Hamburg. Philipp Klais und sein Team stimmen das Instrument im Großen Saal neu. Warum auch Titularorganistin Iveta Apkalna dabei sein muss.

Warum muss die Titularorganistin der Elbphilharmonie eigentlich beim Großreinemachen des Instruments dabei sein? Okay, zugegeben, die Frage ist etwas schief gestellt. „Es ist nicht so, dass ich da mit Lappen und Staubwedel dabei wäre. Aber warum eigentlich nicht? Das wäre mal was Neues!“, sagt Iveta Apkalna am Telefon und lacht.

Was in diesen Wochen im Großen Saal der Elbphilharmonie geschieht, zerfällt grob betrachtet in zwei Stadien: Seit Anfang Januar haben die Spezialisten der Bonner Orgelbaufirma Klais, die die Orgel der Elbphilharmonie gebaut hat, das Instrument in seine Bestandteile zerlegt, gereinigt und wieder zusammengesetzt. Seit Freitag wird die Orgel nun intoniert, wie man das klangliche Einrichten bei Tasteninstrumenten nennt: durch winzige Veränderungen an den Orgelpfeifen beeinflusst man die Art, wie die Luft schwingt, und damit den Klang. An dieser Stelle kommt Apkalna ins Spiel.

Elbphilharmonie: Weshalb die Orgel schon so früh gereinigt wird

Eine Reinigung, jetzt schon, gerade mal vier Jahre nach der Eröffnung des Konzerthauses und offiziellen Inbetriebnahme der Orgel? Blenden wir kurz zurück ins Jahr 2016, als sich die Stadt nach Jahren der Verschiebungen unwiderruflich auf einen Eröffnungstermin festgelegt hatte und an der Hafenkante diverse Gewerke gleichzeitig schufteten, um den Zeitplan einzuhalten. Hat geklappt, wie wir wissen. War auf Kante genäht, wie wir auch wissen. Und was auch jeder weiß, der mal hinter Handwerkern hergewischt hat: Beim Bauen entsteht unweigerlich Staub. „Das sind mineralische Stäube, die sind nicht gut für die Leder im Orgelinneren“, erklärt Philipp Klais, Geschäftsführer des Unternehmens und selbst Orgelbauer. „Deshalb haben wir uns damals darauf geeinigt, die Orgel relativ bald nach der Eröffnung zu reinigen.“

Vorgesehen war die Reinigung für die Sommerpause 2021 – bis die Lockdowns alle Planungen durcheinanderschüttelten. Um eine Schließung im kommenden Sommer zu vermeiden, wenn das Haus hoffentlich gerade wieder spielen darf, zogen Klais und seine Leute die Arbeiten mal eben um ein halbes Jahr vor. Keine Kleinigkeit bei den Planungsvorläufen in der Branche. Auch andere Gewerke haben die Schließung für Wartungsarbeiten im Großen Saal genutzt, die planmäßig etwas später stattgefunden hätten. Seit dieser Woche nun haben die Orgelbauer den Saal für sich. „Für die Intonation brauchen wir absolute Ruhe“, sagt Klais.

Iveta Apkalna ist die Hüterin des Instruments

Verantwortlich für die Arbeiten ist der Intonateur Bernd Reinhartz. „Der hat den ganzen Entstehungsprozess der Orgel durchlebt und durchlitten, schon damals in der Werkstatt“, erzählt Klais. „Man bespricht im Team ganz viel, aber einer muss den Hut aufhaben.“

Iveta Apkalna ist sozusagen ein externer Teil der Gemeinschaft, die sich in den kommenden Tagen mit gespitzten Ohren an den anspruchsvollsten Teil der Disziplin Orgelbau begibt. „Sie ist für uns superwichtig, weil sie gewissermaßen die Hüterin des Instruments ist“, sagt Klais. „Sie liebt es. Sie würde uns den Kopf waschen, wenn wir etwas machen, weil es uns gerade besser gefällt. Sie sagt dann vielleicht, war das Gedackt (eine Art Orgelregister, die Red.) hier nicht etwas runder oder dunkler?“

Wissenswertes zur Elbphilharmonie:

  • Die Elbphilharmonie ist ein Konzerthaus, das als neues Wahrzeichen von Hamburg gilt
  • Sie wurde im Januar 2017 offiziell eröffnet
  • Das 110 Meter hohe Gebäude liegt in der HafenCity in Hamburg und soll mit seiner Form an Wellen, Segel und Eisberge erinnern
  • Wo heute die Elbphilharmonie steht, befand sich früher der Kaiserspeicher A
  • Das Konzept der Elbphilharmonie stammt von Projektentwickler Alexander Gérard und wurde bereits 2001 vorgestellt. Der Bau dauerte von 2007 bis Ende 2016
  • Die Baukosten betrugen 866 Millionen Euro

Klang und Klangvorstellung lassen sich nur sehr begrenzt in Sprache fassen. Deshalb ist es so wichtig, dass die Beteiligten nicht nur das eigene Klangempfinden über viele Jahre geschult haben, sondern sich auch auf gemeinsame Klangerfahrungen beziehen können. Die Klais-Truppe und Apkalna haben bereits andere Orgeln gemeinsam intoniert.

Bei der Klangeinstellung geht es um winzige Nuancen.

In der Planungsphase für die Elbphilharmonie-Orgel, als es um das Konzept für die Klangästhetik ging, war Apkalna noch nicht dabei, weil sie erst später als Titularorganistin benannt wurde. Sie konnte erst ausprobieren und kommentieren, als das Instrument quasi fertig war.

Bei der Klangeinstellung geht es um winzige Nuancen. „Wir haben das Gefühl, dass die Orgel sich jetzt in diesem Raum eingelebt hat. Wie ein Mensch in seiner Wohnung, da guckt man sich nach ein paar Jahren um und denkt, hier könnte ich noch etwas verändern oder etwas ausbessern“, sagt Apkalna. „Ich kann sagen, welches Register ich mir vielleicht ein bisschen anders wünsche. Nicht um den Klang grundlegend zu ändern, aber um dem Regenbogen noch eine weitere Farbfacette hinzuzufügen. Leute, die den Klang des Instruments gut kennen, können das hören.“

Können sie – wenn die Orgel ihre Stimme wieder erheben darf. Die Website der Elbphilharmonie weist optimistisch Termine ab Mitte Februar aus. Noch mindestens drei Wochen also. Apkalna hat eine Reihe von Livestreams gespielt in der Corona-Zeit. Aber das Publikum fehle ihr, sagt sie. „Bei meinem ersten Stream-Konzert war ich schockiert, als ich auf die Bühne ging und meine Schritte auf dem Bühnenboden hören konnte. Die gehen sonst immer im Applaus unter.“

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Und dann schwärmt sie von einem Konzert der besonderen Art: Im Sommer hat sie in ihrem Heimatland Lettland vor 5000 Menschen am Strand gespielt. „Das war eine digitale Orgel mit sehr guter Klangbeschallung. Ich habe eine Stunde vor Sonnenaufgang angefangen, also um vier, und es mit Sonnenaufgang um fünf Uhr beendet. Zu Beginn hat es geregnet, und am Schluss war eine richtige orangene Sonne, die Leute haben Sonnenbrillen aufgesetzt und sind schwimmen gegangen. So unmittelbar hat die Natur da mitgespielt und so viel Temperament gezeigt!“

Mit Musik durch Nacht zum Licht. Möge es ein Omen sein.