Hamburg. Kultur will in den Normalbetrieb zurück – auch, weil große Stars sonst vermehrt absagen könnten. Nun sind sogar Klagen möglich.
Sollen künftig nur noch Geimpfte und Genesene Kulturveranstaltungen besuchen können? Die Debatte um das Thema ist bundesweit entbrannt, da inzwischen jede und jeder die Gelegenheit hat, sich impfen zu lassen. Die Hoffnung zahlreicher Veranstalter: keine Mindestabstände mehr, eine volle Auslastung der Säle und Hallen. Nur noch in medizinischen Ausnahmefällen oder für Kinder, die nicht geimpft werden können, würde dann ein negativer Corona-Test für den Besuch einer Veranstaltung ausreichen.
Kürzlich hat Elton John seine für 2021 geplante Abschiedstournee auf 2023 verschoben – mit folgendem Hinweis: „Nach den uns vorliegenden Informationen werden die Veranstaltungsstätten in Deutschland in naher Zukunft nicht mit der vollen Kapazität öffnen dürfen, und da die Tickets für meine Shows ausverkauft sind, haben wir die Entscheidung treffen müssen, die Tour zu verschieben.“ Bedeutet dies, dass perspektivisch die großen Stars einen Bogen um Deutschland machen und stattdessen zum Beispiel in Dänemark auftreten, wo die entsprechenden Abstandsregeln schon nicht mehr gelten oder demnächst fallen?
Hamburgs Veranstalter warten auf Taten der Politik
Für Jens Michow, Präsident des Bundesverbandes der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft, sind reduzierte Kapazitäten keine Option mehr. Wenn die Politik der Meinung sei, dass Tests bei Wegfall von Mindestabständen nicht für ausreichende Sicherheit garantierten, „dann können Konzerte aber eben zumindest von Geimpften und von Genesenen besucht werden“, sagte er im Deutschlandfunk. Und Dieter Semmelmann von Semmel Concerts (Céline Dion, Sarah Connor), ließ in der „Welt“ verlauten, er könne sich durchaus vorstellen, dass Ungeimpfte „für eine Übergangszeit draußen bleiben“ müssten.
Wie sieht die Lage in Hamburg aus? Was sagen Konzertveranstalter und Theaterbetreiber? Bei Karsten Jahnke Konzerte sieht man die Politik in der Pflicht, „endlich einen Fahrplan zur Wiederaufnahme unserer Tätigkeiten zu offerieren“. Da man auf behördliche Vorgaben zur Durchführung von Veranstaltungen angewiesen sei, sei es „immens wichtig, von dieser Stelle Signale zu bekommen, wie mögliche Öffnungsszenarien aussehen können“. Von einer Impfpflicht halte man nichts, „zumal ja noch nicht jede/r, die/der sich impfen lassen möchte, die Möglichkeit dazu hatte“.
Sonderfonds für die Kultur keine Dauerlösung
Aus der Elbphilharmonie, in der die HamburgMusik gGmbH Konzerte veranstaltet, in der aber auch viele private Veranstalter aktiv sind, heißt es zum Thema Impfanreize für Besucher: „Wir unterstützen jede Initiative, weitere Bevölkerungsgruppen für die Corona-Schutzimpfung zu gewinnen. Als städtisches Unternehmen werden wir jedoch keine eigene Gesundheitspolitik im Umgang mit unseren Konzertbesucherinnen und -besuchern betreiben. Es ist allein Aufgabe der demokratisch legitimierten Institutionen, hier den Rahmen vorzugeben.“
Zu denen, die regelmäßig Elbphilharmonie und Laeiszhalle für ihre Konzerte buchen, gehört die Konzertdirektion Goette. Geschäftsführer Burkhard Glashoff blickt zunehmend besorgt auf das Szenario: Zwar gebe es den Sonderfonds des Bundes für Kulturveranstaltungen, der Einnahmeausfälle durch verminderte Saalkapazitäten derzeit weitgehend ausgleiche und eine Versicherung gegen den Ausfall von Großveranstaltungen biete, doch das sei keine Dauerlösung.
