Hamburg. Die neuen Spielzeit-Pläne der Hamburgischen Staatsoper beeindrucken – trotz abgesagter Ballett-Tournee wegen Coronavirus.
Das erste halbe Jahrzehnt von Intendant Georges Delnon ist rum, zumindest auf dem Papier der Programmbücher. Aus Andeutungen ist eine Handschrift geworden, mit der er und Generalmusikdirektor Kent Nagano seit 2015 ihre Angebote prägen und gestalten. Auf einen sehr verkleinernden Nenner gebracht, wäre beim deutlich dienstälteren Ballett-Chef John Neumeier weiterhin vor allem Neumeier drin, wo und weil Neumeier drauf steht. In Delnons Opern-Sortiment geht es um Gedankengänge von Oper zu Oper, die alles und jeden argumentativ verbinden können. Bei Nagano steht die Betonung von Hamburger Klang und Hamburger Tradition im Mittelpunkt. Wobei nach wie vor zu erraten bleibt, was genau damit gemeint sein könnte.
Hinterhältige Machtspiele, man erlebt es gerade live und in Farbe in der Bundespolitik, haben kein Verfallsdatum. So gesehen, ist Mussorgskys Zaren-Drama „Boris Godunow“ eine passende erste Premiere. Frank Castorf, der alte Wilde aus Berlin, soll inszenieren, Kent Nagano kennt das Stück aus seiner Münchner Zeit, Alexander Tsymbalyuk singt die Titelpartie. Nach der konzertanten NDR-Version in der Elbphilharmonie folgt eine szenische Version von Strauß’ „Fledermaus“, die dank des Regie-Teams Renaud Doucet / André Barbe so flackerbunt werden dürfte wie deren „Cenerentola“; als Eisenstein ist Bo „Die Nase“ Skovhus im Ensemble.
Ausblick auf neue Spielzeit-Pläne – unter anderem mit Händel
Für eine Neuproduktion von Massenets „Manon“ konnte die momentan sehr angesagte Elsa Dreisig verpflichtet werden, den Regie-Zuschlag erhielt David Bösch. Eine weitere Konwitschny-Inszenierung aus dem Staatsopern-Fundus ist nun Geschichte, denn 200 Jahre nach dessen Uraufführung wird Andreas Kriegenburg eine neue „Freischütz“-Version auf die Bühne bringen. Ein weiteres Projekt für Kriegenburg und Nagano, nach Strauss’ „Frau ohne Schatten“ in Hamburg und dem „Ring“ in München.
Musikstadt Hamburg und die Gänsemarkt-Oper? Episches Thema, erneut kein Thema, auch in der Saison 2020/21 nicht. Denn der junge Händel war raus aus dem Hamburger Talent-Alter, als er seine „Agrippina“ für Venedig komponierte. Fürs historisch informierte Umsetzen der Partitur wechselt das Ensemble Resonanz mit seinem „Artist in Residence“-Dirigenten Ricardo Minasi vom Resonanzraum in den Operngraben. Die Inszenierung übernimmt Barrie Kosky, der als ebenso exzentrischer wie klug einfallsreicher Regisseur bekannt ist. Die „Italienischen Opernwochen“ beginnen herausfordernd, mit Donizettis „Lucia die Lammermoor“, Venera Gimadieva in der Wahnsinns-Titelpartie und Amélie Niermeyer als Regisseurin.
Abgesagte Ballett-Tounee wegen des Coronavirus
„Lebendige Tradition“, das ist das Leitmotiv, mit dem John Neumeier in die nächste Saison geht. Die erste seiner zwei Neuproduktionen: „Beethoven 9“, mit der Premiere im Dezember 2020 wenige Tage vor dem Taufdatum des Komponisten, fünf Jahre nach Messiaens „Turangalila“ das nächste große Chef-Doppel mit Kent Nagano als Dirigent. Die zweite Premiere ist eine bekannte Größe aus Neumeiers Werkkatalog: eine Neu-Denkung von „Dornröschen“, seit dem ersten Erscheinen ann0 1978 ein Teil des Fundaments von Neumeiers Hamburger Karriere.
Und nicht nur Neumeier will sich dem Klassiker neu nähern, sondern auch Jürgen Rose, damals wie demnächst für Bühne und Kostüme zuständig. Als Wiederaufnahmen kehren „Sylvia“ und „Liliom“ zurück. Eine akute Ankündigung: Neumeier teilte mit, dass das Hamburg Ballett wegen des Coronavirus nicht nach Macau und Singapur fährt. „Es wird empfohlen, alle Großveranstaltungen abzusagen. Daher wäre es nicht vernünftig, wenn wir dort gastieren würden.“ Die Compagnie wollte vom 21. bis 23. 2. in Singapur und vom 28.2. bis 1.3. in Macau mit der „Kameliendame“ und „Nijinsky“ auftreten. Ob die Tour nachgeholt wird, steht noch nicht fest.
Nagano über Spielzeit: „beste, dickste, hervorragendste Edition“
Volltönend war die Ankündigung, mit der Generalmusikdirektor Nagano die nächste Philharmoniker-Spielzeit zusammenfasste. Es sei die „beste, dickste, hervorragendste Edition“, prophezeite er. Was das, abgesehen vom anspornenden Denken Richtung NDR-Orchester, konkret heißt? Viele Programme, die ihre Innenspannung aus Kontrasten beziehen: Beethoven reibt sich an Schostakowitsch, Brahms kollidiert mit Ligeti, eine Uraufführung von Hosokawa erklingt Bruckner gegenüber. Bei der Kombination von Ives’ „Central Park in the Dark“ mit Mahlers 7. steht Ex-Generalmusikdirektor Ingo Metzmacher am Pult.
Der nächste deutliche Akzent liegt bei einem Klassik-Genie, das immer noch verkannt ist: Haydn. Das beliebte Format des Open-Air-Konzerts auf dem Rathausmarkt geht in die dritte Runde. Beim Mäzen Klaus-Michael Kühne will man sich mit einem Elbphilharmonie-Sonderkonzert rund um „Sheherazade“, die Märchenerzählerin aus „Tausendundeiner Nacht“, bedanken.
Elbphilharmonie blendet Traditions-Spielstätte Laeiszhalle aus
Überhaupt, die Elbphilharmonie: Die nächste Konzertsaison blendet die Traditions-Spielstätte Laeiszhalle aus. Unter anderem, weil es so schwierig gewesen sei, die Terminlücken im Opern-Spielbetrieb mit den Renovierungsphasen in Einklang zu bringen, war eine der Erklärungen fürs fortgesetzte Fernbleiben. Für die übernächste Saison jedoch ist ein Comeback in Arbeit. Kent Nagano möchte, wie bereits mit seinem Orchester in Montreal durchgespielt, ein Schubert-Festival der Philharmoniker in der Laeiszhalle: Alle Sinfonien im Laufe einer Woche, kombiniert mit den Liederzyklen. Womöglich auch ein Signal für andere, wieder mehr über die Laeiszhalle nachzudenken.
Weitere Infos: www.staatsoper-hamburg.de. Der Kartenverkauf beginnt am 11. Mai. Abo-Bestellungen sind ab dem 11. Februar möglich.