Hamburg. Fünf Jahre nach dem Tod des Musikgenies erscheint erstmals ein komplettes Album mit neuen Songs. Lohnt der Kauf?
5000 unveröffentlichte Songs, die Bänder gelagert in einem riesigen Tresor und dessen Vorraum: Was nach dem Tod von Prince vor fünf Jahren in seinem Anwesen Paisley Park in der Nähe von Minneapolis gefunden wurde, sprengt jeden Rahmen. Und ist eine Hochsicherheitsangelegenheit.
Archivar Michael Howe, der mit der Sichtung des Materials beauftragt wurde, musste eine Geheimhaltungsvereinbarung unterschrieben und darf nur sehr begrenzt Auskunft über das geben, was er jeden Tag sieht und hört. Das teilweise mehr als 40 Jahre alte Bandmaterial wurde nach Hollywood, in den Iron-Mountain-Komplex ausgelagert, eine Art Festung mit streng kontrolliertem Innenklima, abgesichert gegen Naturkatastrophen aller Art und streng bewacht. Hier werden die Aufnahmen digitalisiert.
„Welcome 2 America“ spielt noch mal in einer anderen Liga
Mit dem Akustikalbum „Piano & A Microphone“ sowie sehr umfangreichen Deluxe-Editionen von „1999“, „Purple Rain“ und „Sign O' The Times“ sind bereits einige Juwelen ans Tageslicht gebracht worden. Doch „Welcome 2 America“, das heute erscheint, spielt noch mal in einer anderen Liga: Es ist ein komplettes Album, das Prince 2010 aufgenommen hatte und veröffentlichen wollte – das dann aber im Tresor verschwand.
Über die Gründe kann heute nur spekuliert werden: Prince war bekannt dafür, von einem Projekt zum nächsten zu springen, für eine Art kreative Dauererregung, einen nicht enden wollenden Energiestrom.
Prince ließ seine Musiker häufig spontan einfliegen
Oft ließ er spontan Musikerinnen und Musiker einfliegen, um in seinem Studiokomplex aufzunehmen. Zum Kreis der engen Mitstreiter zu gehören, war eine Auszeichnung, aber auch mit Unwägbarkeiten verbunden: Niemand konnte vorausahnen, wann der nächste Anruf von Prince kommen würde. Auch die Aufnahmen zu „Welcome 2 America“ folgten diesem Muster.
Dass das Album damals tatsächlich zur baldigen Veröffentlichung vorgesehen war, dafür spricht die gleichnamige Tour („Welcome 2 ...“), die Prince von Dezember 2010 bis September 2012 durch die USA, Europa und Australien führte, und bei der unter anderem der Titelsong gespielt wurde. Seitdem brodelt die Gerüchteküche, doch auch wenn in Fankreisen seit Jahrzehnten unzählige Bootlegs mit rarem Material kursieren: „Welcome 2 America“ wurde auch deshalb mit so großen Spannung erwartet, weil die Songs selbst den allergrößten Prince-Experten unbekannt sind.
„Stand Up And B Strong“ wäre bei Konzerten ein Abräumer gewesen
Dass es sich keineswegs um Ausschussware handelt, zeigt schon das Titelstück mit seiner dominierenden funky Bassline und einem Text, der heute noch viel aktueller ist, als vor elf Jahren. Prince thematisiert darin die gesellschaftlichen Veränderungen durch Tech-Giganten wie Apple oder Google und legt den Finger auf die US-amerikanische Rassismuswunde („Land of the free, home of the slave“). Fantastisch auch „Born 2 Die“, eine funky Soulnummer mit scharfen Bläsersätzen, die an die Soundtracks legendärer Blackploitation-Filme wie „Shaft“ oder „Superfly“ erinnert.
Oder das als Ballade startende „Stand Up And B Strong“, das sich plötzlich zur rockenden Gospelsoul-Nummer mit Gegniedel-Gitarrensolo entwickelt. Bei Konzerten wäre das gewiss einer der ganz großen Abräumer gewesen. Herrlich auch der knackige Funk von „Same Page, Different Book“ und das prophetisch-positive „One Day We Will All B Free“. Okay, „Hot Summer“ ist als nach vorn drängende Rockpop-Nummer eher simpel gestrickt, aber gute Laune verbreitet der Song trotzdem. Und dass bei „Check The Record“ ein eigentlich geplanter Gitarrenlauf fehlt, wie Keyboarder Morris Hayes im Interview mit dem Magazin „Mint“ vermutet, lässt sich verschmerzen – schließlich singt Prince diese Passage stattdessen.
Über zwei weitere Deluxe Editionen wird spekuliert
Für jahrzehntelange Fans des Meisters ist dieses Album ohnehin ein Pflichtkauf – auch wenn es natürlich nicht die Klasse seiner 80er-Jahre-Alben von „Purple Rain“ bis „Lovesexy“ erreicht. Die werden womöglich gar zur Super Deluxe Edition greifen, die als Blu-ray-Bonus einen Video-Live-Mitschnitt der Prince-Show am 28. April 2011 in Los Angeles enthält. Darüber hinaus gibt es ein 32-seitiges Begleitbuch im LP-Format, das Album als CD und Vinylversion sowie allerlei Erinnerungsstücke, darunter Repliken von Eintrittskarte, VIP-Pass und Setlist. Allerdings wird für dieses All-inclusive-Paket mit etwa 130 Euro auch ein ziemlich stolzer Preis verlangt.
Und während sich in den Internet-Fanforen noch bitter über die Preispolitik beschwert wird („Abzocke“, „Frechheit“), wird parallel schon diskutiert, was wohl als nächstes aus dem Füllhorn des Prince-Archivs geschüttet werden könnte. Die derzeit heißesten Kandidaten sind „Parade“ (1986) und „Diamond And Pearls“ (1991), von denen, so ist aus „gewöhnlich gut informierten Kreisen“ zu hören, Super Deluxe Editionen mit haufenweise Bonusmaterial anstehen. Aber egal wie es kommt: Bei rund 5000 unveröffentlichten, erdbeben- und hochwassersicher gelagerten Songs, ist in Sachen Prince noch lange nicht Schluss.
„Prince: „Welcome 2 America“ (The Prince Estate/Legacy/Sony Music)