den Mauerfall hat Lehmann ganz banal verschlafen. „Ich war in Wismar, bin aber am nächsten Tag sofort nach Rostock gefahren, habe meine Mutter in den Arm genommen und sie herumgewirbelt. Das war ein ganz besonders emotionaler Moment für mich. Dann bin ich nach Berlin gefahren und bin da über die Grenze – zum Potsdamer Platz.“

Es sollte niemand merken, dass Lehmann aus dem Osten kam

Er kam dann mit besonderem „Gepäck“ in den Westen. „Mein Ehrgeiz war, dass niemand merkt, dass ich aus dem Osten gekommen bin. Ich habe lange daran gearbeitet, um mich in diesem politischen System wiederzufinden und meine Naivität abzulegen. Wenn ich jetzt beim Filmfest in Schwerin auftauche, sind da nicht wenige, die stolz darauf sind, wie weit ich es gebracht habe.“

1991 hat Lehmann als Beleuchtungsassistent bei Jürgen Roland bei Studio Hamburg angefangen. „Er hat ,Tatorte‘ inszeniert, und ich war froh, dabei zu sein. Von der Art und Weise, wie man Menschen führt, habe ich da eine Menge gelernt. Er hat morgens jedem Mitarbeiter zur Begrüßung die Hand gegeben und sich abends bei jedem bedankt.“ Vorher war er noch Praktikant in der Kindersendung „Hallo Spencer“.

Ziemlich angefasst wirkt er, wenn es um die umstrittene Schauspieleraktion #allesdichtmachen geht. „Pandemie bedeutet nicht Schwarz und Weiß. Hört euch die Geschichten an, die die Menschen während dieser Zeit erlebt haben. Alle haben es im Umgang mit der Pandemie geschafft, sie beherrschbar zu machen. Familiär haben wir im vergangenen halben Jahr in Krankenhäusern und Altenheimen traurige Geschichten erlebt. Meine Tochter hat sich so sehr eine Abiturfeier gewünscht, die sie nie bekommen wird.“

Die Kritik am Engagement von Jan Josef Liefers weist er zurück. „Jan hat sich vor 30 Jahren vor eine Million Menschen auf dem Alexanderplatz gestellt und gegenüber einer Diktatur wirklich Haltung bewiesen. Und damals hätte es auch für ihn kritisch werden können. Wir leben in einer Demokratie und dürfen Menschen nicht das Wort verbieten.“

Am 1. Juli soll die Liebeskomödie „Ich bin dein Mensch“ in die Kinos kommen

Wer mit einem Produktionschef spricht, kommt nicht umhin, sich über seine kommenden Produktionen zu unterhalten. Und da scheinen tatsächlich interessante Werke auf dem Weg zu sein. Geplant ist ein Film von Dani Levi mit dem Titel „7 Leben“ über die letzten Tage im Warschauer Getto nach einem Roman von David Safier. Schon am 1. Juli soll Maria Schraders Liebeskomödie „Ich bin dein Mensch“ in die Kinos kommen. „Das ist eine großartige Geschichte. Da sieht man mal, was Kino kann“, lobt Lehmann.

Im August wird anlässlich des Jahrestags des Mauerbaus von 1961 der Film „3 ½“ von Ed Herzog in der ARD laufen. Stephan Lamby hatte die Idee dazu. Im Film fährt ein fiktiver Zug von München nach Berlin. Je näher sie der Zonengrenze kommen, desto mehr verdichten sich die Informationen über die Ereignisse.

„Meine Mutter war an dem Tag in Westberlin“, erinnert sich Lehmann. „Sie kam aus einer Familie, die wenig Geld hatte, konnte sich nicht vorstellen, wie sie im Westen studieren sollte, und ist zurück in den Osten gegangen. In den meisten deutschen Familien wird bis heute über Mauerbau und -fall geredet.“

Ein anderes wichtiges Projekt ist der Film „Last Song For Stella“ von Kilian Riedhof. „Wir müssen uns mit unserer Vergangenheit auseinandersetzen“, so Lehmann. Der Inhalt: Stella ist eine freiheitsliebende Figur, will aus dem Mief der 30er-Jahre ihres Elternhauses raus. Am Ende wird ihr Mut nicht belohnt. Sie gerät in Gefangenschaft, wird gefoltert, umgedreht und landet schließlich auf dem Kurfürstendamm als Greiferin, wo sie andere Juden verrät, um ihr eigenes Leben zu retten.

Ein Thema, das leider immer noch aktuell ist. „Diktaturen machen Menschen kaputt. Demokratie bedeutet Freiheit. Wir als Filmemacher haben die Chance, die Diskussion darüber aufrechtzuerhalten.“