Hamburger verlangen nach mehr Konzert-Normalität
Zum einen sei dieser Fördertopf irgendwann ausgeschöpft, zum anderen verlange auch das Publikum nach mehr Konzert-Normalität. Durch die gängige Praxis, also Kontaktdatenerhebung, Maskenpflicht und den Immunitätsnachweis bzw. ein negatives Testergebnis, sei aus seiner Sicht schon jetzt eine 100-prozentige Auslastung möglich. Die Kulturbranche habe ihre Hausaufgaben in diesem Bereich erledigt. „Es ist nicht nachvollziehbar, dass die Politik die logische Konsequenz daraus nicht zieht.“
Besucher, die sich aus medizinischen oder Altersgründen nicht impfen lassen können, sollten seines Erachtens weiterhin die Möglichkeit haben, durch einen negativen (PCR-)Test Zutritt zu den Veranstaltungen zu bekommen, doch vor allem gelte es jetzt, den Geimpften „ohne Vorbehalt ihre Grundrechte wiederzugeben“.
„Dann müssen wir klagen!“
Da die aktuelle Landesverordnung, die unter anderem ein sogenanntes Schachbrettmuster bei Konzerten vorsieht, nur bis zum 25. August gelte, könne man über die erlaubte Saalbelegung im Herbst nur spekulieren. Sollte in Hamburg dann aufgrund erhöhter Inzidenzen trotz bewährter Schutzkonzepte eine weitergehende Kapazitätsreduzierung angeordnet werden, wolle man das nicht hinnehmen. „Dann müssen wir klagen!“.
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So weit will die Stage Entertainment GmbH nicht gehen, der Musical-Riese (u. a. „König der Löwen“, „Tina“ ) mit vier Theatern in Hamburg versteht jedoch Jens Michows Vorstoß, so Sprecher Stephan Jaekel. „Da ein Veranstalter oder wie wir ein Theaterproduzent ja ohnehin eine Nachweiskontrolle beim Einlass durchführen muss, halten wir den Ansatz der ,3G‘, also geimpft, getestet oder genesen, für noch tauglicher, da dies auch ,nur‘ Getestete mit einschließt – und unterstützen gleichzeitig die Verbandsforderung, dass damit schon bald auf weitere Abstandsregeln verzichtet werden könnte.“
Komödie Winterhude will Ungeimpfte nicht ausgrenzen
Jaekel weiß um die komplexe Situation, erhebt jedoch auch Forderungen: „Aus unserer Sicht ist es wichtig, dass die Politik klar aufzeigt, wie sie langfristig mit Corona umgehen möchte und wie möglichst weite Teile der Gesellschaft frei von Ängsten und Einschränkungen leben können.“
Die Komödie Winterhude, noch immer Hamburgs größtes nicht subventioniertes privates Sprechtheater, will Ungeimpfte nicht ausgrenzen, so Leiterin Britta Duah, und hält noch an der von den Behörden verordneten Besucherzahl fest. „Unser Hygienekonzept ist auf maximale Sicherheit für unsere Zuschauer und Mitarbeiter ausgelegt. Nicht auf maximalen Profit“, sagt Duah.
Hamburgs Kultursenator äußert Verständnis
Corny Littmann kann sich derzeit nicht mit Michows Vorschlag, Konzerte ohne Abstand und Begrenzung nur für Geimpfte und Genesene zu öffnen, anfreunden. Der Chef von Schmidts Tivoli , Schmidt Theater und Schmidtchen sagt indes: „Wir halten diese Überlegung dann für interessant, wenn die Quote der vollständig Geimpften und Genesenen insgesamt 70 Prozent übersteigt.“
Verständnis finden die Veranstalter mit ihren Sorgen und Vorschlägen bei Carsten Brosda. Der SPD-Senator für Kultur und Medien erklärt auf Abendblatt-Anfrage, er könne „gut verstehen, dass Privatanbieter, sobald alle die Chance auf einen vollständigen Impfschutz haben, über einen schnelleren Weg in den Normalbetrieb nachdenken, indem sie Angebote auf Genesene und vollständig Geimpfte beschränken“.
Impfungen können zu Normalität in Hamburg führen
Wie weit dies möglich sein wird, werde sicher auch Thema bei den anstehenden Beratungen von Bund und Ländern werden. „Klar ist: Der sicherste Weg zurück in einen vollen Club, ein voll besetztes Theater oder eine ausverkaufte Konzertarena führt über die Impfung. Mit betrieblichen Impfungen haben viele Kultureinrichtungen die Impfkampagne bereits unterstützt. Jeder weitere Beitrag, die Impfbereitschaft weiter zu erhöhen, ist sinnvoll. Wer sich impfen lässt, hilft auch dabei, dass wir schneller wieder in ein wirklich unbeschwertes kulturelles Leben zurückkehren können.“