Hamburg. Die Überraschungsshow im Schmidt Theater ist schon jetzt ein Publikumshit. Für den kuriosesten Moment sorgte Rolf Zuckowski.
Dass das Prinzip der Wundertüte heutzutage immer noch funktioniert, ist schon bemerkenswert. Wer will denn tatsächlich nicht vorab wissen, was er bekommt? Wer sich auf Überraschungen einlässt, bekommt vielleicht einen grottigen Schrottfilm vorgesetzt, der in der „Sneak Preview“ verheizt wird, und der Filmvorführer schafft es auch noch, die dritte Rolle mit dem Filmende vor der zweiten mit der Filmmitte einzulegen.
Ist wirklich passiert. Andererseits kommt es auch vor, dass man sich Karten für Außenseiter Deutschland gegen Europameister Portugal kauft, nichts erwartet und plötzlich geht es 4:2 aus. Glaubt kein Mensch, oder? Auch die „Schmidts Wundertüte“ im Schmidt Theater hatte bei der Premiere am Freitag eigentlich schlechte Karten: tropische Hitze, Fußball-Europameisterschaft, wer will da in ein – wenn auch klimatisiertes – Theater, ohne das Programm zu kennen? Antwort: eine ganze Menge Leute.
188 statt 423 Plätze durften besetzt werden, und alle waren sie sowohl am Freitag als auch am Sonnabend vergeben, mit Wartelisten so lang wie die Beine von Leslie Anderson (siehe Foto). Wobei gesagt werden muss, dass der Eintritt eine freiwillige Leistung war, die das Publikum am Ende der Show auf einen Liegestuhl legte: sehr, sehr viele Scheine, wenige Münzen, keine hastig abgeknibbelten Hosen- und Jackenknöpfe.
„Schmidts Wundertüte“: Corny Littmann führt durch's Programm
„Wir sind glücklich, endlich wieder öffnen zu dürfen. Den Theaterbesuch gestalten wir für unser Publikum so flexibel und entspannt wie möglich. Denn in der jetzigen Situation ist eine gewisse Spontanität das A und O – für unsere Gäste genauso wie für uns als Theater“, so Intendanten-Entertainer Corny Littmann.
Als glitzernder Fischmarkt-Höker führte er durch den Abend und packte noch Drinks, Snacks und Karten für die „Schmidtparade“ (ab 14. Juli) in eine zu versteigernde Tüte. 20 Euro mehr für das Schmidt-Budget. Darüber freute sich auch der erste Überraschungsgast: Kultursenator Carsten Brosda rechnete den Abend „als Fortbildung“ ab, hielt sich aber nicht mit vielen Begrüßungsworten auf: „Politiker, die ihnen erklären, was sie nicht können, haben sie genug gehört.“
Das inoffizielle Motto: „Geschmacklos, aber fast elegant“
Dann ging es richtig los, und das Leitmotiv von Travestiekünstlerin Leslie Anderson war auf bzw. unter dem Strich auch die Beschreibung für den gesamten Wundertüten-Abend: „Geschmacklos, aber fast elegant.“ Ein bisschen Musik, Comedy, Wort- und Gesichtsakrobatik, Kabarett, Altherrenwitz, Altherrendamenwitz. Für alle was dabei, für manche auch mal voll daneben. Wie ein Jahr Schmidt Theater, Schmidts Tivoli und Schmidtchen im schnellstmöglichen Schnelldurchlauf.
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Nachdem Leslie Anderson den Anfang gemacht hatte, übernahm das Musik-Comedy-Duo Reis Against The Spülmachine die Bühne. Die eingedeutschten und brutalstmöglich umgedichteten Klassiker von Simon & Garfunkel bis Fools Garden erzählten viel vom Saufen („Schnaps-Medley“) und Körperfehlfunktionen („Scheißerei“). Geschmacklos, aber fast elegant.
Und die Besucherinnen und Besucher, anfangs noch etwas durch den Wind vom pandemischen Stress-Dreigestirn Anstehen, Test zeigen, mit der Luca-App einchecken, kamen so langsam ins Toben. „Ausgehungert“, nannte ein Nachbar am mit Plexiglas abgetrennten Nebentisch die Stimmung. Die Saalcrew brachte auf Bestellung Sekt auf Eis, der knallt an heißen Tagen wie eine Rakete in solch bunte Abende. Wumm!
Andreas Langsch kennt alle existierenden Yoga-Varianten
Die Luca-App erinnerte penetrant daran, das Auschecken nicht zu vergessen, aber warum schon gehen? Man rechnete so langsam mit allem. Otto Puttel zeigte „Barmbeker Magie“: Er konnte irre schnell Tiere aus Alufolie falten: ein Knäuel, flach geklopft: ein Goldhamster auf der A 1. Puh … Aber das kam besser an als die Kunststücke von Luftakrobat Sasha Yermakov.
Insgesamt war Musikkabarett der Hit des Abends, endlos war der Applaus bei den ebenso endlos auf die Pointe zusteuernden Lieder von Sänger und Pianist Andreas Langsch: „Heutzutage macht jeder Yoga“, leitete er ein und zählte gefühlt zehn Minuten lang alle real existierenden Yoga-Varianten auf, von Acro-Yoga und Ashtanga Yoga über Business-Yoga bis Yin Yang Yoga. Und natürlich Piano-Yoga. Wieder was gelernt.
Rolf Zuckowski als Überraschungsgast
Und dann war da noch ein Überraschungsgast, und der sorgte wirklich für den absurdesten Moment dieser „Wundertüte“: Rolf Zuckowski kam mit seiner Gitarre vorbei, und sang nicht nur „So wie du bist“, „Nackidei“ und „Ich liebe diese Stadt“, sondern auch noch „In der Weihnachtsbäckerei“.
Ohne Witz: die „Weihnachtsbäckerei“. Im Juni. Bei 32 Grad Celsius vor der Tür. Keine Ahnung, ob da Sekt auf Eis im Spiel war oder ihm schlicht der Schalk im Nacken saß, aber das wird keiner der Anwesenden so schnell vergessen. Das müssen die nächsten „Wundertüten“ erst mal toppen. Vielleicht mit „Last Christmas“. Wham!
Die 15 weiteren „Wundertüte“-Vorstellungen sind vorerst ausgebucht
Bis zur Schmidtparade am 14. Juli wird es ab 24. Juni noch 15 weitere „Schmidts Wundertüte“-Abende geben. Das Programm wird dabei mal mehr, mal weniger variieren. Sicher wird Carsten Brosda nicht jedes Mal dabei sein, und vielleicht wird die angekündigte Spielzeit von 75 bis 90 Minuten auch nicht auf zwei Stunden ausgedehnt wie am Premierentag.
Um mit Corny Littmann zu sprechen: Spontanität ist gefragt. Das gilt auch für das offensichtlich wirklich ausgehungerte Publikum, denn für sämtliche angesetzten Termine gibt es derzeit lediglich die Möglichkeit, sich in die Wartelisten einzutragen.
„Schmidts Wundertüte“ Do 24.6. bis So 11.7., Schmidt Theater, „ausverkauft“; Termine und Wartelisten unter www.tivoli.de