Hamburg. Erst gibt es für eine kurzfristige Absage Buhrufe. Dann aber sorgt Ausnahmepianistin Martha Argerich für eine Überraschung.
Nach 15 Konzerten an 12 Tagen schienen in der zweiten Hälfte des ihr gewidmeten Martha Argerich Festivals die Kräfte der 80-jährigen Pianistin dann doch etwas nachzulassen. Schon beim Auftritt mit Maria João Pires am Donnerstag vergangener Woche war das aufgefallen.
Am Dienstag hatte die Erschöpfte für das Konzert mit dem Bariton Michael Volle um einen Tag Pause gebeten und enttäuschte natürlich diejenigen, die ihretwegen ein Ticket gekauft hatten und mit einem Vertreter vertröstet wurden. Trotz allen Respekts vor der bewunderten Grande Dame der Klavierkunst, gab es in diesem Konzert, dem sie als Besucherin beiwohnte, vom Publikum deshalb ein paar Buhrufe.
Martha Argerich muss kleine Scharte wieder auswetzen
Im Finale am Mittwoch galt es für den Veranstalter Symphoniker Hamburg und Argerich selbst also, die kleine Scharte wieder auszuwetzen. Doch auch im 14. Festivalkonzert am frühen Abend musste sich das Publikum mit einer kurzfristig über den Haufen geworfenen Programmabfolge arrangieren. Von der ganz frühen und verworfenen Planung der Macher, sogar Argerichs und Charles Dutoits Tochter, die Schauspielerin Annie Dutoit, zu Gedicht-Rezitationen für dieses Konzert einzuladen, wussten die meisten Besucher allerdings kaum etwas.
Die nächste Änderung kam kurzfristig und betraf die Streichung von Claude Debussys Sonate für Violine und Klavier g-Moll. An ihre Stelle traten Klavierwerke von Johann Sebastian Bach und François Couperin, die für Überraschungen und viel Leichtigkeit in der Programmabfolge sorgten. Intendant Daniel Kühnel bedankte sich in einer kurzen Ansprache bei der Pianistin Akane Sakai, die als Organisatorin viel für die Festivalplanung und die Koordination der Solistenengagements beim Martha Argerich Festival getan hatte, und überließ ihr sofort das Podium für einen fulminanten Auftakt.
Höhepunkt war Vivaldis Konzert für vier Violinen
Mit Bachs Partita Nr. 1 B-Dur BWV 825 präsentierte sich die Japanerin als Spezialistin barocken Klavierspiels. Klar und linear ausgerichtet entwickelte sie das Präludium und gestaltete die Verzierungen und Kontraste in der lebendigen Allemande ohne jede Übertreibung. Die plötzlichen dynamischen Rücknahmen in der Courante waren ebenso überzeugend wie die straffen Tempi und die Vermeidung unnötiger Zäsuren. Die intim beginnende Sarabande mit ihren langen Trillern und die kantige Gigue, wo Sakai laufend überkreuz spielen musste, waren ein Genuss.
Der israelische Pianist Iddo Bar-Shaï bevorzugte bei zwei Sätzen aus Couperins Pièces du clavecin weit mehr Agogik. Rasende Tonfolgen in der rechten Hand beim Satz „Le Tic-Toc-Choc“ und ein hüpfendes Thema, das die Phrasen immer wieder zum Einhalten zwingt, gelangen ihm wunderbar. Ein weiterer Höhepunkt war Vivaldis Konzert für vier Violinen h-Moll RV 580 mit dem Symphoniker-Konzertmeister Adrian Iliescu, Akiko Suwanai Tedi Papavrami und Thomas Lefort als Solisten sowie bestens aufgelegten Streichern des Gastgeber-Orchesters.
Rhythmisches Feuerwerk in der Laeiszhalle
Erst am Ende erschien Martha Argerich mit dem Pianisten Nelson Goerner und den beiden Schlagzeugern Alexej Gerassimez und Lukas Böhm. Und es zeigte sich, dass ihr der besagte Erholungstag am Dienstag für Béla Bartoks Sonate für zwei Klaviere und Schlagzeug sehr gut getan hat.
Großartig, wie nach dem bedrückend dunklen Einstieg Gong- und Paukenschläge das stille Voranschreiten zerreißen und sich ein rhythmisches Feuerwerk entfaltet. Gerassimez, der gerade ein tolles Album mit dem Signum Saxophone Quartet herausgegeben hat, ist ein bewundernswerter Kammermusiker, der hochkonzentriert auf die bizarren Xylophonsoli von Böhm und die vor allem im Allegro non troppo wie Ping-Pong-Bälle durch die Klavierstimmen hüpfenden Motive reagierte.
Martha Argerich: Premiere der besonderen Art
Eine Premiere der besonderen Art bot Martha Argerich im Spätkonzert, wo sie zum ersten Mal Peter Tschaikowskys Zyklus „Die Jahreszeiten“ op. 37b öffentlich spielte. In den einzelnen Monaten gewidmeten Charakterbildern gelang es ihr einzigartig, die Balance zwischen Lebensfreude und tiefer Nachdenklichkeit zu finden. Und sie war ganz in ihrem Element bei der hektischen Betriebsamkeit der Bauern, die Tschaikowsky im August illustriert oder den satt angeschlagenen Fanfarenmotiven des Jagdliedes im September.
Intendant Kühnel hatte allen Grund zur Freude. Trotz der Beschränkungen konnte er 9500 Festival-Gäste begrüßen. Die Konzerte wurden auf www.argerich.live gestreamt und standen 48 Stunden lang zur Verfügung. Nun hat er vor, dem dritten Martha Argerich Festival im nächsten Jahr auch ein viertes folgen zu lassen.