Hamburg. Das NDR Elbphilharmonie Orchester unter Alan Gilbert mit einem Konzert voller Beseeltheit. Auf dem Programm: Brahms, Webern und Berg.

Johannes Brahms kommt unter den Hamburgensien kurz nach den Fußballvereinen. Aber der ganze hanseatische Besitzerstolz hilft nichts, wenn man sich vergegenwärtigt, dass der Komponist die längste Zeit seines schöpferischen Lebens in anderen Gefilden zugebracht hat. Seine Dritte, die das NDR Elbphilharmonie Orchester mit seinem Chefdirigenten Alan Gilbert gerade im Konzerthaus an der Hafenkante gespielt hat, hat so gar nichts norddeutsch Schweres. Brahms schrieb sie 1883, da lebte er längst in Wien.

Die Allzeit-Welthauptstadt der Musik bildete gleichsam das ideelle Zentrum des Programms. Genauer, die subkutanen Bezüge zwischen dem Romantiker Brahms und den Neutönern Anton Webern und Alban Berg.

Ein Idyll für Orchester – das an erotische Fantasien erinnert

Hübsches Schmankerl zu Beginn: Weberns 1904 entstandenes, noch gänzlich un-webernhaftes, schwärmerisches, an sämtliche erotischen Fantasien von Wagner (Tristan! Wesendonk!) und Frechheiten von Strauss (Eulenspiegel!) zugleich erinnerndes Idyll für Orchester. „Im Sommerwind“ heißt es, und so klang es auch. Zum Reinlegen, vom fast unhörbar zarten Beginn der Streicher an, der wirklich kaum mehr war als sacht bewegte Luft. Es zwitscherten die Vögel darin, es blinkte der Nachthimmel. Komplett unverständlich, warum dieses Werk erst 1962 uraufgeführt wurde.

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Später sollte Webern seine Tonsprache kompromisslos auf die Essenz eindampfen. Nicht so Alban Berg. In dessen Violinkonzert von 1935 ist trotz der zwölftönigen Struktur Raum für romantische Kantabilität. Berg widmete das Werk „Dem Andenken eines Engels“, nämlich Manon Gropius, der Tochter von Alma Mahler und Walter Gropius, die mit 18 Jahren an Kinderlähmung gestorben war. Der Untertitel allein rührt schon die Herzen.

Ein wenig Jammern auf einzigartig hohem Niveau

Unter den Händen von Frank Peter Zimmermann entfaltete die halsbrecherische Partie eine erzählende Kraft und eine Beseeltheit, für die es eines Solisten von diesem Rang braucht. Mal zupackend, mal lyrisch, immer in engem Kontakt mit dem Orchester und ganz eins mit seiner Stradivari „Lady Inchiquin“, führte Zimmermann die Beteiligten durch dieses Requiem, bis hin zu dem Zitat aus dem Bach-Choral „Es ist genug“, den die Klarinetten ganz still vortrugen, hauchfein und erschütternd.

Dem Presto aus der Solosonate von Bartók, den Zimmermann zugab, hätte ein etwas gefassteres Tempo zu mehr Klarheit verholfen. Aber das ist Jammern auf dem einzigartig hohen Zimmermann-Niveau.

So lieben wir Nordlichter unseren Brahms

Brahms Dritte nach der Pause brachten Gilbert und die Seinen zum Singen in jener organischen Gelöstheit, die ihr Musizieren hörbar prägt. Die vertrackte rhythmische Organisation des Kopfsatzes schnurrte wie ein hubraumstarker Motor. Im zweiten Satz hatte der Soloklarinettist Gaspare Buonomano immer noch eine Pianissimo-Nuance mehr im Ärmel.

Gilbert ließ die Celli das sehnsuchtsvoll-melancholische Thema des dritten Satzes nicht einfach dahinschmachten, er formte es liebevoll bis in jede kleine Ausbuchtung. Und der Solohornist Jens Plücker blies die Reminiszenz am Schluss warm, rund und souverän. So lieben wir unseren Brahms, wir Nordlichter.